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Enteignung jüdischen Besitzes

Von den Nazis beraubt

 

Die jüdische Familie von Salomon Bondy wurde von den Nazis in Hamburg und Altona systematisch enteignet. Die Historikerin Anke Schulz hat den Raubzug aufgearbeitet. Ein Text von Anja von Bihl, Eimsbüttler Nachrichten

Siebzig Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Das scheint eine lange Zeit zu sein, doch die Auswirkungen der grausamen Taten der Deutschen in der Nazizeit sind auch in der Gegenwart noch zu spüren. Ein Beispiel für erlittenes Unrecht ist die Familie des Hamburger Kaufmanns Salomon Bondy.

Salomon Bondy, 1856 in Böhmen geboren, war ein Hamburger Kaufmann und liberaler Freidenker. Er und seine ebenfalls aus Böhmen stammende Frau Mary hatten vier Söhne, von denen einer im Ersten Weltkrieg fiel, und eine Tochter.

Als Salomon Bondy 1932 starb, hatte die Familie Bondy mehr als 50 Hektar Grundbesitz, hauptsächlich in Lurup, aber auch in Eidelstedt, Niendorf, Othmarschen, Altona und Flottbek bis hin nach Garstedt in Schleswig-Holstein. In Othmarschen wohnten die Erben in zwei Villen. Salomon Bondy hatte viele seiner Grundstücke in Lurup günstig an Handwerker und Arbeiter verpachtet oder in Form von Ratenzahlungen verkauft, sie konnten so Wohneigentum erwerben.

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Salomon Bondy © Tom Roeper und Familie

Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ordneten die Altonaer Behörden für 0,7  Hektar der Immobilien eine Zwangsverpachtung zugunsten eines Luruper Kleingartenvereins an. In den Jahren bis 1938 wurde die Erbengemeinschaft Salomon Bondys durch antijüdische Gesetze und Verordnungen zu „Notverkäufen“ gezwungen. Nichtjüdische Deutsche konnten so Grundstücke zu Spottpreisen erwerben. Die Gelder gingen nach 1938 auf ein Sperrkonto, über das die Erbengemeinschaft nicht verfügen durfte. Im Rahmen der Devisengesetze unterstellten die Behörden Juden generell Ausreisewilligkeit und somit „Kapitalflucht“.

1938 erließen die Nationalsozialisten die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“. Eigens zum Zweck der Enteignung jüdischer Immobilienbesitzer gründete die Gauleitung Hamburg die Hamburgische Grundstücksverwaltung von 1938. Ein großer Teil der Immobilien der Erbengemeinschaft gelangte so 1940 an die Stadt Hamburg.

Mehrere Mitglieder der Familie Bondy überlebten KZ und Verfolgung nicht. Alle anderen verloren ihr Eigentum und ihre beruflichen Stellungen und mussten Deutschland verlassen. Als Beispiel sei Salomons Bondys Sohn Curt herausgegriffen. Er war nach dem Ersten Weltkrieg Professor in Göttingen und Hamburg und leitete im Hamburger Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöfersand eine Reform des Jugendstrafvollzugs.

Um jüdischen Jugendlichen eine Flucht aus Deutschland zu ermöglichen, gründete er 1936 im Auftrag der Reichsvertretung deutscher Juden im schlesischen Groß Breesen eine Landwirtschaftsschule. Denn eine landwirtschaftliche Ausbildung bot eine der wenigen Chancen, eine Einreisegenehmigung in die Vereinigten Staaten von Amerika zu bekommen, die damals sehr strenge Einwanderungsbedingungen hatten.

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Salomon Bondy und einer seiner Söhne, vermutlich Curt, zur Zeit des Ersten Weltkriegs © Tom Roeper und Familie

1938 wurde Curt Bondy in das KZ Buchenwald deportiert. Aufgrund internationaler Proteste kam er wieder frei und konnte 1940 über England und weitere Stationen in die USA emigrieren. Vielen Mitgliedern der Erbengemeinschaft Salomon Bondys gelang es frühzeitig, zum Teil auf Umwegen, die USA zu erreichen. Zwei der jüngeren Familienmitglieder gehörten gegen Kriegsende US-Spezialeinheiten an, in denen jüdische Emigranten gegen Hitlerdeutschland kämpften. Andere gründeten, wie zuvor schon in Deutschland, Schulen in mehreren US-Bundesstaaten oder forschten.

Als einziger der Familie kehrte Curt Bondy nach Kriegsende ins Land der Täter zurück. Nach 1949 wurde er Professor der Psychologischen Fakultät der Universität Hamburg und leitete das Psychologische Institut. Er war maßgeblich an dem Aufbau der Familienberatungsstellen beteiligt. 1972 starb er.

Nach 1945 kam es zu jahrelangen Rechtsverfahren, um einen Ausgleich für die von den Nazis vereinnahmten Immobilien zu erreichen. 1959 erhielt die Erbengemeinschaft etwas über 5.200 Deutsche Mark – für weitergehende Ansprüche seien Belege „nicht verfügbar“, so die Behörden. Die Grundstücke hätten heute einen geschätzten Wert von etwa 90 Millionen Euro.

Urenkel Tom Roeper ist Professor der Linguistik an der Universität von Massachussetts. 2014 hat die Regionalhistorikerin Anke Schulz ihn nach Hamburg eingeladen und ihm die ehemaligen Grundstücke der Familie gezeigt. Eines davon liegt im Friedrichshulder Weg, der damals zu Eidelstedt gehörte (heute zu Lurup). Tom Roeper sei entsetzt gewesen zu erfahren, dass auf dem Land (oder einem Nachbargrundstück, ganz sicher ist das nicht mehr festzustellen) eine Außenstelle des KZ Neuengamme errichtet wurde, sagt Schulz. Heute steht im ehemaligen Eingangsbereich des Frauen-KZs ein Gedenkstein. Er wurde 1985 auf Initiative einer Schule errichtet. Zuvor war die Existenz des Lagers vier Jahrzehnte lang aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden.

Um dieses Kapitel der regionalen Geschichte ein Stück mehr in die Öffentlichkeit zu rücken und die Diskussion darüber zu beleben, hat Anke Schulz auf einem Vortrag im Eidelstedter Bürgerhaus konkrete Vorschläge für eine öffentliche Anerkennung der geraubten Immobilien vorgestellt. Wie wäre es mit einer offiziellen Einladung der Hansestadt an die Familie? Mit einer öffentlichen Veranstaltung? Tom Roeper wäre sicher bereit, daran mitzuwirken.