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Stark, stärker, Trichet

 

Jürgen Stark, der ehemalige Vize-Präsident der Bundesbank, hat die volkswirtschaftliche Abteilung der Europäischen Zentralbank (EZB) übernommen. Deutschland stellt damit für die ersten 16 Jahre (!) den Chef der wichtigsten Abteilung der EZB. Ich gestehe, dass ich regelrecht konsterniert war, als mich diese Meldung am 1. Juni in Kiew erreichte. Quellen aus der Bundesbank hatten zwar schon seit längerem diese Option als durchaus plausibel dargestellt. Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Wie kann der Franzose Trichet der EZB und Euroland diesen Tort antun?, dachte ich. Von Stark habe ich noch nie etwas anderes gehört, als dass die Zinsen steigen müssen, die Inflationsgefahren sehr groß seien, die Notenbank weder für das Wachstum der Volkswirtschaft noch die Arbeitslosigkeit irgendetwas tun könne. Selbst meine Kollegin Marietta Kurm-Engels vom Handelsblatt, mit der ich herrlich diskutieren kann, da wir meist grundverschiedene Positionen zur Geldpolitik haben, schrieb „der als dogmatisch geltende Stark“. Kein Zweifel, Stark ist der Oberfalke, der letzte verbliebene Bundesbank-Monetarist der alten deutschen Schule. Dagegen war selbst Otmar Issing eine Friedenstaube.

Doch inzwischen habe ich mich mit dem Gedanken angefreundet, ja entdecke sogar eine List des Präsidenten Trichet hinter dieser Entscheidung. In dem er den gefürchteten Monetaristen Stark die volkswirtschaftliche Abteilung gibt, entmachtet er ihn zugleich. Denn Stark ist von Hause aus Politiker und nicht Wissenschaftler – wie Trichet. Wie soll er sich gegen das Heer kluger und mit den modernsten Theorien vertrauter Volkswirte durchsetzen? Gegen das Heer, das selbst Issing so manche Kompromisse abgerungen hat, allein durch gute Argumente. (Ich habe im Mai Issing mal gefragt, wie er es sich erkläre, dass alle Studien zeigten, dass die EZB der Konjunktur mehr Beachtung schenkten als die Bundesbank? Seine Antwort: Am geldpolitischen Konzept liege es nicht. Woran dann? An dem offeneren Geist, der in der EZB weht? Issing habe ich in der ZEIT mit allen Ehren verabschiedet.)

Julian Callow von Barclays, einer der besten und erfahrensten EZB-Beobachter notiert folgende Sätze aus dem Munde von Trichet bei der jüngsten Presskonferenz. Sie relativieren die Position von Stark ganz schön. Zunächst gibt er Trichet wieder: “on behalf of the majority of the Executive Board there was a proposal made by Jürgen. All our decisions are collegial decisions; there is no individual decision in our process … our credibility is the credibility of the institution; we must be credible.” Dazu merkt Julian Callow an: „Incidentally, the use of ‚majority‘ in the context of the boards recommendation – might this suggest that not all six members of the ECB Executive Board did agree to 25 bp? Mr Trichet later added, ‚there is no influence that would be dominant; if there were any influence that would be dominant it would be the President, but we rely on collegial wisdom‘.”

Bumm, das sitzt! Der Präsident hat das letzte Wort, wenn überhaupt dann ist sein Denken maßgeblich. Mit Issing wäre Trichet so nie umgegangen. Geschickt ist, dass der Monetarist Stark als Verantwortlicher die Position des Direktoriums im Rat vortragen muss und dafür doch irgendwie die „ownership“ trägt, wie es so schön neudeutsch heißt. Damit kann er kaum rebellieren und ist eingefangen. Chapeau Monsieur Trichet!

Interessant auch, dass die erste EZB-Ratssitzung ohne Issing ein viel behutsameres Ergebnis hatte als allgemein erwartet worden war. „The silence of the hawks“ titelte zum Beispiel Holger Schmieding von der Bank of Amerika. Besonders deutlich sah man es am Devisenmarkt, wo der Euro gut zwei Cent gegenüber dem Dollar eingebüßt hat. Mehrere Beobachter hatten den Eindruck, dass die EZB sowohl die Schwäche an den Aktienmärkten als auch die labile Verfassung des Dollar im Auge hatte, als sie auf eine behutsame Rhetorik umgeschwenkt ist. Das ist eine ganz neue EZB-Denke – und das unter Starks Mittun! Vor der Sitzung standen die Chancen am Markt nicht schlecht, dass die EZB sogar um 50 Stellen erhöhen könnte. Nachher war klar, dass die EZB wohl bis ins nächste Jahr hinein ihre Zinserhöhungen vorrausschauend „a quarter per quarter“ durchführen dürfte.

Ich halte trotz Starks Verantwortung für die Volkswirtschaft meine These aufrecht, dass die Emanzipation der EZB von den Bundesbankdogmen weitergehen wird – und am Ende eine ganz normale, moderne Notenbank stehen wird.