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Die Woche nach dem Grauen Dienstag

 

Das Wochenende neigt sich seinem Ende zu. Die Hektik an den Märkten, die mir eine spannende Woche beschert hat, ist weit weg. Habe in den vergangenen beiden Tagen eine Menge Research-Material gelesen und bin, ehrlich gesagt, recht gelassen. Nicht, weil ich glaube, das Schlimmste sei überstanden. Bis zu einer ordentlichen Korrektur an den Aktienmärkten fehlen noch fast 15 Prozent Kursverluste. Und die Verluste in Amerika am Freitag in den letzten Handelsstunden, der feste Yen sowie der recht brutale Anstieg der Volatilitäten auf den verschiedensten Märkten verheißen bis auf weiteres kaum Entspannung.

Was mich aber beruhigt: Es sieht in der globalen Realwirtschaft alles recht gut aus. Die Frühindikatoren scheinen zu drehen, die Industrieumfragen legen ein Ende der Abschwächung nahe. Solange das globale Wachstum stark ist und solange keine Inflationsgefahren dräuen, solange muss man sich langfristig nicht wirklich um die Aktien sorgen. Denn überteuert sind sie meiner Meinung nach nicht, zumindest in Europa. Hier gibt es keine Blase, die kräftig Luft ablassen muss. Mit jedem weiteren Kursverlust im Dax und EuroStoxx werden die Aktien attraktiver. Das sieht bei den Credits ganz anders aus, also bei allen riskanten Anleihen von Unternehmen und mit Abstrichen von Anleihen aus den Schwellenländern. Sie sind immer noch abnormal teuer, genauso wie einige heiß gelaufene Aktienmärkte in den aufstrebenden Schwellenländern. Indien, China gehören wohl dazu. Fundamental mache ich mir nur wenig Sorgen.

Anders sieht es aus, wenn ich auf die verborgene Dynamik der Kapitalmärkte schaue. Darüber habe ich in „Der Tag danach“ ausführlich geschrieben. Credit-Crunch in Amerika, Carry-Trade-Auflösungen und die fatale Berechnung des Risikos anhand des Value-at-risk. Aus diesen Quellen können selbst zerstörerische Trends losgetreten werden, die Panik in die Märkte bringen könnten. Schaun mer mal.

Was mich derzeit jedoch wirklich nervt, sind die stundenlangen Gespräche mit Freunden, Kollegen und Bekannten. Sie alle drehen sich um die Frage: Soll ich jetzt raus, alles verkaufen? Wie weit geht es noch runter? Noch vor einer Woche haben mir viele – wenn gleich in deutlich niedriger Frequenz – genau die umgekehrte Frage gestellt. Dax 7000, soll ich jetzt noch einsteigen?

Klar, der „Experte“ hat immer ‚ne feste Meinung. Habe selbst vorsichtig begonnen im Februar Puts auf den Dax zu kaufen und so lautete damals auch mein Ratschlag. Nach wie vor glaube ich, dass Puts, selbst zu den inzwischen höheren Niveaus, keine schlechte Wette sind. Aber ich habe die Puts zur partiellen Absicherung meines Aktienrisikos gekauft, mal nicht, um zu zocken. Mir war einfach die Ruhe zuvor unheimlich. Jetzt denke ich, dass die Märkte noch durch weitere Turbulenzen müssen.

Na gut, aber wie maßgeblich ist das, was ich glaube? Maßgeblich ist etwas ganz anderes, was ich in der aktuellen ZEIT versucht habe aufzuschreiben (und mich tierisch über so manche hirnlosen Kommentare geärgert). Wie kann ich als Kleinanleger eine langfristig sinnvolle Strategie verfolgen? Wie umgehe ich die Marketingtricks der Banken und Fondsgesellschaften, wie tricks ich meine psychologischen Schwächen wie die loss aversion aus, wie verhalte ich mich diszipliniert?

Seit einigen Jahren bin ich Anhänger der naiven und passiven Strategie, wohl wissend, dass sie in Expertenzirkeln gerade sehr en vogue ist. Swenson, der wohl erfolgreichste Investor der vergangenen Jahre hat ein Buch darüber geschrieben und nun auch Martin Weber, einer der klügsten deutschen Finance-Profs („Genial einfach investieren“ Wirklich ein klasse Buch. Strong buy!)

Der Grundgedanke der naiven Strategie: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Die Kurse verhalten sich nach dem Prinzip Zufall. Sie sind nicht vorhersagbar. Deshalb steige ich nie ein und auch nie aus! Ich bin immer so stark in Aktien investiert, wie ich es mir leisten kann – vom Verlustrisiko leisten kann, natürlich. Ich lege eine Quote fest, 30 oder 50 oder 70 Prozent, hängt davon ab, was ich sonst noch alles an Vermögen besitze, eine Mietskaserne zum Beispiel, was ich erben werde oder wie hoch meine Beamtenpension ausfallen wird. Und diese Quote halte ich einfach fest. Einmal oder zweimal im Jahr schaue ich mir das Depot an, rechnen die aktuellen Quoten aus – und schichte von den gut gelaufenen Assets um in die zurück gebliebenen. So investiere ich antizyklisch und habe den Großteil der kräftigen Kursgewinne seit März 2003 gesichert in Rentenpapieren liegen, die nämlich bei dem starken Anstieg der Aktien nicht mithalten konnten. Immer war die Aktienquote größer geworden als festgelegt. Und wenn die Aktienmärkte jetzt wirklich abstürzen sollten, dann schichte ich das nächste Mal halt von Renten in Aktien um, kaufe billig nach. So what? Sollte ich gemäß Sterbetafel sterben, ist das noch ein mehr als 40-Runden-Spiel.

Passiv investieren heißt auf Indexfonds setzen, die breite Märkte abdecken, viel günstiger sind als die aktiv verwalteten Fonds und meist genauso gut, wenn nicht besser abschneiden. Denn auch die Profis können den Markt nach Abzug der Kosten nicht schlagen. Warum soll ich mit meinen Gebühren für Ihre Gehälter und großen Autos zahlen?

Das ist natürlich ein stinklangweiliger Ansatz, aber ich glaube, er ist viel erfolgreicher als mir anzumaßen, zu wissen, was gerade jetzt an den Märkten zu tun sei.

Weil ich es ja auch nicht lassen kann, overconfident zu glauben, dass ich der Märkteversteher schlechthin bin, erlaube ich mir, bis zu zehn Prozent meines Depotvolumens für Spekulationen einzusetzen. Mit diesem Geld kaufe ich dann mal eine einzelne Aktie, einen Put auf den Dollar (aua, was habe ich da schon zahlen müssen), einen Put auf den Bund-Future etc. pp.. Mal war es eine brillante Idee, mal eine schlechte. Q.E.D.