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Schwarzer Montag

 

Am Montag sind die Aktienmärkte im freien Fall. Die Wahrscheinlichkeit einer amerikanischen Rezession hat sich in den letzten Tagen und Wochen stark erhöht, und mit ihr die Wahrscheinlichkeit, dass es auch im Rest der Welt schlechter laufen wird als gedacht. Es wird nur noch darüber diskutiert, wie expansiv die Wirtschaftspolitik sein muss, um eine Rezession zu verhindern, nicht mehr darüber, ob es überhaupt zu einer Rezession kommen wird.

Dabei waren die harten Zahlen – im Gegensatz zu manchen Stimmungsindikatoren – bis zuletzt gar nicht so schlecht, abgesehen von den amerikanischen, britischen und spanischen Statistiken aus dem Wohnungsbau und den Verlusten im Bankensektor. Im dritten Quartal ist das reale amerikanische Sozialprodukt noch mit einer Jahresrate von 4,9 Prozent, das deutsche mit einer von 2,8 Prozent gestiegen. Auch die Vorhersagen für das Wachstum in diesem Jahr waren bis vor wenigen Tagen noch einigermaßen optimistisch. In den USA soll es zwar in den ersten beiden Quartalen zu einer Rezession kommen, trotzdem wurde (und wird meistens noch) erwartet, dass das BIP im Durchschnitt von 2008 um mindestens 1 Prozent größer sein wird als 2007. Auch die Prognosen für Deutschland pendeln noch um 1 1/2 Prozent.

Während die Unternehmensgewinne in Amerika seit dem dritten Quartal letzten Jahres rückläufig sind und auch weiter fallen dürften, sind die Aussichten hierzulande gar nicht so schlecht, weil die Auftragseingänge nach wie vor brummen und sich die Situation am Arbeitsmarkt so rasch verbessert wie selten, die Unternehmen also Leute einstellen. Sogar die Gewinne könnten erneut steigen, weil die Arbeitseinkommen vermutlich um etwa so viel zunehmen werden wie das nominale Sozialprodukt, so dass auch für die Unternehmen noch etwas übrig bleibt. Das Risiko ist allerdings, dass sich die Weltkonjunktur stärker abkühlt, als das jetzt erwartet wird. Es ist klar, dass sich das Wachstum im gesamten OECD-Raum abschwächt, die Hoffnung war aber bislang, dass die Dynamik der Schwellenländer dadurch kaum beeinträchtigt werden würde. Der Grund: Sie sind finanziell gesund, ihre Inflation ist nach wie vor nicht beunruhigend hoch, und sie haben angesichts ihrer niedrigen Ausgangsniveaus beim Lebensstandard noch eine Menge aufzuholen. Sie können sich also eine expansive Geld- und Finanzpolitik leisten.

Die Marktteilnehmer haben nun aber wohl doch ihre Zweifel. Auch China könnte einen starken Rückgang der Ausfuhren nach Amerika und in den Rest der OECD-Länder nicht einfach so wegstecken. Schließlich hat sich der Yuan gegenüber dem Dollar im letzten Vierteljahr mit einer Verlaufsrate von 13 Prozent aufgewertet, und die People’s Bank of China ist dabei, die Zügel etwas anzuziehen. Sie werden allerdings immer noch sehr locker gehalten. China leidet im übrigen unter Blasen auf zwei wichtigen Märkten: Immobilien und Aktien. Hinzu kommt die starke Währung. Die Situation erinnert stark an die in Japan zu Ende der achtziger Jahre. Platzende Blasen = Vermögensverluste = Zwang, die Bilanzen wieder ins Lot zu bringen = Einschränkung der Ausgaben = jahrelange Stagnation und Deflation. Blasen platzen, wenn die erwarteten Erträge unter die Kosten der Finanzierung fallen, bereinigt um die voraussehbaren Risiken. China könnte an dem Punkt angekommen sein und daher bald als stabilisierender Faktor ausfallen.

Mit der Schwäche der amerikanischen Wirtschaft hatte man sich ja schon gewissermaßen arrangiert, wenn es aber im dynamischsten Teil der Weltwirtschaft nicht mehr läuft, kann man alle Hoffnung fahren lassen, um es mal biblisch auszudrücken.

Gleichzeitig ist ein Übertragungsmechanismus am Werk, der immer noch dafür sorgt, dass sich die Aktienmarktschwäche der USA auf die übrigen Länder überträgt. Wenn die Portfoliomanager sehen, dass sich der Wert des US-Anteils in ihren Portfolios stark vermindert, werden sie versuchen, solche Wertpapiere zu verkaufen, deren Kurse sich relativ gut gehalten haben, also die nicht-amerikanischen. Da die USA, gerechnet mit aktuellen Wechselkursen, immer noch 27 bis 28 Prozent des globalen BIP stellen, werden Probleme dort immer noch einen stark negativen Einfluss auf den Rest der Welt haben. Das ist jedermann sofort klar – wenn die Amerikaner verkaufen, ist es klug, sich dem anzuschließen. Stop-loss-limits werden erreicht und unterschritten, vor allem bei Fonds, die nicht einfach nur Aktienindices abbilden – es läuft gerade eine Verkaufswelle, die sich auf diese Weise selbst verstärkt.

Wie weit kann es runtergehen? Seit Jahresanfang sind an den Aktienmärkten Verluste in der Größenordnung von 15 Prozent entstanden. Das ist natürlich schon eine größere Korrektur. Richtig billig sind vor allem die amerikanischen Aktien aber noch nicht. Die Wende wird erst kommen, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass sich die US-Wirtschaft stabilisiert. Es hilft, wenn die Fed Funds Rate, am 30. Januar – oder schon früher – um 75 Basispunkte auf 3,5 Prozent gesenkt wird, wie zur Zeit von den Märkten antizipiert wird. Auch ein großes Konjunkturprogramm kann nicht schaden. Nur: wenn wir es mit einer sogenannten Bilanzrezession zu tun haben, hilft das nicht entscheidend. Dann kann es jahrelang dauern.

Jedenfalls kann ich mir augenblicklich schwer vorstellen, dass es jemanden gibt, der bereits den Mut hat, und die Mittel, gegenzuhalten. Ich vermute, dass die Profis zunächst noch die Chance vor allem in Leerverkäufen sehen, also auf der Abgeberseite bleiben und damit den Kurseinbruch verstärken.

Was kann man tun? Cash is king, natürlich. Aber auch die bislang vernachlässigten europäischen Regierungsanleihen dürften noch positives Kurspotential haben. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die EZB nicht demnächst die Zinsen senken wird. Je mehr sich dieser Eindruck verfestigt, desto stärker werden auch die Zinsen am langen Ende der Renditekurve sinken.