Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Bernanke kennt sich aus

 

Der Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) muss sich in diesen Tagen den Befragungen des amerikanischen Kongresses stellen. Die Abgeordneten aus Senat und Repräsentantenhaus treibt dabei vor allem eins um: Führt die massive Ausweitung der Zentralbankgeldmenge durch die Fed zu einer Inflation wie in den 70er Jahren, oder gar zu einer Hyperinflation wie in Weimar?

Die Befragung kommt in einem ungünstigen Augenblick für Bernanke, weil der wegen der Übernahme von Merrill Lynch durch die Bank of America unter politischem Druck steht. So werfen ihm Abgeordnete vor, er habe dem Chef der Bank of America mit Entlassung gedroht, hätte er dem Kauf Merrills nicht zugestimmt. Die Causa könnte Bernankes zweite Amtszeit als Chef der Fed gefährden. Barack Obama hält es sich bis jetzt offen, ob er Bernanke im nächsten Jahr erneut ernennen will, auch, weil schon andere Kandidaten in den Startlöchern stehen. Was bei diesen politischen Ränkespielen eine wirkliche Gefahr ist: Sie könnten mit der Reputation Bernankes auch die Krisenpolitik der Fed untergraben, die sich wesentlich mit seinem Namen verbindet.

Vielleicht kann man nur unter diesen Bedingungen verstehen, warum sich Bernanke – ganz unüblich für einen politisch unabhängigen Zentralbankbeamten – persönlich vor der Anhörung zur Notenbankpolitik im Wall Street Journal geäußert hat. Und zwar darüber, wie die Fed die von ihr geschaffene Liquidität wieder aus dem Markt nehmen kann. In dem Artikel für das Wall Street Journal beschreibt Bernanke allerdings nur Instrumente, von denen jeder Kundige weiß, dass sie der Zentralbank zur Verfügung stehen. Die eigentlich Frage, so merken Kritiker an, ist, ob die Zentralbank bei Inflationsdruck diese Instrumente wirklich einsetzt. Nicht die Fähigkeit, sondern der Willen der Zentralbanker wird bezweifelt.

Als Beispiel werden die 70er Jahre angeführt, in denen die Fed die Geldmenge zu sehr habe wachsen lassen – dadurch sei die große Inflation entstanden. Nur ist die heutige Situation eine ganz andere. Damals stiegen die Preise am Anfang vor allem wegen der beiden Ölschocks – nicht wegen der steigenden Geldmenge. Die Preise stiegen nach den Schocks deswegen, weil die Gewerkschaften damals noch stark genug waren, höhere Löhne durchzusetzen, und Unternehmen reagierten, indem sie die Preise erhöhten. Die Fed hat das zwar geschehen lassen, also nicht mit höheren Zinsen auf die Bremse getreten – das kann man ihr vorwerfen. Die Ursache für die Inflation war sie aber kaum.

Ganz anders sieht die Situation heute aus. Es stimmt schon, dass die Zentralbank massiv Liquidität geschaffen hat, indem sie ihre Kredite an die Banken stark ausgeweitet und Wertpapiere von Unternehmen gekauft hat und das mit selbst gedrucktem Geld. Dadurch expandiert die Menge an Zentralbankgeld. Die sogenannte Geldbasis hat sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Wenn man sich aber die für die Wirtschaft wirklich wichtige Geldmenge anschaut – nämlich das Geld, das Joe Sixpack und die amerikanischen Unternehmen auf dem Konto haben – sieht man kaum eine wundersame Geldvermehrung. Die Geldmenge M2 ist im gleichen Zeitraum nur um 8,4% gestiegen. Und von einer Kreditvermehrung kann noch weniger die Rede sein. Der Zuwachs der Kreditmarktverschuldung von Haushalten und Unternehmen ist praktisch zum Erliegen gekommen. Im ersten Quartal lag sie nur um 0,2% über dem Vorjahr.

Und das ist genau das Problem: Banken bekommen zwar von der Fed Liquidität hinterhergeschmissen, nutzen sie aber nicht, um ihre Kredite an Unternehmen und Haushalte zu erhöhen. Eine Situation, die nichts mit den 70ern, sehr wohl aber mit der Großen Depression zu tun hat. Und wenn man in die 30er Jahre schaut, sieht man, wie gefährlich die Angst vor der Inflation sein kann, wenn man ihr voreilig nachgibt. Die Straffung der Geldpolitik aus genau diesem Grund führte 1937 nämlich zu einer zweiten Rezession nach der Großen Depression zu Beginn des Jahrzehnts.

Was war damals passiert? Die Fed bekam wegen der massiven Ausweitung der Geldbasis kalte Füße. Die Zentralbanker fürchteten sich vor einer möglichen großen Inflation und erneuten Spekulationen mit dem reichlich vorhandenem Geld. Die Zentralbanker hatten auch deswegen so große Angst vor den inflationären Folgen der Liquiditätsausweitung, weil sie gar nichts mit derselben zu tun hatten.

Zu der Liquiditätszufuhr kam es, weil Geld aus dem politisch fragilen Europa in die USA flüchtete, und den Banken so mehr Mittel zur Kreditvergabe zur Verfügung standen. Ab 1933 kam es zu einer deutlichen Erholung der Wirtschaft, die kräftig mit Raten bis zu neun Prozent wuchs und die Arbeitslosigkeit fiel von 25% während der Depression auf 14% im Jahre 1937. Aber den Währungshütern gefiel nicht, dass sie die Geldmengenausweitung und das damit verbundene Kreditwachstum nicht kontrollieren konnten.

Deswegen erhöhte sie ab 1936 schrittweise die Mindestreserveanforderungen der Banken – die nun sehr viel mehr Mittel bei der Zentralbank halten mussten, und so in ihren Kreditvergabemöglichkeiten beschränkt wurden. Der restriktive Kurs, den die Fed damit einschlug, brachte den Aufschwung der Wirtschaft prompt zum Stillstand und die Arbeitslosenrate stieg wieder auf 19%.

Die Wirtschaftshistorikerin und jetzige Chef-Wirtschaftsberaterin Barack Obamas, Christina Romer, hat sich intensiv mit den Ursachen der Rezession von 1937-38 beschäftigt. Sie warnte deshalb kürzlich in eine Artikel im Economist davor, die expansive Politik der Fed vorschnell aufzugeben.

Weil Bernanke vor dem Zentralbankjob als Wirtschaftsprofessor die Großen Depression ausgiebig studiert hat, wird er die Geschichte um die Rezession 1937 und deren Ursachen kennen. Und auch den Unterschied zwischen der Inflation der 70er Jahre und der Deflation der 30er Jahre. Gerade deswegen hat die Fed unter Bernanke die Geldpolitik durch schnelle und kräftige Zinssenkungen und dann durch die Ausweitung der Geldbasis per quantitativer Lockerung so aggressiv gestaltet – Bernanke hat aus der Depression gelernt, dass die Zentralbanker den Geschehnissen nicht einfach nur zuschauen dürfen. Sie müssen entschlossen handeln, damit aus einer schweren Rezession keine große Depression wird.

Das politische Kreuzfeuer, in dem Bernanke jetzt steht, könnte seiner entschiedenen Antikrisenpolitik gefährlich werden und damit zu einer Wiederholung von 1937 führen. Denn die Fed ist zwar unabhängig, aber auch dem Kongress verantwortlich. Die USA und die Weltwirtschaft können es sich nicht leisten, auf Bernanke und seine Politik zu verzichten.