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Starkes drittes Quartal

 

Zwar fehlen noch wichtige Zahlen, trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass das deutsche Sozialprodukt im jetzigen dritten gegenüber dem zweiten Quartal mit einer auf ein Jahr hochgerechneten Rate (der sog. Verlaufsrate) von real etwa 5 Prozent expandieren wird. Es läge allerdings auch dann noch um 4,4 Prozent unter seinem Vorjahreswert.

Die realen Auftragseingänge im Produzierende Gewerbe sind im Juli saisonbereinigt um 3,5 Prozent gegenüber dem Vormonat gestiegen, und damit zum fünften Mal in Folge. Da die Arbeitslosenzahlen im Juli und August saisonbereinigt mehr oder weniger unverändert waren, vermute ich mal, dass die Zahlen zur Industrieproduktion im Juli, die am 8. September – also morgen – veröffentlicht werden, kräftig zugelegt haben. Unter „kräftig“ verstehe ich etwas in der Größenordnung von 2 Prozent oder mehr im Vormonatsvergleich. Meist sind ja die Auftragseingänge und die Produktion von Monat zu Monat eng korreliert. Da das im Juni nicht der Fall war – bei den realen Aufträgen gab es ein Plus von 3,8 Prozent gegenüber Mai, bei der Industrieproduktion dagegen ein Minus von 0,1 Prozent – tippe ich, dass es im Juli nachgeholt wurde. Angesichts eines kumulierten Anstiegs der Aufträge von 7,5% im Juni und Juli ist daher ein Plus von 2 Prozent bei der Produktion nicht besonders kühn. Wir werden schon bald wissen, wie sehr ich daneben gelegen habe, wie dumm ich aussehe.

Grafik: Auftragseingang und Produktion in der Industrie

Da die Arbeitsmarktzahlen auch im August, wie erwähnt, recht robust waren, dürfte sich die wirtschaftliche Erholung im August fortgesetzt haben. Eine annualisierte Zuwachsrate des BIP von 5 Prozent ist daher in der Tat in Reichweite.

Die neue Dynamik kommt vor allem aus dem Inland. Vom ersten Quartal, dem depressionsartigen zyklischen Tiefpunkt, bis zum Juli konnten die Aufträge aus dieser Region mit einer Verlaufsrate von 40,4 Prozent zulegen, die ausländischen „nur“ um 30,6 Prozent. Solche Zuwachsraten gibt es, wenn es zuvor richtig gekracht hat und die Welt dabei nicht untergegangen ist. Wenn Aktienkurse um 90 Prozent einbrechen, müssen sie um 900 Prozent steigen, damit sie wieder auf ihr altes Niveau kommen.

Deutschland befindet sich zur Zeit in der ungewohnten Rolle einer internationalen Konjunkturlokomotive, wenn auch nur einer kleinen. Im Verlauf des vergangenen Jahres (bis Mai) waren die Exporte real um 22,3, die Importe dagegen nur um 15,2 Prozent eingebrochen. Wenn ich mir die Struktur der Auftragseingänge ansehe, wird dieser Trend erst einmal anhalten. Dafür spricht natürlich auch der feste Euro sowie die Tatsache, dass die Einfuhrpreise viel stärker sinken als die Ausfuhrpreise – Importe sind also vom Preis her wettbewerbsfähiger geworden.

Was hat es zu bedeuten, dass die Sparquote der Haushalte von 11,4 im ersten auf 11,0 Prozent im zweiten Quartal zurückgegangen ist? Offenbar machen sich die Verbraucher (als Gruppe) nicht allzu große Sorgen um ihre wirtschaftliche Zukunft. Sie tun zur Zeit das, was ihnen der Arzt verschreiben würde – mehr Geld auszugeben! Wenn die Zinsen auf Sparkonten und Termineinlagen sich kaum von Null unterscheiden, macht Sparen sowieso nicht viel Sinn, jedenfalls nicht, wenn sie an eine Rückkehr der Inflation glauben. Nach den Renditen inflationsgeschützter Bundesanleihen zu urteilen, erwarten sie bei den Verbraucherpreisen in den nächsten fünf Jahren im Durchschnitt eine Inflationsrate von eineinhalb Prozent, für die kommenden zehn Jahre sogar von rund 2 Prozent. ich habe den verdacht, dass sie einfach glauben, dass die EZB ihr selbstgesetztes mittelfristiges Ziel von knapp unter 2 Prozent erreichen wird. Das wäre im Übrigen ein unglaubliches Kompliment an die Adresse der Notenbank.

À propos Inflation: Ich hatte am Freitag an der elften Konferenz der ECB Watcher teilgenommen. Der Konsens ist augenblicklich, dass der Tiefpunkt der Inflation hinter uns liegt, vor allem weil die Konjunktur angesprungen ist und die Rohstoffpreise kaum mehr nennenswert sinken werden. Die EZB selbst erwartet für Euroland im Jahresdurchschnitt 2010 eine Inflationsrate von 1,2 Prozent, bei einer Wachstumsrate von 0,2 Prozent (nach -4,1 in diesem Jahr). Herr Trichet und seine Kollegen stehen daher Gewehr bei Fuß und wollen bei den ersten Anzeichen von Inflationsgefahren losschlagen, also die Zinsen erhöhen und die sogenannten unkonventionellen Maßnahmen zurücknehmen. Sie glauben allerdings selbst nicht daran, dass das schon bald der Fall sein muss: Der Zeitpunkt, die sogenannte Exit Strategy in die Tat umzusetzen, ist noch nicht gekommen, sagen sie selbst.

Wenn das BIP nur um 0,2 Prozent zunimmt, vergrößert sich auch dann die Outputlücke, wenn man annimmt, dass das Wirtschaftswachstum mittelfristig nie mehr den alten Wert von 2 1/4 Prozent im Jahr erreicht. Wo soll da die Inflation herkommen? Zudem steigt der Euro, die Löhne stagnieren, die industriellen Erzeugerpreise sind trotz fester Ölpreise in diesem Jahr kräftig gesunken, und überall auf der Welt, selbst in China, gibt es ohne Ende ungenutzte Kapazitäten. Der Auslastungsgrad ist der zuverlässigste Frühindikator für die Geldentwertung – und der sinkt weiter. An eine Zinserhöhung denkt in Frankfurt noch niemand.

Entwicklung der Verbraucher- und Erzeugerpreise in Euroland seit 1999

Die Deflationsrisiken sind weiterhin größer als die Inflationsrisiken, auch wenn die EZB mit festen Worten leugnet, dass dem so ist. Dass das deutsche, und damit das europäische BIP, in diesem Quartal so kräftig expandiert, dürfte niemanden nachhaltig beeindrucken. Nur zur Erinnerung: Die deutsche Industrieproduktion wird auch dann, wenn ich mit meiner optimistischen Prognose Recht behalten sollte, um nicht weniger als 17,7 Prozent niedriger sein als im ersten Quartal 2008, dem Höhepunkt im letzten Konjunkturzyklus.