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Goldman Sachs, die „Bubble Machine“

 

Vor kurzem wurde ich auf einen Artikel über Goldman Sachs aufmerksam gemacht, der im Juli vergangenen Jahres auf der Website des Rolling Stone Magazine, also einer für Leute wie mich ziemlich obskuren Publikation, erschienen war. Hauptbotschaft: Die Goldmänner sind überall, vor allem da, wo in der Politik die finanziell relevanten Entscheidungen getroffen werden, sie haben entscheidend an allen amerikanischen Finanzblasen seit 1929 mitgewirkt, dabei unglaublich viel Geld verdient – und haben es nicht, anders als die Mehrheit der Bevölkerung, verloren, als die Blasen schließlich platzten.

Eine lesenswerte Polemik, mit Schaum vor dem Mund geschrieben, gespickt mit Verbalinjurien, wie alle Verschwörungstheorien stellenweise stark übertrieben und vereinfachend, natürlich auch einseitig, aber insgesamt gut informiert und schlüssig argumentiert. Für alle, die in Parlamenten, Notenbanken und Aufsichtsbehörden dabei sind, eine neue, weniger krisenanfällige Finanzarchitektur zu entwerfen, sollte die Lektüre von Matt Taibbis „The Great American Bubble Machine“ Pflicht sein. Das Treiben der Investment Banken wird selten genauer unter die Lupe genommen, weil die Materie – anders etwa als Umweltzerstörung, die Formel 1 oder Hartz IV – nicht leicht zugänglich ist und ihre Vertreter stets äußerst seriös und kompetent auftreten. Taibbi will das ändern, denn „wenn Amerika ein Spülbecken ist, in dem sich das Wasser um den Abfluss dreht, dann ist Goldman Sachs der Abfluss.“ Das ist natürlich ein unappetitliches Bild, wie einige andere auch, und es erleichtert nicht gerade die Akzeptanz seiner Botschaft bei den gebildeten Ständen.

Dennoch ist die Schlussfolgerung ernst zu nehmen: Wir haben es zu tun mit einer „bedauerlichen Lücke im demokratischen Kapitalismus westlicher Prägung, dessen zentrale Steuerungsparameter freie Märkte und freie Wahlen sind; niemand hatte je daran gedacht, dass organisierte Gier einer dezentralen Demokratie in finanziellen Angelegenheiten stets überlegen ist“, oder, um es in der Terminologie der Ökonomen auszudrücken, dass es im Finanzsektor regelmäßig und nicht nur zufällig zu sogenannten externen Effekten zulasten Dritter kommt. Nur durch strenge Regeln und Auflagen können diese Effekte verhindert oder zumindest gemildert werden – am besten international abgestimmt.

Goldman Sachs ist nicht gleichzusetzen mit dem Finanzsektor insgesamt, aber es ist die profitabelste, größte und „innovativste“ Bank der Welt, und seit dem Ausscheiden und Schrumpfen wichtiger Konkurrenten ist sie einflussreicher denn je. Wer Wall Street sagt, hat vor allem Goldman Sachs im Sinn. Anderthalb Jahre, nachdem die Bank vom Staat vor dem Konkurs gerettet wurde, konnte sie schon wieder einen Jahresgewinn von 13,4 Milliarden Dollar sowie im Durchschnitt je Mitarbeiter Gehälter und Boni von fast 500.000 Dollar vermelden, kaum weniger als im Bubble-Jahr 2007 (diese Zahlen finden sich in Taibbis jüngstem Artikel „Wall Street’s Bailout Hustle„, der am 4. März in der amerikanischen Printausgabe von Rolling Stone erschien). Goldman Sachs ist der Primus inter pares der sechs amerikanischen Megabanken – die anderen sind Bank of America, JP Morgan Chase, Citigroup, Wells Fargo und Morgan Stanley.

In einem neuen Buch von Simon Johnson und James Kwak (der eine vom MIT, der andere ein ex-McKinsey-Mann) werden diese Institute als neue Oligarchen bezeichnet. Oligarchen schwächen die Demokratie und verhindern einen echten Wettbewerb: „… mit ihren guten Beziehungen und ihren Spenden sind sie in der Lage, Gesetze und Regulierungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.“ Da sie, wie selbst „Maestro“ Alan Greenspan einsieht, inzwischen „too big to fail“ sind, sollten sie in kleinere Einheiten zerlegt werden. Das Aufbrechen von Standard Oil im Jahre 1911 oder der IG Farben nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich im Nachhinein als sehr positiv erwiesen. (Das Buch heißt „13 Bankers: The Wall Street Takeover and the Next Financial Meltdown“ und ist bei Pantheon erschienen.)

Ich hatte am 4. November einen Gastartikel in der Börsen-Zeitung geschrieben, der sich mit der Frage beschäftigte, warum insbesondere die amerikanischen Banken so außerordentlich profitabel sind, warum zeitweise etwa 40 Prozent aller Unternehmensgewinne in den USA auf den Finanzsektor entfielen (vgl. die beigefügte Graphik), warum der Wettbewerb nicht funktionierte, und zu welchen Fehlallokationen volkswirtschaftlicher Ressourcen es dadurch kam. Es handelt sich um ein gravierendes und im Grunde strukturelles Marktversagen an einer zentralen Stelle der Volkswirtschaft. „Die Banken müssen auf ihre Kernaufgaben zurückgestutzt werden und dürfen nie mehr die Steuerzahler oder die Wirtschaftspolitik in Geiselhaft nehmen.“ Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Leider gibt es immer wieder, und fast zwangsläufig, die sogenannte regulatory capture, bei der die Aufseher und Gesetzgeber nach einer Weile auf einmal im Boot derjenigen sitzen, die sie beaufsichtigen sollen. Das passiert vor allem dann, wenn die Materie kompliziert ist – wie etwa bei derivativen Produkten.

Grafik: Gewinne des US-Finanzsektors - 1950-2009Q3

Zurück zu Matt Taibbi: Er schildert anhand der Geschichte von Goldman Sachs, wie durch die systematische Verquickung von Finanzen, Geldpolitik, Aufsicht und Gesetzgebung in großem Stile Geld verdient wird. Bislang ist es noch nicht gelungen nachzuweisen, dass die volkswirtschaftliche Produktivität durch neue Finanzprodukte nachhaltig verbessert werden kann. Nur dadurch ließen sich die exorbitanten Gewinne der Banken rechtfertigen. So aber haben wir es mit einem massiven Marktversagen zu tun, gepaart mit einer unfairen Einkommensverteilung.

Es ist eine lange Geschichte, und sie beginnt gegen Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Bubble Nummer 1: Das heiße Finanzprodukt jener Zeit waren die Investment Trusts, an denen sich, befeuert durch kreditgetriebene Wertsteigerungen, immer breitere Schichten der Bevölkerung beteiligten. Alte Anleger wurden durch die Einzahlungen neuer Anleger, die Kursgewinne und Liquidität bedeuteten, in Sicherheit gewogen. Es kam zu einer gewaltigen Kreditpyramide und einer allgemeinen Euphorie, an deren Ende der Crash von 1929 stand. Real hatten die Aktienkurse laut Robert Shiller erst 1966 wieder das Niveau dieses Jahres erreicht, so lang und tief war die Depression, die auf den Crash folgte. Die Goldman Sachs Trading Corporation war ein Hauptakteur in diesem Geschäftsfeld. Gerechnet in heutigen Dollars beliefen sich ihre Verluste auf nicht weniger als 475 Milliarden Dollar, eine unvorstellbare Summe. Mir ist nicht klar, und Taibbi erklärt es auch nicht, warum Goldman Sachs dennoch überleben konnte. An der Stelle ist seine Analyse etwas dünn. So oder so, Goldman Sachs überlebte jedenfalls.

65 Jahre später war die Bank, die inzwischen den Ruf hatte, die klügsten Köpfe der Branche an sich zu binden, stärker denn je und hatte ein neues lukratives Geschäftsfeld entdeckt, die IPOs, die Initial Public Offerings, also die Börseneinführung von jungen Unternehmen. Goldmans früherer Co-Chairman Robert Rubin war zusammen mit Larry Summers und Alan Greenspan zum wichtigsten Wirtschaftsberater von Bill Clinton geworden. Unter seiner Ägide wurden die Regeln der Börseneinführung entscheidend zugunsten der Banken geändert: Seit den dreißiger Jahren galt, dass nur solche Unternehmen an die Börse gebracht werden durften, die mindestens fünf Jahre im Geschäft waren und in drei aufeinander folgenden Jahren Gewinne gemacht hatten.

Es gelang den Akteuren an der Wall Street, diese Regeln aufzuweichen. Auf einmal war es möglich, Unternehmen an die Börse zu bringen, die noch nicht einmal in absehbarer Zukunft profitabel sein würden. Der Weg für den Bubble Nummer 2 war frei. Goldman Sachs war der König der IPOs und verdiente bei jeder Börseneinführung, für die die Firma die Führungsrolle innehatte, sechs Prozent oder mehr der Emissionssumme.

Eine entscheidende Strategie bestand daran, durch sogenanntes laddering den starken Kursanstieg junger Aktien in den Wochen nach ihrer Platzierung praktisch zu garantieren, was wiederum den Verkauf weiterer Papiere erleichterte. Goldman Sachs bot seinen besten Kunden die Aktien zum niedrigen Emissionspreis an, und zwar unter der Bedingung, dass sie später am offenen Markt weitere Aktien kaufen mussten. Wer also früh einstieg, konnte mit satten Gewinnen rechnen. An Nachfrage fehlte es anfangs ja nicht.

Eine andere beliebte Strategie („spinning„) bestand laut Taibbi darin, den Vorständen der jungen Unternehmen Aktien zu sehr niedrigen Einstandskursen zu überlassen, gegen die Zusicherung, dass die Bank auch bei künftigen Kapitalmaßnahmen eine Führungsrolle spielen würde. De facto handelte es sich um ein Geschäft zulasten Dritter, nämlich der nichtsahnenden außenstehenden Aktionäre.

Am Ende, als die Internet-Blase platzte, wurden allein an der NASDAQ Buchgewinne von etwa 5.000 Milliarden Dollar vernichtet, mehr als ein Drittel des amerikanische Sozialprodukts. Goldman Sachs aber hatte seinen Mitarbeitern von 1999 bis 2002 28,5 Milliarden Dollar an Gehältern und Boni gezahlt, 350.000 Dollar pro Mitarbeiter und Jahr. Zwar kam es zu einigen Klagen seitens übervorteilter Aktionäre, aber die Strafen, die die Aufsichtsbehörde SEC verhängte, waren geradezu lächerlich gering im Vergleich zu den Einnahmen der Mitarbeiter. Sie hatten ihre Schäfchen rechtzeitig ins Trockene gebracht.

Bubble Nummer 3 folgte auf dem Fuße: der amerikanische Immobilienboom. Er zeichnete sich dadurch aus, dass es auf einmal für jedermann möglich war, sich ein Haus auf Pump zu kaufen, und zwar selbst dann, wenn keinerlei Eigenkapital vorhanden war. Oft war noch nicht einmal der Nachweis erforderlich, dass Schuldner einer regelmäßigen Arbeit nachgingen oder ein regelmäßiges Einkommen hatten. Den „Finanzingenieuren“ von Goldman Sachs und anderen gelang es, unter freundlicher Mithilfe der Rating Agenturen aus Müll Gold zu machen, wie sich Taibbi ausdrückt. Die im Grunde wertlosen Hypotheken wurden zu neuen Wertpapieren gebündelt und an gutgläubige Investoren verscherbelt – nicht zuletzt an die Landesbanken, aber auch an Pensionskassen und Versicherungen in der ganzen Welt: Bei gegebenem Rating wiesen die Papiere eine überdurchschnittliche Rendite auf, was sie aus Anlegersicht unwiderstehlich machte.

Als dann seit 2006 die Erträge ausblieben, die Hypotheken nicht mehr bedient werden konnten, weil ein Überangebot an Häusern auf den Markt drückte, kam es zum Crash, der bis heute noch nicht ausgestanden ist. Viele Millionen amerikanische Haushalte und tausende kleine Banken sind nach wie vor finanziell unter Wasser und müssen ihre Bilanzen wieder in Ordnung bringen. Vorher können sie nicht daran denken, mehr zu konsumieren oder zusätzliche Kredite zu vergeben. Zur Zeit werden nur ein Drittel so viele Häuser gebaut wie zu den Spitzenzeiten in der Mitte des Jahrzehnts. Goldman Sachs aber war in der Lage, seinen Mitarbeitern im Jahr 2006 im Durchschnitt 622.000 Dollar zu zahlen.

Als nächste Goldgrube erwies sich für Goldman Sachs der Ölpreisboom: Die Preise waren von Anfang 2002 bis Mitte 2008 von 20 auf 145 Dollar je Fass geklettert, und die Analysten der Bank hatten sogar 200 Dollar als Zielmarke ausgegeben. Als sehr profitabel erwiesen sich in jüngster Zeit zudem die politischen Manöver im Verlauf der staatlichen Rettungsaktionen für den amerikanischen Bankensektor. Kurzzeitig war Goldman Sachs offenbar am Rande des Untergangs, am Ende aber stand die Bank wieder kerngesund da und konnte seine Mitarbeiter so fürstlich belohnen wie eh und je. Ich will hier nicht näher auf die Details eingehen, schon weil es ein ziemlich technischer Text würde. Ich empfehle Taibbi.

Der Widerwille, sich mit solchen Details zu beschäftigen, ist einer der Hauptgründe, weshalb diejenigen, die davor keine Scheu haben, so viel Geld verdienen können. Es fällt übrigens auch den meisten Ökonomen nicht auf, wie der Markt im Finanzsektor immer wieder auf’s Neue ausgehebelt wird. Ihnen ist vielfach nicht klar, dass der Bankenmarkt eine viel größere Bedeutung für unseren Wohlstand hat als die übrigen Märkte für Güter und Dienstleistungen, und dass ihm mit einfachen Modellen nicht beizukommen ist.

Taibbi meint, dass der Handel mit Emissionsrechten die nächste große Blase werden könnte. Die Banken und ihre Händler, Goldman vorneweg, stürzen sich zur Zeit auf das Geschäftsfeld. Er fragt, meiner Ansicht nach zu Recht, warum die Umwelt nur auf diese Weise gerettet werden kann, warum nicht einfach, und ohne gut verdienende Mittelsleute, durch Auflagen und Steuern. Das reicht, wie wir gelernt haben, bei externen Effekten allemal. Den Steuerzahler würde es freuen. Der Emissionshandel ist schon wieder so eine komplizierte Materie, mit der sich weder das Publikum noch die Politiker gern beschäftigen!