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Rettet den Euro – schafft die Schuldenkriterien ab!

 

Warum konnte Griechenland so viele Jahre über seine Verhältnisse leben und sich so stark verschulden? Die einfache Antwort ist: Weil es sich so billig Geld leihen konnte! Die Realzinsen waren jahrelang deutlich niedriger als in Deutschland.

In den neun Jahren von 2001 bis 2009 einschließlich betrug die Inflation der Verbraucherpreise in Griechenland im Durchschnitt 3,2 Prozent, in Deutschland dagegen nur 1,7 Prozent. Am Geldmarkt, also bei Laufzeiten bis zu einem Jahr, waren die nominalen Zinsen de facto für Schuldner in beiden Ländern gleich und damit in Griechenland real um nicht weniger als 1,5 Prozentpunkte niedriger. Bei zehnjährigen Staatsanleihen, also am langen Ende der Zinskurve, lagen die griechischen Renditen im Allgemeinen um rund einen halben Prozentpunkt über den deutschen, und nicht, wie es angemessen gewesen wäre, um mindestens 1,5 Prozentpunkte darüber.

Die Sache lässt sich auch noch aus einer anderen Perspektive betrachten: Die Realzinsen eines Landes haben in der Regel einen engen Bezug zur Wachstumsrate des realen Sozialprodukts: Je schneller ein Land wächst, desto rascher nehmen die Unternehmensgewinne und Löhne zu, und desto höhere Zinsen können die Schuldner zahlen. Das hat den erwünschten Nebeneffekt, dass es zu Kapitalzuflüssen und zu einem kräftigen Wachstum der Investitionen und des Kapitalstocks kommt. Auch bei den Wachstumsraten des realen BIP gab es in den vergangenen neun Jahren starke Unterschiede: Griechenland +3,3 Prozent, Deutschland +0,5 Prozent. Das ergibt eine Differenz von 2,8 Prozentpunkten.

Die griechischen Nominalzinsen hätten während dieser langen Periode im Durchschnitt um rund 4,3 Prozentpunkte über den deutschen liegen müssen. In Wirklichkeit waren sie am kurzen Ende gleich und am langen Ende nur um einen halben Prozentpunkt höher. Die Anleger ließen sich dadurch nicht beirren und gaben sich bei längeren Laufzeiten mit dem minimalen Renditeaufschlag gegenüber deutschen Papieren zufrieden – bei unterjährigen Anlagen hatten sie sogar keinerlei Risikobewusstsein. Das griechische Leistungsbilanzdefizit konnte daher ohne Probleme finanziert werden – es betrug im Durchschnitt stolze 9,2 Prozent des nominalen BIP. Um diesen Wert stiegen denn auch Jahr für Jahr die Nettoschulden gegenüber dem Ausland. Deutschland wies im selben Zeitraum einen durchschnittlichen Überschuss in der Leistungsbilanz von 4,1 Prozent auf. Ein Teil der deutschen Nettokapitalexporte, das Spiegelbild des Leistungsbilanzsaldos, ging auch nach Griechenland. Wenn man die Klagen der Bankvorstände hört, und ihren Wunsch, Griechenland doch bitte nicht Konkurs gehen zu lassen, hat das offenbar etwas mit den Forderungen deutscher Banken in Höhe von 43,2 Mrd. Dollar zu tun, die sich so über die Jahre angesammelt haben.

Dass sich die flotte Lebensweise der Griechen nicht in erheblichen Zinsaufschlägen niederschlug, hatte mit der impliziten Annahme der Anleger zu tun, dass griechische und deutsche Schulden in einer Währungsunion im Grunde von derselben Qualität sind. Beide Länder waren vertraglich verpflichtet, ihre Schuldenpolitik nach den Kriterien des Maastricht-Vertrags auszurichten, also auch in schlechten Zeiten kein Staatsdefizit von mehr als 3 Prozent des BIP zuzulassen. Die Marktteilnehmer unterstellten im Grund bis vor Kurzem, dass wir es mit einer koordinierten, mit Sanktionen bewehrten europäischen Fiskalpolitik zu tun hatten. Ein Korollar war die Annahme, dass alle Länder eine vergleichbar konservative Steuer- und Ausgabenpolitik verfolgen und es daher zu keinen Problemen mit der Zahlungsfähigkeit kommen würde.

Hätte es die Maastricht-Kriterien nicht gegeben, wären zum Einen die Zinsdifferenzen viel früher viel stärker gestiegen, und hätte zum Anderen dadurch schon viel früher der Zwang auf die griechischen Politiker zugenommen, ihre Haushalte unter Kontrolle zu bekommen. Höhere Zinsen hätten sie zum Handeln gezwungen. Durch Maastricht und die mit dem Vertrag verbundenen Annahmen wurde verhindert, dass der Markt die korrekten Signale empfing und die Risiken korrekt einschätzen konnte. Die Kriterien sind eben nicht verbindlich (auch Deutschland hatte ja schon straffrei gegen sie verstoßen). Es gibt keine gemeinsame Finanzpolitik mit so etwas wie einem horizontalen Finanzausgleich und einer schlagkräftigen Euroland-weiten Kontrolle des Haushaltsgebarens, sondern nur ein paar Regeln, die im Ernstfall das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Vermutlich war das den Vätern und Müttern des Maastricht-Vertrags schon von vornherein klar, nur hatten sie wohl die vage Hoffnung, dass es schon klappen würde. Oder es fehlte ihnen einfach an der politischen Phantasie.

Jedenfalls muss Klartext geredet werden: Es gibt nach Artikel 125 des Vertrags von Lissabon (dem Nachfolger des Vertrags von Maastricht) kein Bail-out überschuldeter Regierungen. Da es keine gemeinsame Finanzpolitik gibt, ist das natürlich zwingend. Daher: Weg mit dem zahnlosen Tiger „Schulden- und Defizitkriterien“. Es ist besser, wenn die Anleger und die Schuldner schon in einem frühen Stadium vom Markt mitgeteilt bekommen, was Sache ist.

Abgesehen davon wünsche ich mir, dass jetzt eine Diskussion darüber losgetreten wird, wie die nächste Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion aussehen muss. Es muss ja nicht alles von heute auf morgen passieren, trotzdem wüsste ich gern, wo wir hinwollen. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass der Euro ohne die Aussicht auf eine politische Union nicht überleben wird. Schade, dass Frau Merkel in dieser Hinsicht jede Vision abgeht und sie offenbar denkt, dass die schwäbische Hausfrau auch für Europa ein Rollenmodell abgeben kann. Was hört man eigentlich vom Sachverständigenrat zu diesem Thema. Die beamteten Professoren könnten doch mal ein bisschen Mut an den Tag legen. Immer nur Sparen zu predigen, erfordert jedenfalls keinen, und ist auch nicht besonders originell und zielführend.