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Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge I)

 

Hans-Werner Sinn begleitet mich nun schon fast mein ganzes Berufsleben. Ich halte ihn für einen sehr klugen Ökonomen, er stellt sich seinen Gegnern mit offenem Visier, er ist originell und er hat sein Institut im Griff. Das kann man von den wenigsten deutschen Wirtschaftswissenschaftlern behaupten – ob links oder rechts. Doch irgend etwas scheint ihn dazu zu bewegen, in regelmäßigen Abständen Thesen aufzustellen, die – nun ja – gewagt sind.

Da war die Sache mit der Basarökonomie, wonach die deutschen Exporterfolge kein Indiz für die Wettbewerbsfähigkeit seien, weil hierzulande nur zusammengeschraubt würde, was in Osteuropa hergestellt wurde. Es ist ziemlich still geworden um diese These. Da war der Versuch, den Wechselkurs des Euro auf die Bargeldeinführung zurückzuführen.

Auch in die Debatte um den Euro hat sich Sinn eingemischt – und weil über seine Ansichten oft und gerne und in der Regel unkritisch berichtet wird, nehme ich mir die Freiheit, in einer losen Folge einige von ihnen einem Realitätscheck zu unterziehen. Heute soll es um Kapitalströme gehen.

Sinn argumentiert, dass es den Deutschen lange Zeit schlecht ging, weil das Kapital wegen der starren Arbeitsmärkte hierzulande und der Aussicht auf satte Renditen in Griechenland und anderswo flüchtete.

Es war nämlich nicht gesund, dass in den letzten Jahren so viel Kapital aus Deutschland in die Länder der südwestlichen Peripherie und nach Amerika abgeflossen war. Das Kapital hätte auch hier investiert werden können. Deutschland hatte von 1995 an über 14 Jahre im Schnitt die niedrigste gesamtwirtschaftliche Nettoinvestitionsquote aller OECD-Länder. Wir haben im letzten Jahrzehnt von unseren Ersparnissen nur ein Drittel zu Hause investiert.

Dann passieren zwei Dinge: Gerhard Schröder reformierte die Arbeitsmärkte, und die Investoren verbrannten sich die Finger im Ausland. Jetzt komme das Geld zurück und deshalb gehe es uns gut.

Viele deutsche Kapitalanleger werden ihr Geld nicht mehr wiedersehen. Dies veranlasst sie, umzudenken. Die Zinsabstände steigen wieder, und das Sparkapital wird wieder verstärkt zu Hause angelegt.

Fertig ist die Erzählung, die es politstrategisch erlaubt, Agenda-Reformen zu feiern und gegen die Euro-Rettungspakete zu sein, was ihr in gewissen Kreisen zu Popularität verhilft.

Es gibt eine Reihe von Einwänden dagegen, ich beschränke mich auf einen: Deutschland ist immer noch Nettokapitalexporteur, wie diese Grafik zeigt. Allein im vierten Quartal 2010 haben wir mehr als 30 Milliarden Euro verloren. Das Geld kommt also nicht zurück. Wenn Sinns These stimmt, dann hätte es uns 2002/2003 richtig gut gehen müssen, da war der Saldo in der Leistungsbilanz erheblich geringer.

Und auch die Sache mit den Investitionen ist komplizierter, als es Sinn beschreibt. Ja, die Deutschen haben in den vergangenen Jahren wenig investiert. Aber das lag nicht an starren Arbeitsmärkten oder einem Mangel an Kapital für die Unternehmensfinanzierung, sondern vor allem daran, dass sich der Staat zurückgehalten hat und es keinen Immobilienboom gab. Die Unternehmen hierzulande – und auf die kommt es im Sinne eines nachhaltigen Aufschwungs an – haben nicht weniger Geld ausgegeben als im Rest Europas. Aus dem Herbstgutachten der Kommission, jeweils für die Jahre 2002 bis 2006, Veränderung zum Vorjahr in Prozent:

Germany Euro-Area
Investment in Construction: -2,0 +1,6
Investment in Equipment: +2,8 +2,4
Public Investment: +1,5 +2,5

Fazit: Es gibt viele Gründe für den Aufschwung, mit den Kapitalströmen hat er wenig zu tun, abgesehen vielleicht von der ein oder anderen Regung am Immobilienmarkt.

Update: Gerade gemerkt: Die Zahlen zum Public Investment sind Anteile am Bruttoinlandsprodukt, nicht Veränderungsraten. Ändert aber nichts an der Aussage.