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Portugal wird es schaffen

 

Aus deutscher Sicht lässt sich nicht viel gegen die Erhöhung der Notenbankzinsen um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent in der vergangenen Woche sagen; sie hätten auch stärker angehoben werden können. Nicht ganz so gelassen werden die Dinge in den Ländern gesehen, die mit Schuldenkrisen kämpfen. Da die EZB aber noch nicht signalisiert hat, dass die mengenmäßig unbeschränkte Zuteilung von Zentralbankgeld demnächst beendet werden soll, wird es einerseits nicht an Liquidität fehlen und es andererseits bei kurzen Laufzeiten bei negativen Realzinsen bleiben. Auch die Krisenländer können sich daher kaum beklagen.

Nach Griechenland und Irland hat jetzt auch Portugal die Europäische Kommission um finanziellen Beistand gebeten. Angesichts des großen Haushaltsdefizits – im vergangenen Jahr 8,6 Prozent des BIP -, des nicht nur gewaltigen sondern zudem auch noch rapide zunehmenden Schuldenbergs und der Kapitalmarktzinsen von 8 1/2 Prozent bei den längeren Laufzeiten und mehr als 10 Prozent im 5-Jahresbereich ist der Schuldendienst ohne Hilfe von außen nicht mehr zu leisten. Das Land musste in den vergangenen Tagen für Einjahresgeld beinahe 6 Prozent Zinsen zahlen, während sich die Bundesregierung Mittel mit einer solchen Laufzeit immer noch zu 1,3 Prozent beschaffen kann. Schuldzinsen sollten die mittelfristige Zuwachsrate des nominalen Bruttosozialprodukts nicht allzu sehr übertreffen, wenn sie tragbar sein sollen. Im Falle Portugals sind sie mehr als zweimal so hoch. Portugal ist de facto pleite. Weil am 15. Juni etwa 7 Mrd. Euro zu refinanzieren sind, eine gewaltige Summe für ein Land, das ökonomisch weniger als ein Zehntel so groß ist wie Deutschland, war die Regierung schließlich gezwungen, das Handtuch zu werfen. Die Konditionen, die der Markt verlangt, waren einfach nicht mehr akzeptabel – sie hätten das immer noch arme Portugal auf Jahre hinaus zu gewaltigen Einkommenstransfers an das Ausland gezwungen.

Die Hilfe von außen in Höhe von geschätzten 80Mrd. Euro bedeutet jetzt erst mal eine Atempause. Die fälligen Anleihen und der Kreditbedarf für die Neuverschuldung werden für eine Weile zu Konditionen refinanziert, die deutlich günstiger sind als das, was der Markt im Augenblick verlangt. Die Hilfe gibt es aber nicht zum Nulltarif. Die EU und der Internationale Währungsfonds schlagen nichts anderes als eine Schocktherapie vor, damit die Haushaltsprobleme ein für alle Mal gelöst sind. Wenn Portugal die Kraft dazu hat, kann eine Umschuldung vermieden werden. Das würde den Euro stabilisieren und einen großen Schritt in Richtung koordinierte Finanzpolitik bedeuten. Ein Dominoeffekt, der als nächstes, mit unübersehbaren Folgen, Spanien ergreifen würde, wäre dann nicht mehr zu erwarten. Wie stehen die Chancen?

Zum Einen werden finanzpolitische Auflagen zu erfüllen sein, was vor allem heißt, dass das Staatsdefizit in möglichst kurzer Zeit schrumpfen muss, so dass die Gesamtschulden nicht mehr so rasch steigen. Bereits in diesem Jahr, so der Plan der kürzlich zurückgetretenen Regierung Socrates, soll eine Defizitquote von 4,6 Prozent erreicht werden, und eine von 2,0 Prozent im Jahr 2013. Das bedeutet Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen. Hinzu kommt die Privatisierung von Volksvermögen, vor allem in der Energiewirtschaft, im Transportwesen, im Finanzsektor und in der Telekommunikation. Zudem müssten diese Sektoren beschleunigt liberalisiert werden. Es wird auch erwartet, dass es am Arbeitsmarkt zu sogenannten strukturellen Reformen kommt, sprich: dass Mitarbeiter leichter entlassen werden können und die Löhne flexibler auf die Arbeitskräftenachfrage reagieren, so dass sie real – und möglichst auch nominal – langsamer steigen, oder sogar sinken. Die Koppelung der Löhne an die Inflationsrate muss aufgegeben werden (ich staune, dass es das im Euroland noch gibt). Das Rentenalter soll steigen. Außerdem werden Maßnahmen verlangt, mit denen die Liquidität und Solvenz des Finanzsektors gesichert werden kann. Im öffentlichen Sektor stehen Lohnsenkungen auf der Agenda. Und in der Verfassung solle bitteschön eine Schuldenbremse verankert werden. Was jetzt vorgeschlagen wird, ist keineswegs die Schikane geiziger Geldgeber, sondern größtenteils vernünftig und überfällig, weil dadurch der Wettbewerb gestärkt, der private Kapitalzufluss gefördert und die Zuwachsrate der Produktivität gesteigert wird. Die jetzige Krise kann sich als ein Segen für Portugal herausstellen.

Die neuen Kreditgeber verlangen also eine restriktive Finanzpolitik und tiefgreifende Strukturänderungen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, in dem durch den starken Anstieg der Energiepreise die Kaufkraft der Haushalte stark schrumpft, der Lebensstandard also ohnehin sinkt. Die Arbeitslosenquote beträgt bereits 11,1 Prozent. Die portugiesische Regierung hat natürlich große Probleme, der Bevölkerung diese Schocktherapie zu verkaufen. Eine Insolvenz hätte allerdings ebenfalls äußerst negative Folgen: der Zugang zum Kapitalmarkt wäre vermutlich für lange Jahre versperrt, so dass das Budgetdefizit quasi über Nacht eliminiert werden müsste, noch rascher als bei der Schocktherapie, um die es jetzt geht. Die baltischen Länder haben vorgemacht, wie sich die öffentlichen Finanzen und der Finanzsektor innerhalb kurzer Zeit sanieren lassen; sie haben dabei hingenommen, dass ihr reales Bruttoinlandsprodukt teilweise um bis zu 20 Prozent schrumpfte. Wenn der Wille da ist, kann auch Portugal es schaffen. Ich bin da guter Hoffnung. Portugal ist nicht Griechenland, wo Steuerzahlen nur was für Dumme ist. Portugal kann das Florida Europas werden, nur ohne Sümpfe und Stechmücken.

Spätestens in zwei Jahren soll ein Teil des staatlichen Finanzbedarfs Portugals wieder am Markt gedeckt werden. Mit anderen Worten, die Zinssubvention der EU-Partner und des IWF soll zurück gefahren werden. Dass die Sanierung des Staatshaushalts in so kurzer Zeit gelingen kann, wird am Markt bislang allerdings eher skeptisch gesehen. Jedenfalls sind die Renditen der langlaufenden Staatspapiere auch nach dem Anlaufen der Rettungsaktion nicht gesunken. Dito die Ratingagenturen: Sie sind ebenfalls nicht beeindruckt und dürften die Bonität Portugals weiter herabstufen. Eine Insolvenz Portugals ist weniger wahrscheinlich wie die von Griechenland, aber eben auch nicht vollkommen unwahrscheinlich.

Wenn ich die Risiken und Chancen der portugiesischen Schuldenkrise gegeneinander abwäge, überwiegen letztlich doch die positiven Seiten: Eine unhaltbare Situation wird unter dem Zwang der Umstände in eine haltbare verwandelt. Es entwickelt sich darüber hinaus im Zusammenspiel von EU-Kommission, Eurogruppe, EZB und IWF eine Strategie, wie sich künftige Schuldenkrisen lösen lassen, der Euro wird wetterfester gemacht, die finanzpolitische Koordination kommt auf der Euro-Ebene nach dem Motto „Transfers an den Schuldner gegen durchsetzbare Auflagen“ einen schönen Schritt weiter, und der deutsche Steuerzahler wird am Ende sogar gewinnen. Warum denn das? Nun, die nach wie vor expansive Geldpolitik und, damit verbunden, der relativ schwache Euro haben die Wirtschaft kräftig stimuliert. Im ersten Quartal dürfte das reale BIP um 4,2 Prozent höher gewesen sein als vor einem Jahr. Wann hat es das zuletzt gegeben? Dabei sinkt die Anzahl der Arbeitslosen saisonbereinigt Monat für Monat um etwa 50.000. Es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass sich die Rettung der notleidenden Euro-Länder am Ende als ein gutes Geschäft erweisen wird: Kann eine Insolvenz, und damit ein Schuldenschnitt, vermieden werden, sind die Zinseinnahmen aus den Krediten um einiges höher als die Zinsausgaben der europäischen Schuldenagentur (EFSF). So machen es die Banken: „Leih Dir billig Geld und verleih‘ es teuer, achte dabei aber darauf, dass der Schuldner solvent bleibt.“ Es muss nicht so kommen, kann es aber.