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Hans-Werner Sinn, Target 2 und kein Ende

 

Da ist man einmal zwei Wochen offline und die Target-Debatte sprengt alle Grenzen. Ich habe gerade einige der zahlreichen und interessanten Beiträge – bei Kantoos, bei Weissgarnix, bei Olaf Storbeck, bei Felix Salmon (der Sinn zuerst unterstütze und dann von ihm abgewichen ist), bei Buiter und bei Garber – gelesen und nur für das Protokoll: You read it here first.

Meine Schlussfolgerung aus der Debatte: Target 2 ist und bleibt ein Holzweg – Hans-Werner Sinn hat schlicht auf das falsche Pferd gesetzt. Die Zahlungsverkehrsalden erklären keines der Phänomene, die derzeit von Interesse sind.

1: Natürlich hält die EZB die Banken in den Peripheriestaaten über Wasser und ermöglich damit die Vergabe von Krediten (und den Import von Gütern), die sonst nicht hätten vergeben werden können. Aber um das zu erkennen, braucht es nicht die Analyse Target-Salden. Es reicht der Blick in die Refinanzierungsoperationen, die von den nationalen Zentralbanken veröffentlicht werden. Dort kann jeder nachlesen, wie viel sich griechische oder irische Banken bei der EZB borgen. Das ist alles keine Geheimnis und auch keine Neuigkeit. Ob diese Liquiditätshilfen gut oder schlecht sind, darüber kann man lange streiten. Aber das ist hier nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass uns Target 2 schlicht nichts über Liquiditätssituation in der Peripheriestaaten sagt.

2: Genau so wenig sagt es uns über die Risikoposition des Eurosystems. Wiederum hängt die vom Engagement der EZB in der Peripherie ab, und dieses Engagement ist ein Ergebnis des Anteils der Banken aus der Peripherie an den Refinanzierungsoperationen. Und noch einmal: Wo die Target-Forderungen anfallen, ob bei der Bundesbank, der Banca d’Italia oder der Banque de France spielt keine Rolle. Das Eurosystem insgesamt ist hier der Akteur und Gewinne sowie Verluste werden aufgeteilt. Auch hier gilt also. Die Target-Salden sind irrelevant.

3: Und natürlich geht der Kredit der EZB an eine irische Bank nicht auf Kosten eines Kredits in Deutschlands. Im Moment schon gar nicht, weil sich wegen der Vollzuteilungspolitik jede Bank soviel Liquidität holen kann, wie sie will. Und weil – Henry Kaspar hat es sehr schön erläutert – die deutschen Banken überhaupt keine Zentralbankliquidität brauchen, weil ihnen jede Menge Kundengelder aus der Peripherie zufließen.

Man kann sich natürlich nun eine Situation vorstellen, in der kein Geld mehr nach Deutschland fließt und damit die Konkurrenz um die Liquidität der EZB wächst. Nur ist das ein theoretischer Fall. Denn der entscheidende Punkt ist: Die EZB engagiert sich eben wegen der Kapitalflucht stärker in der Peripherie. Könnten sich die irischen Banken wieder am Markt finanzieren, bräuchten sie die EZB nicht mehr – und damit wäre mehr Liquidität für die deutschen Banken da. Und wie viele Kommentatoren angemerkt haben, steuert die EZB ohnehin nicht die Geldmenge, die ergibt sich endogen aus Kreditangebot und Kreditnachfrage der privaten Banken.

Nun wurde weiterhin argumentiert, dass indem die EZB die irische Wirtschaft über Wasser hält, der (Kapital) Export nach Irland stimuliert wird und damit weniger in Deutschland investiert wird. Aber erstens hat Sinn so nicht argumentiert, und zweitens ist auch das problematisch. Warum sollte eine Bank nicht im Ausland und im Inland finanzieren, wenn es denn rentabel ist? Und ein Unternehmen für Export und Binnenkonsum produzieren? Der Kredit an sich ist tatsächlich keine knappe Ressource. Eine Knappheit ergibt sich nur bei Vollauslastung der Ressourcen – wenn also der Traktorhersteller weniger Traktoren für das Inland herstellen muss, wenn im Ausland mehr nachgefragt wird. Aber erstens sind wir da nicht und zweitens würde selbst in diesem Beispiel nicht zwingend die Kreditvergabe der deutschen Banken sinken. Die Wirtschaft läuft ja auf vollen Touren und der Traktor wird in Deutschland produziert. Mit anderen Worten: Die Komponenten der aggregierten Nachfrage mögen sich ändern, nicht die Nachfrage insgesamt.

Nun versucht Weissgarnix das Argument von Sinn zu retten, indem er argumentiert, die deutschen Banken vergäben gerade keine Kredite, weil sie in Zentralbankgeld schwimmen, dass sie auch am Kapitalmarkt anlegen können, statt es in der Realwirtschaft anzulegen. Nur warum? Sie könnten sich dieses Geld ja genau so gut bei der Zentralbank leihen und es dann anlegen. Ob ihnen das Geld zufließt oder ob sie es sich leihen spielt also keine Rolle.

Die einzige Möglichkeit eines crowding out, die ich sehe, läuft über das Inflationsziel der EZB. Wenn die Stützung der irischen Banken zu einer Überhitzung in Irland führt (Irland also mehr Inflation erzeugt, als dem Land zusteht), müsste die EZB die Zinsen erhöhen und würde damit auch die deutsche Kreditvergabe bremsen. Aber davon kann nun wirklich keine Rede sein. Man könnte natürlich argumentieren, dass Deutschland noch mehr Inflation „ausschöpfen“ kann, wenn Irland in eine Deflation gedrückt wird (weil das Ziel der EZB ja für den Durchschnitt der EWU gilt). Aber ich glaube nicht, dass die Deutschen (und HWS) einen höheren Inflationsspielraum ausnutzen wollten.

4. Lassen wir noch die Empirie sprechen. Buiter hat in seiner Analyse eine schöne Grafik: Sie zeigt die Zentralbankkreditvergabe an den Bankensektor in verschiedenen Ländern.

Was sehen wir: Mit Beginn der Aufschwungs ging die Inanspruchnahme der Zentralbank deutlich zurück. Offenbar ist Liquidität also kein Problem, obwohl doch angeblich die Iren uns das EZB-Geld klauen.

FAZIT: HWS spricht wichtige Themen an, das Exposure der EZB, mögliche Lasten für den Steuerzahler – die Methodik aber ist höchst fragwürdig. Ich zumindest halte das für ein Problem.