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Pro-zyklische Finanzpolitik ist verantwortlich für den Crash

 

Gegen Abend kam der Ausverkauf an den Aktienmärkten und Rohstoffmärkten erst einmal zu einem Ende. Die Anleger erwarten, dass der Chef der Fed angesichts der Panik der vergangenen Tage heute noch einmal ein Kaninchen aus dem Hut zaubern wird. Er könnte beispielsweise verkünden, dass die Notenbank künftig stärker am langen Ende der Renditekurve intervenieren wird oder dass auf Jahre hinaus nicht geplant ist, die Notenbankbilanz wieder zu verkürzen. So oder so, die Botschaft wird sein, dass es nicht an Liquidität mangeln wird. Das wird die Aktienmärkte in den nächsten Tagen vermutlich etwas beruhigen, aber nichts daran ändern, dass sich die amerikanischen Konsumenten mit ihren Ausgaben zurückhalten – ihre Schulden sind einfach zu hoch.

Die wichtigsten Märkte für Staatsanleihen sind nach wie vor sehr fest. Sie waren heute aber etwas schwächer, ebenso wie der Goldpreis, der im Augenblick nur 41 mal höher ist als in der Spätphase von Bretton Woods, nach 43 mal gestern. Den US Treasuries hat die Herabstufung von dreifach auf doppel A nicht geschadet. Im Gegenteil, die zehnjährige Rendite ist seit dem Schluss von Freitag um 16 Basispunkte auf nunmehr 2,38 Prozent gesunken. Bundesanleihen waren nicht ganz so fest und rentieren im Augenblick mit 2,35 Prozent. In beiden Fällen liegen die langen Zinsen unterhalb der Inflationsraten.

Die Anleger gehen offenbar davon aus, dass sich das globale Wirtschaftswachstum deutlich verlangsamen wird, dass deflationäre Tendenzen überwiegen, und dass das Währungssystem stark gefährdet ist. Nichts davon ist neu, aber es ist nicht mehr möglich, die Risiken auszublenden. Sie haben sich kumuliert, und jetzt ist es zum Crash gekommen.

Vor allem dämmert es den Anlegern, dass es sich in den USA nicht um einen normalen Aufschwung handeln wird. Die Verschuldung der privaten Haushalte ist angesichts sinkender Immobilienpreise ein immer größeres Problem – wenn meine Hypothek größer ist als der Marktwert meines Hauses, muss ich auf Teufel komm raus sparen, um meine Kreditwürdigkeit wieder herzustellen. Mindestens 25 Prozent der amerikanischen Haushalte sind davon betroffen. Das hat einen massiven deflationären Effekt. Auch die Vereinbarung zwischen Kongress und Weißem Haus über die Reduzierung des Haushaltsdefizits ebenso wie die Absenkung der amerikanischen Bonität durch S&P wirken per saldo restriktiv. Der Regierung bleibt nichts anderes übrig, als ihre Budgetdefizite zu vermindern. Wie ernst die Lage ist, lässt sich am besten an den Arbeitsmarktzahlen ablesen: Die Beschäftigung war im Juli immer noch um 5,0 Prozent niedriger als Ende 2007, dem bisherigen Höhepunkt – auch das reale BIP liegt nach wie vor unter seinem Vorkrisenniveau. Die Arbeitslosigkeit ist im Juli vor allem deswegen von 9,2 auf 9,1 Prozent gesunken, weil fast 200.000 Menschen aufgehört haben, sich um einen Job zu bemühen.

Es ist auch klar, dass die Versuche Italiens und Spaniens, unter dem Druck der EZB ihre Haushaltsdefizite zurückzufahren, pro-zyklisch, also rezessionsverstärkend wirken. Sind die Defizite erst einmal hoch genug, bleibt den Regierungen nichts anderes übrig als zu sparen. Wenn jetzt in Form von Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen noch mal richtig Gas gegeben würde, wäre absehbar, dass sich die Bedienung der Staatsschulden stark verteuern würde, so dass das Horrorszenarium einer staatlichen Insolvenz für diese beiden Länder immer näher rückte. Großbritannien ist ein weiteres großes Land, in dem bewusst und aggressiv eine Restriktionspolitik betrieben wird.

Ich addiere mal die Anteile der genannten vier Länder am Sozialprodukt der Welt: USA 19,7 Prozent, Italien 2,4 Prozent, Spanien 1,8 Prozent, GB 2,9 Prozent (laut IWF, zu Kaufkraftparitäten) und schätze für die Problemländer Griechenland, Irland, Portugal sowie die gefährdeten Länder Mittel- und Osteuropas einen Anteil von 2 Prozent. Das heißt, dass in 28,8 Prozent der Weltwirtschaft trotz einer großen Unterauslastung der Kapazitäten und hoher Arbeitslosigkeit eine sehr restriktive Finanzpolitik verfolgt wird.

Es sieht zudem danach aus, als ob Frankreich (Anteil: 2,9 Prozent) der nächste Kandidat sein könnte: In normalen Zeiten rentieren zehnjährige staatliche Anleihen des Landes 0,15 Prozentpunkte mehr als Bundesanleihen – in den vergangenen Wochen hat sich der Abstand auf über 0,85 ausgeweitet. Auch die Franzosen sind in der Finanzpolitik nicht mehr unabhängig und müssen sparen.

Wir sind in vielen reichen Ländern, mit wenigen Ausnahmen (Schweden, Schweiz, Deutschland), an einem Punkt angelangt, wo weder die Geldpolitik noch die Finanzpolitik die Konjunktur unterstützen können. Die Geldpolitik ist ohnehin schon so expansiv, wie sie nur sein kann, und die Finanzpolitik steht nolens volens auf der Bremse. Die Finanzmärkte haben das Sagen.

Ich frage mich, wie die Wirtschaftspolitik aus dieser Falle herauskommen kann. Vermutlich kann nur eine international eng koordinierte und sehr expansive Finanzpolitik helfen. Ein New Deal für die Welt. Damit die Leute den Staaten auch weiterhin ihr Geld leihen und nicht irgendwann ihr Vertrauen in die Papierwährungen verlieren, müsste das verbunden sein mit einem glaubhaften Plan, wie die Schulden letztendlich abgebaut werden sollen. Käme es dazu, würde es den Anlegern schwerfallen, zwischen sicheren und weniger sicheren Anlagen zu unterscheiden. Sie könnten sich nicht mehr einzelne Märkte für ihre Attacken heraussuchen. Im Grunde ist das eine Plädoyer für eine Weltfinanzpolitik und daher unrealistisch.

Bin ich zu pessimistisch? Ich sehe mir gern die Prognosen von JPMorgan an, weil sie sehr gründlich sind und mir zeigen, wie die Welt von amerikanischer Warte aussieht. Am vergangenen Freitag veröffentlichte die Bank die folgenden Zahlen: globales reales BIP im ersten Halbjahr 2,2 Prozent annualisiert und mit aktuellen Wechselkursen gerechnet, gefolgt von 3,3 Prozent im zweiten Halbjahr. Die Schwäche in den meisten OECD-Ländern sollte danach also weiterhin durch das robuste Wachstum in den Schwellenländern – 6 Prozent im zweiten Halbjahr – kompensiert werden. Immerhin entfällt inzwischen die Hälfte des weltwirtschaftlichen Outputs auf diese dynamische Region. Die Analysten erwarteten außerdem, dass Japans Sozialprodukt im dritten und vierten Quartal mit Raten von mehr als 7 Prozent zunehmen würde. Das sieht insgesamt nicht schlecht aus und rechtfertigt kaum die Panik, die die Aktienmärkte ergriffen hat.

Es lässt sich auch argumentieren, dass ein Gutteil der wirtschaftlichen Probleme in den Industrieländern seinen Ursprung im jüngsten Rohstoffboom hatte: Weil so viel Geld an die Rohstoffproduzenten transferiert werden musste, nahm das Einkommen mehr als zwei Jahre lang langsamer zu als die Produktion. Wenn nun die Rohstoffpreise zurückgehen, kehrt sich der Prozess um und die Kaufkraft nimmt stärker zu als das reale BIP.

Insgesamt komme ich aber zu dem Schluss, dass es nicht einfach so weitergehen kann als sei nichts geschehen, als handele es sich nur um eine Wachstumsdelle in den OECD-Ländern. Die restriktiven Impulse, die von der pro-zyklischen Finanzpolitik und dem Schuldenabbau in den Ländern ausgehen, in denen Immobilienblasen geplatzt sind, lassen sich nur schwer ausgleichen. Selbst China dürfte einen Schock erleiden, wenn auf einmal die Exporte nach den USA einbrechen – was nichts Anderes heißt, als dass China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft ausfallen könnte. Ziehen wir uns warm an!