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Warum Frank Schirrmacher immer noch kein Linker ist

 

Frank Schirrmacher hat nicht nur sein Gespür für die großen Trends bewiesen, sondern auch einen klugen Aufsatz geschrieben, in dem er die zerstörerische Kraft des entfesselten Marktes eindrucksvoll beschreibt:

Die CDU aber, belehnt mit einem autodidaktischen Ludwig-Erhard-Studium, sieht nicht, wer in diesen schrumpfenden Räumen sitzt: Lehrer und Hochschullehrer und Studenten, Polizisten, Ärzte, Krankenschwestern, gesellschaftliche Gruppen, die in ihrem Leben nicht auf Reichtum spekulierten, sondern in einer Gesellschaft leben wollen, wo eindeutige Standards für alle gelten, für Einzelne, für Unternehmen und für Staaten, Standards von Zuverlässigkeit, Loyalität, Kontrolle.

Man hat diesen Aufsatz als Umkehr eines Konservativen rezipiert, der sich mit linken Positionen anfreundet. Das ist nicht die richtige Interpretation – im Gegenteil.

Schirrmacher geht es vor allem darum, zu zeigen, wie im Zeitalter des too big too fail die Fundamente einer marktwirtschaftlichen Ordnung – Eigenverantwortung, der Zusammenhang von Risiko und Haftung – eingerissen werden, wovon Großbanken und Großunternehmen profitieren. Oder, um es mit anderen Worten zu sagen: Die Elite rettet sich selbst.

Schirrmacher attackiert über weite Teile seiner Schrift also keineswegs den freien Markt, er attackiert die Abwesenheit des freien Markts, also den Staatsinterventionismus zugunsten – wie sollte es auch anders sein – des Finanzkapitals. Das ist ein auch in konservativen und rechten Kreisen oft anzutreffender Topos.

Und es ist ein Topos, den die aufgeklärte Linke nicht unbedingt teilt. Jedenfalls erfährt die Rettung von Euro und Banken aus keynesianischer und postkeynesianischer Ecke wohl die größte Zustimmung – eben weil aus keynesianischer Sicht eine der wichtigsten Lehren des vergangenen Jahrhunderts darin besteht, dass der Versuch, die Eigenverantwortung auf Teufel komm raus durchzusetzen  geradewegs in die ökonomische und politische Katastrophe führt. Wer Pleite Banken einfach Pleite gehen lässt, der kommt bei 1933 raus.

Clemens Wergin in der Welt hat schon Recht, auch wenn Josef Ackermann tausendmal zum Geburtstagsessen im Kanzleramt eingeladen war:

Es handelt sich also um eine ideologische Verkürzung, wenn man als “Elitenrettungsprogramm” bezeichnet, was tatsächlich ein Rettungsprogramm für die ganze Gesellschaft war, Sozialhilfeempfänger und Mittelschicht einbegriffen.

Schirrmachers Traktat strahlt die Sehnsucht nach der ordnungspolitischen Haus-Garten-Hund-Romantik eines Wilhelm Röpke aus. So ist die Welt aber nicht und so war sie nie.

Bezeichnend ist, dass er wie es gerade angesagt ist, Erwin Teufels Ruf nach der Rückbesinnung auf das große C feiert, wobei wohl nicht einmal Teufel selbst bislang in der Lage ist zu erklären, was christliche Politik in der Euro-Rettung nun bedeutet: Griechenland raus? Deutschland raus? Oder Rettung um jeden Preis. Dickes C gleich an der Spree:  Was labersch Du?

Die konkret-korrekte Analyse der Verhältnisse sieht anders aus. Die Krise hat gezeigt, dass Eigenverantwortung und die anderen so genannten Werte des Kapitalismus eine Fiktion sind, die wenn überhaupt nur für die da Unten gelten, nicht für die da Oben. Guido Westerwelle hatte schon Recht: Zu den Kleinen kommt der Pleitegeier, zu den großen der Bundesadler. Wirtschaft und Moral sind zwei Paar Schuhe, begreift es endlich.

Das auszuhalten und wo es möglich ist durch staatliche Eingriffe korrigierend einzugreifen, das ist linke Politik. Nicht der Traum vom gütigen Vater Markt. Insofern verstößt die Bankenrettung vielleicht gegen konservative Moralvorstellungen – aber sie ist links.