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Eine wahre Börsengeschichte

 

Da haben die Kollegen vom Wall Street Journal mal einen hübschen Scoop gelandet. Sie haben die Märkte bewegt. Der Dax fällt am Donnerstag um lockere sechs Prozent und der Dow dann um weitere vier hinterher. Kein schlechtes Ergebnis für ein Artikelchen ohne Substanz. Die WSJ-Reporter, laut Autorenzeile David Enrich und Carrick Mollenkamp, erzählen dem erstaunten Leser, die Fed New York (das ist diejenige regionale Gliederung der US-Notenbank, der, bevor er Finanzminister wurde, Tim Geithner vorstand) sei „sehr besorgt“ (wie sie zwischen authentisch wirkenden Gänsefüßchen schreiben), dass manche europäische Bank nicht an genügend Geld herankommt, um ihre Verpflichtungen in ihrem US-Geschäft zu erfüllen.

O.k., O.k., sagt man sich. Wissen wir auch, dass die Deutsche und manch andere europäische Bank in den USA ganz wie hierzulande ein Riesenrad drehen und muntere Geschäfte mit fremdem Geld betreiben. Das ist, wie das der US-Banken ihr bewährtes, von der Fed goutiertes Geschäftsmodell. Da wundert einen schon, dass die Fed New York jetzt Sorgen hat, weil, wie es in dem wunderschönen Artikel heißt, die meisten der üblichen Geldbeschaffungsoptionen sich über Nacht in Luft auflösen können. Da haben sie recht, die beiden Autoren. So war das anno 2007, als die Finanzkrise hochkochte. Die Geldmarktfonds spuckten nicht mehr wie üblich Geld aus, sondern streikten. Dann kommt in der Tat das US-Finanzierungssystem zum plötzlichen Stillstand.

Wir dagegen haben in Europa eine die Banken umsorgende EZB. Sie gibt ihnen Geld, so viel sie brauchen. In diesem Zusammenhang taucht der winzige Kern der WSJ-Geschichte auf. Eine (ungenannte) Bank habe den ungeheuren Betrag von 500 Millionen Dollar von der EZB als Wochengeld, also für eine Woche geliehen bekommen, schreibt das Blatt. Sie habe dafür mehr Zinsen bezahlen müssen, als wenn sie sich das Geld am US-Geldmarkt besorgt hätte. Was der Leser an dieser Stelle ergänzen soll: Das europäische Institut sei nicht in der Lage gewesen, den kümmerlichen Betrag aufzutreiben, weil die Geldmarktakteure ihm misstrauten. Wir denken nur ein kleines Stückchen weiter: Wir haben es mit einer Bank zu tun, die nach Ansicht der US-Banken und der New Yorker Fed der Pleite nahe ist.

So sind nach diesem netten Bericht die Bankaktien in Europa so um die 10 Prozent abgestürzt. Da ich diese Aktien nicht besitze, tue ich mich leicht zu sagen, das etwas ermäßigte Preisniveau mag eher angemessen sein, als zuvor. Dass europäische Banken ohne die liebevolle Unterstützung ihres Finanzministeriums und ihrer Notenbank keinen Tag – was sage ich? – keine Minute überleben würden, wissen wir alle.

Natürlich auch die Fed. Was in diesem WSJ-Bericht nicht steht, ist die Frage, ob das besagte dubiose Institut keinen Zugang zur Geldbeschaffung durch die US-Notenbank hatte. Wohl nicht. Warum nicht? Weil im bankdemokratischen Amerika die Fed die Geldverteilung unter die minderen, kleineren Banken den großen Geschäftsbanken überlässt. Die nette kleine, europäische Bank mag also das Opfer eines Boykotts der Primärbanken in New York sein. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass die Fed ihre Geldverteilungsmethoden immer noch nicht auf den Stand der einfachen Computertechnik gebracht hat. Ich bin kein Freund der EZB. Aber sie behandelt wenigstens in ihren Geldmarktoperationen die Sparkasse Bielefeld genau so wie die Deutsche Bank.

Noch ein letztes Wort zur WSJ-Story. Zwar ist diese Zeitung seit einiger Zeit Eigentum des rechtsradikalen Rupert Murdoch. Dennoch basieren die dort veröffentlichten Geschichten wie bei News of the World durchaus auf Fakten, wenn auch manchmal im letzteren Fall auf illegal erworbenen Informationen. Das Wall Street Journal ist in diesem Fall vermutlich ganz einfach, wie schon vor Murdochs Machtübernahme, Sprachrohr der Fed.

Das ist der zweite Grund für den Ausverkauf am Aktienmarkt. Wenn die Amis mit solchen Methoden gegen die Europäer schießen, muss ihre Lage höchst unbequem sein.