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Demokratielehrstunden

 

Da gab es am Freitag ein bisschen Theater auf einer Konferenz der EU in Warschau mit ihren östlichen Nachbarn. Die EU-Politiker wollten den Herrschaften in Baku, Kiew, Minsk, Eriwan usw. beibringen, wie man Demokratie richtig macht. In dieser Beziehung gelten die Kerle östlich des Bug und der Karpaten als etwas unterentwickelt. Wenn sie nicht spuren, kriegen sie CIA-gesponserte Blumenrevolutionen an den Hals. Das hat schon den um die Demokratie in der Sowjetunion so verdienstvollen Eduard Schewardnadse in Tiflis das Präsidentenamt gekostet.

Mit dem Herrn über das weißrussische Flachland, das einst von deutschen Truppen auf dem Hin- und dem Rückweg zwei Mal dem Erdboden gleich gemacht worden war, einem gewissen Alexander Lukaschenko, wollten die Regierungen ähnlich umgehen. Er ist nicht wie Wladimir Putin Vorsteher eines so großen und mächtigen Landes wie das nichtweiße eigentliche Russland. Aber er ließ sich auch nicht wegmobben – jedenfalls bisher nicht. Zur EU-Demokatielehrstunde wurde der Bösewicht schon gar nicht eingeladen. Stattdessen trafen sich die EU-Demokraten mit der Opposition und erinnerten damit Lukaschenko daran, wie man im Notfall auch mit nicht genehmen Potentaten etwa in Libyen umgehen kann.

Dieser Lukaschenko erfrechte sich, nun nicht einmal seine Diplomaten zur Warschauer Konferenz zu schicken. Ein Eklat.

Dabei hätte alles pädagogisch und demokratietheoretisch wertvoll laufen können. Die Herren und Damen hätten nur ein wenig Deutschlandfunk oder BBC oder Corriere della Sera oder FAZ gemeinsam hören und lesen sollen. Da hätten sie hören und lesen können, wie gelebte Demokratie in der EU funktioniert. Die mit dem schönen, an das zaristische Russland erinnernde Wort „Troika“ genannte Expertentruppe der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und des Internationalen Währungsfonds erklärte den Griechen, wie ein moderner Staat schlank und rank gut funktioniert. Diese Experten beschränken sich nicht darauf, zu diktieren, dass die Steuern bis dann und dann komplett zu erfassen und hereinzuholen sind oder dass die Ausgaben für Personal des Staates binnen zwei Jahren um soundsoviel Prozent reduziert werden müssen. Das machen sie natürlich auch.

Aber sie lassen es nicht dabei. Geradezu liebevoll kümmern sie sich ums Detail. So ein richtiger Troika-Experte achtet auch auf scheinbar Nebensächliches. Er muss in Athen ja vom Flughafen ins Finanzministerium. Da fällt es ihm schon auf, dass das Taxi in Athen auch nicht billiger ist als im elenden New York oder im teuren London oder Brüssel. Obwohl die Spesen ja von den drei Auftrag gebenden Organisationen beglichen werden, die Höhe der Taxipreise den Troika-Experten (folgt man den Theoremen der Neoklassik) also egal sein könnte, haben sie verdienstvoller Weise Herrn Papandreous Verkehrsminister gezwungen, das System der Taxilizenzen kräftig zu reformieren. Nicht genug damit, die öffentlichen Verkehrsmittel in Athen scheinen den Experten zu billig. Dass die öffentlichen Verkehrsbetriebe wie in weiten Teilen der EU, so auch in Deutschland, subventioniert werden, also Defizite erwirtschaften, muss nun in Griechenland auf Befehl der Troika aufs Schnellste geändert werden.

Diktatoren sind, so wurde mir beigebracht, üble Gestalten. Wenn sie sich aber ums Detail kümmern, dann nennt man sie, so die gern zitierte Hannah Arendt, totalitäre Regime. Auch bei diesen gibt es Unterschiede. Die Zahl der Verletzten auf den Straßen von Minsk auf dem Höhepunkt der dortigen Proteste bleibt, verglichen mit denen in Athen und Thessaloniki in den letzten Monaten ganz erheblich zurück.

Man sollte abschließend noch eines ganz besonderen Elements demokratischer Kultur gedenken. Hier bietet sich als Lektüre ein Brief der Herren Mario Draghi und Jean-Claude Trichet an den Ministerpräsidenten der Republica Italiana, Silvio Berlusconi an. Ihn hat dankenswerterweise das Hausblatt des Grupo Fiat, der Corriere della Sera auch in englischer Version veröffentlicht.

Die beiden Zentralbanker, der noch amtierende und der künftige EZB-Chef, fordern Berlusconi in diesem Brief auf, doch endlich das Programm der Margaret Thatcher aus dem Jahr 1982 (und von Gerhard Schröder 2003) komplett auch in Italien zu verwirklichen: Privatisierungen durchziehen, Flächentarifverträge abschaffen, Renten kürzen – das ganze Programm. Dazu noch einen ausgeglichenen Staatshaushalt, der nach der laschen Planung des italienischen Finanzministers Giulio Tremontis erst 2014 vorgesehen war, zügig auf 2013 vorzuziehen und zu diesem Zweck rigoros alle Ausgaben zu kürzen. Draghi und Trichet berufen sich in ihrem Brief auf den Zentralbankrat, der sich in seiner Sitzung am 4. August ganz offensichtlich die Sorgen der Investoren um die italienischen Staatsfinanzen zu eigen gemacht hat. Wenn Berlusconi nicht spurt, so deutet der Brief an, werde die EZB keine italienischen Staatsanleihen mehr kaufen. Interessant an dem Brief ist außerdem, wie sicher Draghi, Trichet und der Rest der Euro-Zentralbanker anscheinend ganz genau wissen, was die Investoren in italienischen Staatsanleihen für eine ihren Interessen dienliche Politik halten.

Weil Draghi und Trichet offensichtlich ganz stolz auf ihre Macht waren, hat die Presse darüber berichtet, wie die Berlusconi-Regierung ihr Spargesetz sofort verschärfte, als die EZB nur einen Tag lang den Kauf italienischer Staatsanleihen suspendierte und ihre Kurse in den Keller rauschten. Nun war Berlusconi für Italien eine Katastrophe, ebenso wie Thatcher & Blair für Großbritannien und Kohl & Schröder für Deutschland. Aber er wurde (vermutlich mangels einer Alternative) mehrmals vom italienischen Volk und Parlament ins Amt des Ministerpräsidenten gewählt. Dergleichen kann man von Draghi, Trichet oder von Bundesbankpräsident Jens Weidmann nicht sagen.

Demokratie ist nicht mit formalen Regeln gleich zu setzen. Geschenkt. Aber die formalen Regeln, wonach das Volk bei Wahlen das entscheidende Wort haben sollte, so offensichtlich außer Kraft zu setzen, das kommt mir schon ziemlich frech vor. Diese Frechheit können sich die regierenden Banker, Politiker und Notenbanker offensichtlich leisten, weil sich kaum jemand daran stört.