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Hatte Hans-Werner Sinn doch recht?

 

Die Target-2-Debatte hat in den vergangenen Wochen die deutschen Medien im Sturm erobert, mittlerweile wird das Argument fast täglich in einem Artikel zur Geldpolitik verwendet. Und Hans-Werner Sinn hat seine Analyse im Vergleich mit seinen ersten Einlassungen zu dem Thema so sehr überarbeitet (unter anderem wurde die Behauptung fallen gelassen, die Inanspruchnahme der EZB durch die Südstaaten verringere das Kreditvolumen in Deutschland), dass man dagegen zumindest was die innere Logik des Arguments angeht nicht viel sagen kann. Insofern ist ein Teil meiner ursprünglichen Einwände gegenstandslos.

Ich möchte zeigen, weshalb ich den Weg über Target trotzdem immer noch problematisch finde. Man nähert sich dem Sachverhalt gewissermaßen über einen komplizierten Hintereingang, wo es doch einen einfacheren Weg gäbe. Nehmen wir uns Sinns Argumente Schritt für Schritt vor.

1. Sinn argumentiert, die gestiegenen Target-Forderungen der Bundesbank deuteten auf  versteckte und zusätzliche Risiken für den Steuerzahler.

Nun: Geldpolitik ist riskant, weil die Zentralbank den Banken gegen Sicherheiten Kredite gewährt und am Ende der Steuerzahler für die Zentralbank geradesteht. Nur ist die Frage, ob Target der beste Indikator für die Risiken ist. Denn die Ausleihungen der EZB lassen sich ganz einfach in der Bilanz der Notenbank ablesen. Dort erfährt man, dass sie sich Ende Januar auf 809 Milliarden Euro beliefen. Das ist die relevante Summe. Man kann nun weiter in die Bilanzen der nationalen Notenbanken gehen, um festzustellen, wie sich dieses Geld auf die verschiedenen Länder verteilt, um die Gefahr einer Bankenpleite taxieren zu können. So entfallen auf griechische Banken etwa 78 Milliarden Euro. Klar, das hier das Ausfallrisiko hoch ist. Und schließlich sollte man sich in einem dritten Schritt den Sicherheitsrahmen der EZB vornehmen, um abschätzen zu können, wie gut die Qualität der Pfänder ist.

Fazit: Die Risiken für den Steuerzahler hängen von drei Faktoren ab: Volumen der Refinanzierungsgeschäfte, Verteilung auf die verschiedenen Länder, Qualität der Sicherheiten. Man braucht sich nicht in die Details des Zahlungsverkehrs begeben.

2. Sinn argumentiert, über das Zahlungsverkehrssystem würden Leistungsbilanzdefizite in den Südstaaten, die der Markt nicht mehr finanziert, künstlich aufrechterhalten und damit eine nötige Anpassung damit verhindert.

Klar ist: Die Geldpolitik der EZB sichert den Banken in den Krisenstaaten Zugang zu Euro-Geld, den sie sonst nicht hätten. Gäbe es die Währungsunion nicht, so würde eine Austrocknung der privaten Kapitalströme in diese Länder dazu führen, dass deren Währung abwertet, weniger Produkte aus dem Ausland bezogen werden können und sich damit die Leistungsbilanz verbessert. Das ist in der Euro-Zone anders, denn die Wechselkurse sind erstens fixiert und es gibt zweitens für die Banken die Möglichkeit der Refinanzierung bei der EZB (Anmerkung am Rande: Wenn nur die erste Bedingung gegeben wäre, wären wir in der Situation eines Currency Boards wie im Fall Argentinien).

Aber auch hier gilt: Das Ausmaß der öffentlich subventionierten Kapitalströme in diese Länder kann anhand des Bietverhaltens der jeweiligen Bankensysteme bei den geldpolitischen Operationen der EZB analysiert werden. Man muss sich also nur anschauen, wie stark die Banken die EZB beanspruchen.

Dabei ist wichtig, dass eine solche Inanspruchnahme nicht zwingend der Finanzierung eines durch private Kapitalströme nicht mehr aufrechtzuerhaltenden Leistungsbilanzdefizits dienen muss. Das wäre der Fall, wenn die Banken mit diesem Geld neue Kredite refinanzieren, die dann für den Kauf von Waren aus dem Ausland verwendet werden und die sie anders nicht hätten refinanzieren können. Es ist aber auch möglich, dass die Kredite der EZB nur den Transfer von Einlagen ins Ausland kompensieren (ein Punkt, den Sinn einräumt). Und es ist möglich, dass schlicht Verspannungen im Interbankenmarkt INNERHALB der betreffenden Länder ausgeglichen werden und per Saldo überhaupt kein zusätzliches Geld fließt.

3. Und jetzt wird es normativ: Sinn argumentiert, die Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite sei problematisch, weil die nötige Anpassung verhindert werde.

So kann man es sehen. Man kann aber auch argumentieren, dass die zeitliche Streckung der Anpassung für alle Beteiligten positiv ist. Denn es ist die Frage, ob es für die deutsche Wirtschaft so lustig wäre, wenn plötzlich alle südeuropäischen Währungen abwerten und der Außenhandel mit diesen Ländern von einen Tag auf den anderen kollabiert. Denn genau das würde ja passieren. Ein allmählicher Übergang,  ist da sicherlich angenehmer.

Auch wenn man sich die Vermögensseite der Angelegenheit ansieht spricht viel für die sanfte Variante. Sinn argumentiert, dass unser Auslandsvermögen mehr und mehr aus Forderungen gegenüber anderen Zentralbanken beziehungsweise der EZB besteht und wir damit eine qualitative Verschlechterung unserer Vermögensposition hinnehmen müssen. Nur: Im Fall einer schlagartigen Anpassung – Abwertung, Austritt aus der Währungsunion – wäre dieses Auslandsvermögen ja auch stark dezimiert.

Und schließlich zeigt diese Grafik, dass die Peripheriestaaten ihre Leistungsbilanzdefizite durchaus reduzieren.

Grafik: Leistungsbilanzsalden 1999-2010

Fazit:  Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen, komme aber weiterhin ganz gut ohne Target aus.

Hinweis (10.02.2012 22:56 Uhr): Hans-Werner Sinn war so freundlich hier im HERDENTRIEB auf Mark Schieritz zu antworten. (UR)