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Euro beschert Deutschland einen kleinen Immobilienboom

 

Von einem Immobilienboom zu sprechen, ist natürlich übertrieben, aber nach den Jahrzehnten stagnierender Bautätigkeit und nur sehr langsam steigender Preise fühlt sich das, was sich heute am Wohnungsmarkt tut, fast so an. Das hat vielerlei Gründe, aber ein wichtiger dürften die niedrigen Zinsen sein, die uns die EZB beschert hat. Ohne den Euro und die Eurokrise keine negativen Realzinsen am kurzen Ende, ohne die Eurokrise keine Flucht in deutsche Anleihen, Aktien und Immobilien, mit den entsprechenden Vermögensgewinnen.

Viele Kommentatoren hier im Blog sind dem Euro gegenüber sehr skeptisch und würden ihn lieber heute als morgen loswerden, wenn sie nur wüssten, wie sich das kostengünstig bewerkstelligen lässt. Ich will hier mal die Lanze dafür brechen, dass Deutschland sehr davon profitiert, dass es den Euro gibt. Deutschland ist bis auf Weiteres ein Gewinner der Krise.

Die Zahlen: Im April dürfte die Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen im Vorjahresvergleich auf 2,0 Prozent gesunken sein. Das entspricht etwa den mittelfristigen Inflationserwartungen, auf die es bei der Beurteilung der Hypothekenzinsen vor allem ankommt. Die liegen zurzeit für die 5-, 10- und 15-jährigen Festzinsdarlehen bei 1,7 Prozent, 2,4 Prozent und 2,6 Prozent, real also zwischen -0,3 und +0,6 Prozent. Auch wer der Ansicht ist, dass die deutsche Wirtschaft und damit die Einkommen im Trend nur sehr langsam wachsen werden, muss zugeben, dass die heutigen Kreditkonditionen so günstig sind wie seit Menschengedenken nicht mehr und die Schuldner daher nicht überfordern dürften. Der Kauf von Wohneigentum stellt kein großes finanzielles Risiko dar – wenn darauf geachtet wird, dass die Zinsen für eine möglichst lange Frist festgeschrieben werden.

Noch so niedrige Zinsen helfen der Baukonjunktur allerdings nicht, wenn mit sinkenden Immobilienpreisen gerechnet werden muss. Wäre es so, sollte man abwarten. Der Wind hat sich aber gedreht. Der Baupreisindex lag zuletzt um 3,2 Prozent über seinem Vorjahresniveau, die Preise für neue und gebrauchte Wohnungen laut Bundesbank um rund 5 Prozent darüber. Das wird bestätigt durch die steigenden Umsätze im Bauhauptgewerbe – sie waren in der Dreimonatsperiode Dezember bis Februar um 8,9 Prozent höher als vor einem Jahr, obwohl die geleisteten Arbeitsstunden „nur“ um 4,0 Prozent zugenommen hatten.

Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) berichtet in ihrer Pressenotiz vom 23. April, dass die realen Wohnungsbauinvestitionen bereits im vergangenen Jahr gegenüber 2010 um 6,3 Prozent zugelegt hatten. Für dieses Jahr wird jetzt trotz schwachen gesamtwirtschaftlichen Wachstums mit einer Zunahme um 3 ½ Prozent gerechnet. Ein wichtiger Frühindikator für eine solch optimistische, vermutlich sogar zu vorsichtige Prognose sind dabei die Baugenehmigungen im Wohnungsbau – sie waren 2011 im Vergleich zu 2010 um nicht weniger als 22 Prozent gestiegen, auf 204.800 Wohnungen. (Das ist übrigens gerade mal ein Viertel dessen, was in Spanien auf dem Höhepunkt des dortigen Immobilienbooms erreicht worden war. Dabei ist die Bevölkerung Spaniens nur halb so groß wie die deutsche.) Ein anderer, zeitnäherer Frühindikator sind die realen Auftragseingänge im Wohnungsbau: Sie übertrafen im Januar und Februar ihren Vorjahreswert um 22,5 Prozent. Die Branche boomt.

Grafik: Auftragseingang im Wohnungsbau 1991-201202

Es gibt in Deutschland vermutlich einen erheblichen Nachholbedarf. Selbst bei stagnierender Bevölkerung bewirken zwei wichtige Trends, dass die Nachfrage nach Wohnimmobilien ständig steigt: Die Anzahl der Haushalte nimmt weiter zu, ebenso wie das pro-Kopf-Einkommen. Zum Einen schrumpft die durchschnittliche Haushaltsgröße, zum Anderen sind geräumigere Wohnungen eine Begleiterscheinung steigenden Lebensstandards.

Von einem neuen und gefährlichen Bubble zu sprechen, ist wie aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen. Es handelt sich bisher um nichts Anderes als eine Normalisierung auf immer noch sehr niedrigem Niveau, die allerdings aufgrund der expansiven Geldpolitik der EZB kräftiger ausfällt als das allein aufgrund des reinen Nachholbedarfs zu erwarten gewesen wäre. Die folgenden Schaubilder zeigen auf eindrucksvolle Weise, dass es in Spanien, Frankreich und den USA jeweils einen rapiden und lang anhaltenden Anstieg der Hauspreise gegeben hatte, also echte Bubbles, in Deutschland aber das genaue Gegenteil, fast eine Preisimplosion.

Grafik: US-Hauspreise 2000-1202
Grafik: Hauspreise in Europa 1999-2010

Endlich läuft mal wieder was am Immobilienmarkt. Das Schöne daran ist, dass von einer robusten Baukonjunktur traditionell starke expansive Anstoßeffekte auf die übrige Wirtschaft ausgehen und auf diese Weise die Resistenz gegenüber den negativen Effekten aus dem europäischen Ausland kompensiert werden.