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Wo Sarrazin recht hat, hat er recht

 

Es gibt erste kritische Kommentare zur Thilo Sarrazins Text heute in der FAZ. Und in der Tat ist seine Analyse nicht immer auf der Höhe der Zeit. So schreibt er etwa über die Korrektur von ökonomischen Ungleichgewichten:

Das ist völlig normal, in sich auch gar nicht katastrophal und zudem unvermeidlich, da das Ventil der Wechselkurse ja nicht mehr besteht. Die betroffenen Länder verfügen zudem intern über alle Instrumente, um durch eine entsprechende Reformpolitik gegenzusteuern. Tun sie das nicht, ist das Ausfluss ihrer gesellschaftlichen Prioritäten und politischen Entscheidungen. 

Damit verkennt er die sich selbst verstärkende Dynamik, die entstehen kann, wenn halbsouveräne Staaten ohne eigene Zentralbank einer Panik an den Märkten ausgesetzt sind. Man muss schon sehr hohe Anforderungen an das Rationalitätsniveau der Finanzmärkte stellen, um zu argumentieren, wer es nicht aus der Krise schaffe, der sei eben selbst schuld. Und wer bei der Genese des Euro wen über den Tisch gezogen hat, auch darüber kann man streiten.

Aber Sarrazin macht auf einige sehr zentrale Defizite der Währungsunion aufmerksam:

Unhistorisch ist auch die immer wieder angedeutete Verknüpfung der gemeinsamen Währung mit der Frage von Krieg und Frieden in Europa. Europa war im August 1914, als mit Beginn des Ersten Weltkrieges die Lichter ausgingen, de facto ein gemeinsamer Währungsraum, verbunden durch den Goldstandard, der die Währungen Europas verlässlich verknüpfte. Wenn eine stabile spannungsfreie Währungsordnung eine notwendige oder gar hinreichende Bedingung für Frieden wäre, dann hätte der Erste Weltkrieg nie ausbrechen dürfen.

Tatsächlich schützt eine gemeinsame Währung erst einmal vor überhaupt nichts. Wenn sie schlecht gemanagt wird, dann kann sie sogar zur Gefahr für den Frieden werden, weil sie Leid statt Wohlstand bringt und fatale Abhängigkeitsbeziehungen etabliert. Genau in dieser Situation sind wir ja gerade.

Und man mag sich an seinem dezisionistischen Verständnis des Kampfs um die Lastenverteilung im Währungsraum als existentielles Ringen zwischen Schuldner und Gläubiger stören, aber natürlich geht es hier um die Frage, wer am Ende welche Rechnung bezahlt und dabei wird mit harten Bandagen gekämpft.  Seine Schlussfolgerung lautet, wenn man nicht bereit sei, den Euro in letzter Konsequenz auch in Frage zu stellen könnte die Bundesregierung:

in Brüssel den Verfassungsentwurf für einen europäischen Bundesstaat auf den Tisch legen und diesen zur Voraussetzung für alle weiteren finanziellen Bindungen im Rahmen der Währungsunion machen. Damit würde die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt und die Konsequenz aus dem Geburtsfehler des Maastricht-Vertrages gezogen.

Das unterscheidet sich wohltuend von der Analyse eines Paul Kirchhofs, der den Vertrag für sakrosankt erklärt, auch wenn er sich erkennbar in der Realität nicht bewährt hat.