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Und jetzt die Bankenunion!

 

Die EZB hat in der vergangenen Woche getan, was getan werden musste, um den Euro auf ein solides Fundament zu stellen, jedenfalls soweit es ihr Instrumentarium betraf. Jetzt muss eine Bankenunion folgen, durch die die gefährliche Verbindung von Bankrisiken und Staatsschulden ein für alle Mal gekappt wird. Am 29. Juni waren die Weichen dafür gestellt worden. Erst wenn diese Union unter Dach und Fach ist, können wir uns sicher sein, dass auch unsere Kinder und Enkel mit Euro zahlen werden. Eine Währungsunion erfordert auf Dauer eine Fiskalunion, die wiederum eine Vorstufe für eine politische Union ist. Da die Bevölkerung und die nationalen Parlamente dazu noch nicht bereit sind und eine offene Diskussion, darüber wie weit die Europäische Integration letztendlich gehen soll, bislang scheuen, ist die Kombination von Bankenunion und Gelddrucken plus Auflagen das Einzige, was sich gegenwärtig durchsetzen lässt. Das heißt aber nicht, dass dieser neue institutionelle Rahmen nicht belastbar wäre. Wie zu erwarten war, und wie das in der Geschichte des europäischen Friedensprozesses immer wieder der Fall war, muss eine Krise nur ernst genug sein, damit es weitergeht mit der Zusammenarbeit auf unserem kleinen Kontinent. Wir erleben einen historischen Moment, wenn mich nicht alles täuscht.

Was genau ist geschehen, was bedeutet das für die Zukunft des Euro, und was muss noch passieren?

Bis zu einer Restlaufzeit von drei Jahren wird die EZB von nun an ohne mengenmäßiges Limit Anleihen von Staaten ankaufen, die finanzielle Hilfen vom EFSF, später vom ESM, beantragt haben und damit bereit sind, die Auflagen dieser Rettungsfonds zu erfüllen. Sie werden die Steuern erhöhen, Ausgaben begrenzen und strukturelle Reformen in der Finanzpolitik und am Arbeitsmarkt einleiten müssen. Die EZB setzt die Dicke Bertha ein, aber nicht ohne Gegenleistung. Was die Fonds verlangen, ist nichts Weniger als mitten in einer tiefen Rezession eine pro-zyklische Politik zu betreiben, also die Rezession zunächst einmal zu vertiefen. Das führt verständlicherweise zu Widerständen in den betroffenen Ländern, die trotz der tiefen Einschnitte bisher aber relativ moderat waren, was entweder damit zusammenhängt, dass die Maßnahmen im Allgemeinen als überfällig und vernünftig gelten, oder damit, dass die Bevölkerung bereit ist, kurzfristig einen hohen Preis für die weitere Mitgliedschaft in der Währungsunion zu zahlen. Der Euro ist attraktiv, und niemand scheint sich nach neuen Drachmen, Peseten oder Lire zu sehnen. Unter dem Strich bekommen wir eine Vergemeinschaftung der Schulden, die Gläubiger können aber über die Rettungsfonds in die Finanzpolitik der überschuldeten Länder eingreifen, ähnlich wie das in der Bundesrepublik in den Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden der Fall ist.

Die spanischen oder italienischen Zinsen sind unmittelbar nach der Pressekonferenz der EZB nicht nur bei den kürzeren Laufzeiten, sondern über das gesamte Spektrum hinweg kräftig gesunken, während die deutschen gestiegen sind. Das allein wird in den Krisenländern einen erheblichen expansiven Effekt haben, also das Wirtschaftswachstum stimulieren. Da sich die Überlebenschancen des Euro schlagartig verbessert haben, sind auch die Risikoprämien für europäische Aktien und vermutlich auch Immobilien gesunken – die Preise dieser Sachwerte sind gestiegen, was nichts Anderes heißt, dass es billiger geworden ist, sich Kapital zu besorgen. Auch das ein Stimulans für die Konjunktur.

Aus Sicht vieler Landsleute steuert uns die EZB allerdings geradewegs ins Desaster. Staatsfinanzierung durch die Notenpresse! Es ist richtig, dass sich die Qualität der Notenbankaktiva tendenziell verschlechtern kann, wenn Forderungen gegen europäische Banken durch griechische, irische, portugiesische, spanische und irgendwann vielleicht einmal italienische Staatspapiere ersetzt werden. Aber solange die EZB die wackligen Staaten solvent hält, wird es nicht zu Kreditausfällen kommen. Nicht nur das, die EZB wird ihre Gewinne steigern können, weil sich die staatlichen Papiere viel höher verzinsen als die Forderungen gegen Banken; die können sich zur Zeit bekanntlich für magere 0,75 Prozent bei der Notenbank verschulden. Die EZB kann auf diese Weise ihr Kapitalpolster verstärken. Das ist natürlich nur ein Nebenaspekt, wenn auch ein erfreulicher. Erinnern wir uns, die Bundesbank hat in alten Zeiten durch anti-zyklische Käufe von Dollars letztlich auch gut Geld verdient, zur Freude des Finanzministers und der Steuerzahler. So wie heute manche Staatspapiere hatten US Treasury Bills lange Zeit den Status von Ramsch und waren keine Qualitätsbereicherung für die Bilanz der Bundesbank. Im Übrigen hat sich ja gezeigt, dass längst nicht alle Banken, die bei der EZB Geld aufgenommen hatten, gute Schuldner waren. Mit anderen Worten, es ist nicht ausgemacht, dass sich die Qualität der EZB-Bilanz zwangsläufig verschlechtern muss.

Es wird in der deutschen Diskussion gerne vergessen, dass die Krisen in Irland und Spanien nicht in erster Linie auf leichtfertige staatliche Schuldenpolitik zurückzuführen sind, sondern darauf, dass die Banken ihre Bilanzen während der Boomjahre mit großenteils wertlosen Aktiva vollgeladen hatten. Die nationalen Aufsichtsbehörden hatten das vollkommen verschlafen. Auch in Deutschland hat uns die Rettung von HypoRealEstate, IKB und einigen Landesbanken 291 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatsschulden eingebracht (11,5 Prozent des BIP). Unsere Bankenaufsicht war sicher nicht untätig, ihrer Aufsichtspflicht ist sie aber nicht nachgekommen. Immerhin kann sie darauf verweisen, dass ihnen die vielen Banken- und Financelehrstühle keine Hinweise auf die gefährliche Situation gegeben hatten. Niemand hatte ein Gespür für die sogenannten systemischen, also gesamtwirtschaftlichen Risiken. Aufsicht wurde aus der Froschperspektive betrieben.

Die kommende Bankenunion wird diesen Strukturfehler des bisherigen Ansatzes hoffentlich beseitigen. Nationale Lösungen sind Anachronismen, und zwar nicht nur für die kleineren Länder. Die wichtigsten Banken sind längst in ganz Europa aktiv, da macht es keinen Sinn, dass sie allein von ihren Heimatbehörden überwacht werden. Die Geldpolitik ist gesamteuropäisch, und die Risiken sind es auch. Im Augenblick erleben wir sogar eine Tendenz der nationalen Behörden, ihren Banken den Erwerb von Aktiva bestimmter Länder zu untersagen, also möglichst keine griechischen oder spanischen Forderungen zu erwerben. Sie führen auf diese Weise unter der Hand Kapitalverkehrskontrollen ein und beseitigen damit ein Kernelement der Währungsunion! Das muss aufhören.

Zur euroweiten Bankenaufsicht, die zunächst bei der EZB angesiedelt sein soll, gehört zwangsläufig eine Institution, die Banken schließen, umstrukturieren, rekapitalisieren und reprivatisieren kann. Es geht nicht an, dass die EZB verfügt, dass eine Bank ihren Betrieb einstellen muss, dass die Rechnung für diese Aktion dann aber beim nationalen Steuerzahler landet. Am besten zentralisiert man diese Aufgabe beim künftigen ESM oder einer ähnlichen Institution: sie muss Durchgriffsmöglichkeiten haben und über ausreichend Firepower verfügen, mit Zugang zu den Mitteln der EZB. Sie hätte dafür zu sorgen, dass die Aktionäre und großen institutionellen Besitzer von Bankschuldverschreibungen im Konkursfall zur Kasse gebeten werden und nicht alles, wie in Irland, auf die Steuerzahler abgewälzt wird. Für Kleinsparer muss es allerdings konsequenterweise einen Einlagenschutz geben, denn es kann von ihnen nicht erwartet werden, dass sie in der Lage sind, sich ein realistisches Bild von der finanziellen Situation ihrer Bank zu machen und die Risiken ihres Sparkontos korrekt einzuschätzen. Auch das wird euroweit zu regeln sein, vielleicht ebenfalls unter der Ägide des ESM.

Der Teufel steckt natürlich im Detail. Sollen 20 oder alle 6000 europäischen Banken der europaweiten Aufsicht unterstellt werden? Wird es gelingen, die Behörde, die für die europaweite Bankenaufsicht, die Bankenresolution (d.h. die Umstrukturierung und gegebenenfalls die Abwicklung von in Schieflage geratenen Banken) und die Einlagensicherung zuständig sein wird, mit Weisungsrechten gegenüber den nationalen Behörden auszustatten? Es wäre sehr zu wünschen. Dabei sollte die EZB nur eine unterstützende Rolle haben, keineswegs jedoch die Hauptverantwortung tragen. Die EZB darf nicht mit zu vielen Aufgaben belastet werden, schon wegen der vielen Interessenkonflikte, die das mit sich brächte. Und wer kontrolliert diese mächtige neue Institution? Am besten wohl das Europaparlament, das dadurch erheblich an Bedeutung gewinnen würde.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es in den Verhandlungen nicht an Kompromissbereitschaft fehlt. Am Ende dürfte Euroland die modernste Aufsichtsstruktur der Welt haben, die einige Jahrzehnte lang Bestand haben wird, geprägt von den Lehren der jetzigen Finanzkrise.