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Die spinnen, die Gallier!

 

Manches scheint sich nie zu ändern – unter anderem, dass französische Politiker immer dann für eine Abwertung plädieren, wenn es wirtschaftlich mal nicht so gut läuft. Gestern war es wieder so weit. Präsident Hollande beklagte sich vor dem europäischen Parlament darüber, dass der starke Euro zunichte mache, was durch Kostensenkungen und Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren erreicht worden sei. Damit die europäischen Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben, sollte der Euro nicht zu sehr aufgewertet werden. Die italienischen und spanischen Regierungen sehen das nicht anders. Je mehr der Außenwert des Euro steigt, desto lauter dürften die Stimmen werden, die Gegenmaßnahmen fordern.

Ich kann nur davon abraten, bereits auf dem jetzigen Niveau in Panik zu geraten und sich an einem internationalen Währungskrieg zu beteiligen. Schließlich ist es noch nicht so lange her, dass für einen Euro 1,60 Dollar gezahlt werden mussten, er also richtig teuer war; bis dahin ist noch ein langer Weg. Auch damals ist die Welt nicht untergegangen.

Grafik: Dollar-Euro Wechselkurs, täglich bis 05.02.2013
Dollar-Euro Wechselkurs, täglich bis 05.02.2013

Kein Land kann gewinnen, wenn jedes für sich versucht, seinen Wechselkurs durch niedrige Zinsen und den unbegrenzten Ankauf von Dollar, Yen, Pfund Sterling, Schweizer Franken oder den Währungen von Schwellenländern – oder auch Euro! – zu schwächen. Es handelt sich keineswegs um ein Nullsummenspiel, bei dem der eine gewinnt, was der andere verliert. Alle verlieren, weil ein solcher Währungskrieg unweigerlich Gegenmaßnahmen provoziert. Dazu gehört nicht nur, dass die anderen ebenfalls Devisen ankaufen und die Zinsen senken werden, sondern dass sie darüber hinaus im Verlauf der Eskalation Kapitalverkehrskontrollen und Handelsrestriktionen einführen. Die internationale Arbeitsteilung, die entscheidend zu unserer hohen Produktivität und damit zu unserem Wohlstand beigetragen hat, würde teilweise rückabgewickelt.

Wie wir inzwischen gelernt haben, ist nicht alles positiv an den immer längeren grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten, vor allem was die Umwelt angeht und die Berufschancen von weniger qualifizierten Arbeitern. Aber trotzdem sollte unter allen Umständen verhindert werden, dass die Grenzen dicht gemacht werden – nicht zuletzt des lieben Friedens wegen. Es hilft nichts: Wenn man seinen Lebensstandard dauerhaft halten möchte, muss man sich dem Wettbewerb stellen. Der forcierte Strukturwandel, der mit dem Verlust von Arbeitsplätzen in zahlreichen Sektoren der Wirtschaft einhergeht, muss durch eine geeignete Sozialpolitik und Maßnahmen zur Umschulung der betroffenen Arbeitnehmer begleitet werden. Es handelt sich um das alte und immer noch überzeugende deutsche Modell: freie Marktwirtschaft plus Sozialstaat.

Eine Abwertung des Euro bedeutet, dass die eigenen Produkte und Dienstleistungen außerhalb Eurolands billiger angeboten werden können und dass ausländische Produkte hierzulande teurer werden. Das ist natürlich nicht schlecht, wenn es darum geht, kurzfristig Arbeitsplätze zu sichern. Dabei wird implizit angenommen, dass die anderen nicht zurückschlagen. Es ist so, als wollte ich durch eine Lohnsenkung meinen Arbeitsplatz sichern: Ich habe dann zwar ein niedrigeres Einkommen als zuvor, dafür aber noch meinen Job. Längerfristig besteht die weit überlegene Strategie darin, meine berufliche Qualifikation ständig zu verbessern, etwa Sprachen zu lernen, oder den Umgang mit neuen Internetapplikationen, oder am Innovationsprozess teilzunehmen. Ähnliches gilt für ganze Volkswirtschaften: Sie können durch Abwertungen den billigen Jakob spielen, erfolgsversprechender ist aber, neue und anspruchsvolle Produkte zu entwickeln, die reißenden Absatz finden, und zwar selbst dann, wenn sie teuer sind. Die Strategien deutscher Maschinenbauer sind in dieser Hinsicht vorbildlich. Auch von Apple lässt sich lernen!

Ich finde es auffällig, dass alle reichen und/oder rasch wachsenden Länder nicht nur stark in den internationalen Handel und Kapitalverkehr eingebunden sind, sondern allesamt Währungen emittieren, die gegenüber dem Rest der Welt sowohl nominal als auch nach Bereinigung um Inflationsdifferenzen im Trend aufwerten – und in der Regel trotzdem Überschüsse in ihren Leistungsbilanzen aufweisen. Ich nenne nur die Schweiz, Schweden, Dänemark, Singapur, Hongkong, Taiwan, Korea, Malaysia, China sowie Deutschland und die Niederlande vor Beginn der Währungsunion. Wer seine Probleme immer nur durch Preissenkungen lösen will, kann auf Dauer nicht gewinnen.

Wir sollten auch nicht vergessen, dass es von Vorteil ist, wenn sich der Euro zu einer Reservewährung vom Rang des Dollar entwickelt. Das bringt wegen der damit verbundenen Kapitalzuflüsse tendenziell niedrige Realzinsen mit sich und schafft damit einen Anreiz, in Sachinvestitionen zu investieren – was wiederum zu den für die Wirtschaft eines Landes alles entscheidenden Produktivitätsgewinnen führt. Ein Reservewährungsland interveniert gar nicht oder höchstens in extremen Situationen. Intervenieren tun nur diejenigen, die eine bestimmte Parität gegenüber der Referenzwährung anstreben. Daher verfügen die USA auch de facto über keine Devisenreserven – sie halten lediglich sogenannte Working Balances. Bei der Einführung des Euro wurde einst das Ziel ausgegeben, ihn eines Tages zu einer attraktiven Alternative zum Dollar zu machen. Warum sollte das Ziel aufgegeben werden, zumal Abwertungen ohnehin nur vorübergehend helfen, von den eigentlichen Herausforderungen ablenken und uns alle ärmer machen?

Frankreich sollte sich außerdem darüber klar sein, dass seine Zinsen nominal und real deutlich höher wären als heute, wenn es nicht den Euro hätte. Ich weiß, dass es schwer fällt, sich von Verhaltensmustern zu verabschieden, die sich seit dem Sonnenkönig in die Gene des Volkes eingegraben haben. Dennoch gehört zu dem Entschluss, seine Geldpolitik an eine neutrale Instanz wie die EZB zu übertragen, zwangsläufig auch die Bereitschaft, auf Interventionen am Devisenmarkt zu verzichten. Für kleine Länder ist es sinnvoll, Wechselkursziele auszugeben, aber für eine riesige Volkswirtschaft wie Euroland, mit einem relativ kleinen Außensektor, ist das einfach keine Option.