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Die Zombiebanken verhindern den Aufschwung

 

Der Rückgang des realen BIP von Euroland im ersten Quartal war der siebte in Folge. In den USA dagegen hatte es eine Zunahme gegeben, wie in jedem der vergangenen 14 Quartale zuvor. Ähnlich krass waren die Unterschiede bei den Arbeitslosenquoten: In der europäischen Währungsunion steigen sie unaufhaltsam – auf zuletzt 12,1 Prozent –, während sie in Amerika seit Ende 2009 stetig von damals zehn Prozent auf jetzt 7,5 Prozent gesunken sind. Kein Wunder, dass der Euro vor allem in den Krisenländern der „Peripherie“, aber auch in Frankreich, immer mehr mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen hat.

Grafik: Arbeitslosenqoten in den USA und Euroland
Grafik: USA und Euroland: Erholung und Nicht-Erholung nach dem Einbruch USA und Euroland: Erholung und Nicht-Erholung nach dem Einbruch

Ich habe den Verdacht, dass die Unterschiede bei den wichtigsten Wirtschaftsindikatoren vor allem etwas damit zu tun haben, dass die USA ihren Finanzsektor auf dem Höhepunkt der Krise schnell und entschlossen saniert hatten, während es in Europa nichts Vergleichbares gab. Die amerikanischen Banken funktionieren wieder – jede der großen macht pro Quartal bereits wieder Gewinne von mehreren Milliarden Dollar –, die europäischen aber krebsen immer noch vor sich hin. Die meisten sind weiterhin dabei, Personal zu entlassen, ihr Geschäftsvolumen zu verringern, ihre Kapitalbasis zu stärken und, ganz allgemein, die Struktur ihrer Bilanzen (durch „deleveraging“, den relativen Abbau von Verbindlichkeiten) zu verbessern, aber alles sehr langsam.

Im Vergleich zu ihren amerikanischen Konkurrenten sehen sie wie Zombies aus, wie Untote, die nicht tot und nicht lebendig sind. Mit dem Begriff wurden bisher vor allem japanische Banken charakterisiert, jetzt haben ihn zwei holländische Ökonomen in einem Artikel in der Financial Times in Bezug auf die europäischen Banken verwendet (Harald Benink und Harry Huizinga: „Banish the threat from zombie banks in Europe.„)

Die Banken Eurolands vermeiden den Ausweis von Verlusten dadurch, dass sie ihre Kreditforderungen „restrukturieren“. Es ist ziemlich kostengünstig und daher einfach, auch notleidende Kredite zu verlängern, weil sich die Banken bei der EZB de facto fast zu Nullzinsen finanzieren können. Es gibt keine Institution, die sie zwingt, das zu lassen und stattdessen ihr Kapital zu erhöhen und die eigentlich fälligen Abschreibungen vorzunehmen. Da sie wegen ihrer ungesunden Finanzen bislang keinen Zugang zum Kapitalmarkt haben, oder nur zu schlechten Konditionen, müssten sie sich eigentlich an ihre Heimatregierungen wenden.

Vor allem in Italien, Frankreich und Spanien sind die Staaten aber so hoch verschuldet, dass sie für die Rekapitalisierung ihrer Banken kein Geld haben. Jedenfalls glauben sie das. Es läuft wie einst in Japan, mit möglicherweise ähnlich verheerenden Folgen. Warum? Weil es zu keiner Bereinigung des Finanzwesens kommt, und damit auch nicht zu einem Neuanfang auf der Basis gesunder Bilanzen und Kostenstrukturen. Euroland braucht dringend eine schlagkräftige Sanierungs- und Abwicklungsbehörde für marode Banken, der es nicht an finanziellen Mitteln fehlt. Das steht bekanntlich zwar auf der Agenda des Europäischen Rates, eine Einigung ist jedoch noch nicht in Sicht. Die deutsche Regierung fürchtet wieder einmal, dass ihr die Krisenländer ans Portemonnaie wollen, ohne dass sie zu einer Aufgabe von Souveränitätsrechten bereit sind.

Tabelle: "Europäische und amerikanische private Großbanken im Vergleich"

In der obigen Tabelle habe ich das Verhältnis „Aktienkurs zu Buchwert je Aktie“ als Indikator für den Bereinigungsbedarf verwendet. Ein Wert von 0,6 bedeutet, dass die Marktteilnehmer der Ansicht sind, dass die europäischen Großbanken (die aus dem Eurostoxx 50) ihre Kredite und Wertpapiere zu hoch bewerten, dass sie also noch erheblichen Abschreibungsbedarf haben. Es geht, wenn sie mit ihrer Einschätzung richtig liegen, um einen Betrag von etwa 175 Milliarden Euro. Der ergibt sich, wenn ich annehme, dass der Marktwert in der Tabelle im europäischen Durchschnitt 60 Prozent des Buchwerts entspricht.

Übrigens habe ich die niederländische ING Groep nicht mit aufgeführt – obwohl sie Teil des Eurostoxx-Aktien-Index ist –, weil ein großer Teil ihrer Erträge aus dem Versicherungsgeschäft stammt und Bloomberg keine Angaben zu den Buchwerten macht. Ihr Marktwert (26,2 Milliarden Euro) dürfte aber nach wie vor deutlich unter ihrem Buchwert liegen.

Wenn man die 175 Milliarden Euro auf den gesamten Bankensektor Eurolands hochrechnet, reden wir hier vermutlich von einen mindestens doppelt so hohen Betrag. Das wären etwa vier Prozent des Euroland-BIP. Banken, die kein Geld auftreiben können, müssten drastisch schrumpfen oder abgewickelt werden. Um die Steuerzahler zu schonen, müsste das weitgehend nach dem Zypern-Modell erfolgen: Vor allem die Einleger, die Besitzer von Bankbonds und die Eigentümer der Banken würden Vermögensverluste erleiden. Eine solche Perspektive erleichtert natürlich nicht gerade den Zugang der gefährdeten Banken zum Kapitalmarkt.

Der Tabelle ist auch zu entnehmen, dass die amerikanischen Banken offenbar das Schlimmste überstanden haben: Buchwert und Marktwert unterscheiden sich im Mittel nicht mehr. Nebenbei: Was sagt uns die Tatsache, dass der durchschnittliche Marktwert der US-Banken 2,8 Mal größer ist als der der europäischen Konkurrenten? Wir haben zwar eine gemeinsame europäische Geldpolitik, aber bisher nur nationale Mickey-Mouse-Banken. Das hat allerdings den Vorteil, dass es auf dieser Seite des Atlantiks ein entsprechend geringeres „too-big-to-fail“-Risiko gibt. Die Banken können weniger Schaden anrichten. Die Kehrseite ist, dass die amerikanischen Banken bei großen grenzüberschreitenden Wertpapieremissionen, Fusionen und Unternehmensübernahmen den Löwenanteil dieses sehr profitablen Geschäfts an sich ziehen und zudem den internationalen Regulierungsprozess dominieren – wie bisher auch.

Dass die fehlende wirtschaftliche Dynamik Eurolands darauf zurückzuführen ist, dass zu viele Banken künstlich am Leben gehalten werden und dass sich dadurch die Sanierung des Finanzsektors zu lange dahinschleppt, ist natürlich nur eine Hypothese – die sich nur durch Indizienbeweise und daher nicht eindeutig belegen lässt. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass es weder in der Geldpolitik noch in der Finanzpolitik große Unterschiede zwischen den USA und Euroland gab. Die Unterschiede liegen in dieser Beziehung mehr im Timing, weniger in der relativen Größe und der Stoßrichtung der wirtschaftspolitischen Impulse.

Für mich liegt daher der Verdacht nahe, dass es im Euroland vor allem institutionelle Nachteile sind, die das Wirtschaftswachstum verlangsamen. Ich denke dabei an den fehlenden gemeinsamen Finanzminister, den fehlenden gemeinsamen Rentenmarkt und die fehlende zentrale Abwicklungs- und Sanierungsbehörde für Banken. In Krisen fällt es schmerzhaft auf, dass die Entscheidungsprozesse zu lange dauern oder nicht zu einem guten Ende kommen.

Die folgenden beiden Schaubilder sollen zunächst meine These belegen, dass die Geldpolitik ähnlich expansiv war wie die der USA: Sobald der Europäischen Zentralbank das Ausmaß der Krise klar geworden war, senkte sie die Leitzinsen nicht weniger energisch als die amerikanische Fed – in beiden Wirtschaftsräumen sind die Zinsen zudem nach Abzug der tatsächlichen und erst recht der erwarteten Inflationsraten inzwischen negativ. Die Sparer, also die Besitzer von Geldvermögen, werden hier wie dort massiv zur Kasse gebeten.

Grafik: Leitzinsen der EZB und der Fed
Grafik: Reale Notenbankzinsen in den USA und Euroland

Ob die Geldpolitik expansiv, neutral oder eher restriktiv gefahren wird, lässt sich auch daran ablesen, in welchem Ausmaß Geld in den Bankensektor gepumpt wird. Der einfachste Indikator dafür sind die Bilanzsummen der Notenbanken. In dieser Hinsicht ist die EZB bis Mitte 2012 etwa so aggressiv zur Sache gegangen wie die Fed – zwischen Anfang 2007 und Sommer 2012 haben beide Notenbanken ihr Bilanzvolumen jeweils etwa verdreifacht. Die Fed hat allerdings früher Gas gegeben. Dass die Bilanz des Eurosystems in diesem Jahr deutlich schrumpft, hat damit zu tun, dass die Banken einen Teil ihrer Dreijahresgelder, die sie in unbegrenzter Höhe zum Leitzins hatten aufnehmen dürfen, nicht mehr benötigen. Die Liquiditätsprobleme haben sich verringert. In den USA hinterlässt das massive Bond-Aufkaufprogramm (85 Milliarden Dollar pro Monat, oder auf Jahresbasis 6,4 Prozent des BIP) sichtbare Spuren in der Bilanz des Federal Reserve Systems. Die Expansionspolitik geht in die nächste Runde. Aber auch die EZB bereitet zurzeit die Märkte darauf vor, dass es bald zu einer weiteren Geldschwemme kommen dürfte. Beide Zentralbanken stecken in der Liquiditätsfalle und hoffen, dass sie sich durch noch mehr billiges Geld daraus befreien können.

Grafik: Bilanzsummen des Eurosystems und der Fed

An Unterschieden in der Geldpolitik kann es angesichts dieser Zahlen also nicht liegen, dass es im Euroraum wirtschaftlich nicht läuft, in den USA aber schon. Auch qualitativ unterscheiden sich die Politiken der EZB und der Fed wenig.

Ich behaupte weiterhin, dass die Finanzpolitik Eurolands nicht restriktiver war – und ist – als die der USA, jedenfalls wenn man die über alle 17 Länder aggregierten Zahlen als Vergleichsmaßstab nimmt. Nach den Angaben des IWF in seinem jüngsten World Economic Outlook dürfte sich die Netto-Schuldenaufnahme des Staatssektors in den USA von 13,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 auf 6,5 Prozent in diesem Jahr vermindern; im Euroraum sanken die Defizite im selben Zeitraum von 6,4 auf voraussichtlich 2,9 Prozent (damit übrigens unter die Dreiprozentmarke von Maastricht!). Daraus lässt sich nicht ableiten, dass die europäische Sparpolitik ehrgeiziger war als die amerikanische.

Es lässt sich allerdings vielleicht argumentieren, dass die USA in den drei Jahren zuvor, von 2007 bis 2009, einen viel stärkeren Anstieg des Staatsdefizits akzeptiert hatten als die Europäer. Es stieg nämlich von 2,7 auf 13,3 Prozent des BIP, also um 10,6 Prozentpunkte; im Euroraum betrug der Anstieg „nur“ 5,7 Prozentpunkte (von 0,7 auf 6,4 Prozent des BIP). Vor allem die Ausgaben für die Rettung des Finanzsektors machten dabei den Unterschied aus. Das Motto der amerikanischen Regierung war damals „klotzen, nicht kleckern“, nachdem erkannt worden war, dass eine Implosion wie nach dem Konkurs von Lehman Brothers unbedingt vermieden werden musste. Dass die Rekapitalisierung viel Geld kostete, wurde hingenommen. Wenn ein Krieg gewonnen werden muss, wird auch nicht auf’s Geld geschaut. Die Kreditwürdigkeit des Schuldners „amerikanischer Staat“ hat, gemessen an den Zinsen, die er zu zahlen hatte, letztlich nicht im Geringsten darunter gelitten, ganz im Gegenteil.

Seit 2009 jedenfalls unterscheidet sich die Ausrichtung der amerikanischen Finanzpolitik nach dem Kriterium „Veränderung der staatlichen Defizite“ weder in ihrer Höhe noch in ihrer Tendenz von der des Euroraums. Sie ist also nicht etwa expansiver. Die höheren Zuwachsraten des realen BIP der USA lassen sich finanzpolitisch nicht erklären.

Grafik: Öffentliche Defizite in den USA, Euroland und  Deutschland
Öffentliche Defizite in den USA, Euroland und Deutschland

Die Amerikaner haben auch hingenommen, dass ihre Staatsschulden durch die gewaltigen Budgetdefizite vor allem in den Jahren 2007 bis 2010 geradezu explodiert sind, von 66,5 auf 98,2 Prozent des BIP – im Euroraum waren es im Ausgangsjahr ebenfalls 66,5 Prozent, aber „nur“ 85,6 Prozent im Jahr 2010. Seitdem steigen die Staatsschulden in beiden Volkswirtschaften moderat weiter an. Es ist nicht erkennbar, dass die Länder des Euroraums zusammengenommen in der Schuldenpolitik stärker bremsen als die USA.

Grafik: Öffentliche Verschuldung in den USA, Euroland und Deutschland
Öffentliche Verschuldung in den USA, Euroland und Deutschland

Dass es der amerikanischen Wirtschaft heute so viel besser geht als der europäischen, hat nicht nur mit ihren schlagkräftigeren zentralen Institutionen und der dadurch rascheren und entschlosseneren Reaktion auf die Krise von 2008/2009 zu tun, sondern auch damit, dass das Rechtssystem die Entschuldung der Privathaushalte viel mehr erleichtert – es gibt eine Haftungslimitierung. Wenn eine Hypothek nicht mehr bedient werden kann, werden einfach die Hausschlüssel bei der Bank eingeworfen, wodurch das Haus sofort an die Bank fällt. Nur das Haus haftet für die Schulden, nicht die Person. Vielleicht brauchen wir in Europa ein ähnliches System. Das führt natürlich dazu, dass Banken im Verlauf einer Immobilienkrise leichter in Konkurs gehen würden als heutzutage. Entschuldung ist aber der Schlüssel für eine schnelle Überwindung von Finanzkrisen. Da sind uns die Amerikaner voraus.