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Von wegen Neuwahlen oder warum vielleicht die SPD am längeren Hebel sitzt

 

Viel ist derzeit die Rede von Neuwahlen als ultimativem Druckmittel der Union. Doch der Blick in die Verfassung zeigt, dass sich da einige Christdemokraten möglicherweise etwas vor machen. Laut Artikel 63 wählt der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder die Kanzlerin auf Vorschlag des Präsidenten – im konkreten Fall: Angela Merkel.

Wenn das aber nicht gelingt, gibt es keineswegs zwingend Neuwahlen. Denn:

Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann der Bundestag binnen vierzehn Tagen nach dem Wahlgange mit mehr als der Hälfte seiner Mitglieder einen Bundeskanzler wählen.

SPD, Grüne und Linkspartei vereinigen mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestags auf sich. Sie könnten also jederzeit einen SPD-Kandidaten wählen – und nein, das bedeutet nicht zwingend, dass Wahlversprechen gebrochen werden, weil dieser Kanzler ja einen Minderheitenregierung ohne die Linken bilden könnte.

Aber selbst wenn das nicht gelingt, sind wir noch nicht am Ende.

 Kommt eine Wahl innerhalb dieser Frist nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält.

Eine relative Mehrheit reicht also aus und auch die könnte an die SPD gehen. Und weiter geht es:

Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich, so muß der Bundespräsident ihn binnen sieben Tagen nach der Wahl ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Bundespräsident binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder den Bundestag aufzulösen.

Mit anderen Worten: Erst wenn im dritten Wahlgang kein Kandidat die Mehrheit der Mitglieder findet kann der Präsident den Bundestag auflösen. Er muss es aber nicht, denn er kann auch den Minderheitenkanzler ernennen. Wer also sitzt hier am längeren Hebel? Oder wie Frank Lübberding schreibt:

Vor diesem Hintergrund darf jetzt jeder noch einmal überlegen, unter welchen Bedingungen in den kommenden Wochen und Monaten eine Minderheitsregierung oder gar Neuwahlen zu erwarten sind.