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Was Anleger 2014 schockieren könnte

 

Deutsche Aktien sind teuer, Bundesanleihen und Pfandbriefe werfen real kaum noch etwas ab, der Euro hat sich von 1,22 Dollar im Juli 2012 auf fast 1,36 Dollar aufgewertet und in den attraktiveren Städten des Landes gibt es bei Immobilien inzwischen so etwas wie einen Miniboom. Auch an ausländischen Märkten gibt es kaum noch etwas, was wirklich billig ist. Die Zentralbanken geben Gas, aber da die Kapazitätsauslastung überall noch niedrig ist und die Löhne nur sehr moderat steigen, entwickelt sich in den Industrieländern kein Aufschwung, der sich selbst zu tragen verspricht. Die USA könnten die erfreuliche – und wichtige – Ausnahme sein. Aber selbst dort kaufen Unternehmen trotz rekordniedriger Zinsen lieber ihre eigenen Aktien zurück als in Sachanlagen zu investieren. Vielfach haben Aktien den Kontakt zur Realwirtschaft, also zur Entwicklung der Gewinne verloren. Die Hausse hat etwas Künstliches. Will sagen, wenn es Schocks geben sollte, kann es vor allem an den Märkten, die in letzter Zeit gut gelaufen sind, zu deutlichen Kurskorrekturen kommen.

Grafik: Die Entwicklung Internationaler Aktienmärkte seit Mitte 2012

Was sind die größten Risiken? John Authers hat kürzlich in der Financial Times sechs Szenarien geschildert, die die Märkte im kommenden Jahr aus der Bahn werfen könnten. Ich halte mich im Folgenden mal an diese Liste, verwende aber meine eigenen Argumente.

1. Deflation in Europa: Da das reale BIP Eurolands nach der Rezession von 2012 und 2013 im Jahr 2014 um kaum mehr als ein Prozent zulegen wird, bleibt die Outputlücke gewaltig. Zudem sprechen 20 Millionen Arbeitslose und eine Arbeitslosenquote von 12,1 Prozent nicht dafür, dass es zu Lohninflation kommen wird: Zuletzt war die Zuwachsrate der Stundenlöhne identisch mit der Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen (im zweiten Quartal jeweils +1,4 Prozent im Vorjahresvergleich). Real war das also gleich Null. Das eigentlich Überraschende ist für mich, dass die Inflationsrate nicht schon viel niedriger ist als sie ist (0,9 Prozent im November). Administrierte Preise und Unvollkommenheiten des Marktes haben bisher eine Deflation verhindert. Aber wie lange noch? Jedenfalls steht die Sache auf der Kippe. Bekanntlich erschwert ein fallendes Preisniveau den Abbau von Schulden – sie werden realwirtschaftlich größer -, so dass die Länder in der Peripherie Eurolands wieder in die Schusslinie geraten könnten. Die Renditeabstände gegenüber deutschen Staatsanleihen, die sich seit mehr als einem Jahr stetig vermindert hatten, würden wieder größer. Auch nominal nähme die Zinslast zu. Die Banken in der Peripherie, die sich auf der Basis fast geschenkten Zentralbankgelds die Bilanzen mit Anleihen ihrer Heimatländer vollgeladen hatten und inzwischen beträchtliche Kursgewinne erzielt haben, würden erneut ins Schleudern kommen.

Die EZB hat ihr Pulver noch nicht gänzlich verschossen und würde im Falle einer Deflation einen negativen Einlagesatz einführen, den Hauptrefinanzierungssatz von jetzt 0,25 Prozent in Richtung Null senken, den Banken zu noch günstigeren Konditionen als in den beiden Fällen zuvor langfristige Refinanzierungsgeschäfte anbieten und vermutlich auch die Outright Monetary Transactions (OMT) für die Länder aktivieren, die sich unter den EFSF/ESM-Rettungsschirmen befinden. Irgendwann könnte die Zentralbank darüber hinaus anfangen, Dollars anzukaufen mit dem Ziel, den Wechselkurs des Euro zu drücken – wann und ob das einmal spruchreif sein wird, steht in den Sternen.

Insgesamt halte ich Deflation für ein ernstes Risiko. Für die Unternehmensgewinne, die Löhne, die Aktienmärkte käme sie einer Katastrophe gleich.

2. Abegeddon: Das Wort setzt sich aus dem Namen des japanischen Premierministers Abe und dem Begriff „Armageddon“ – dem Schlachtfeld in der Apokalypse – zusammen. Es geht um einen katastrophalen Ausgang der japanischen Reflationierungspolitik: Die Inflation kehrt nach 15 Jahren zwar endlich wieder zurück, aber das Wirtschaftswachstum springt dennoch nicht an. Bisher sind die Marktteilnehmer davon überzeugt, dass das japanische Sozialprodukt auch in den nächsten beiden Jahren real zunehmen wird, mit Raten von bis zu zwei Prozent, allerdings mit abnehmender Tendenz. Die starke Abwertung des Yen, die expansive Geld- und Finanzpolitik, steigende Unternehmensgewinne, die sehr festen Aktien und der Nachholbedarf bei den Investitionen (sie waren seit Mitte der neunziger Jahre rückläufig) sprechen gegen eine neue Rezession. Allerdings drohen im nächsten und übernächsten Jahr eine Erhöhung der Konsumsteuern und eine Reduzierung der öffentlichen Investitionen. Die Staatsschulden haben brutto etwa 230 Prozent des nominalen BIP erreicht, so dass die Regierung nicht nur weiter Gas geben will, sondern gleichzeitig auch ihren Haushalt konsolidieren möchte. Kann das überhaupt funktionieren?

Ein Risiko besteht darin, dass die Aktienkurse ihre Bodenhaftung verloren haben könnten: Der Anstieg des Nikkei 225-Kurs-Gewinnverhältnisses von 15,7 im September 2011 auf zur Zeit 22,9 (Gewinne der letzten vier Quartale) ist ein Warnsignal, ebenso wie das Verhältnis Marktwert zu Buchwert von 1,7 sowie vor allem die Zunahme des Kursniveaus um nicht weniger als 53 Prozent in diesem Jahr. Auch die japanischen Staatsanleihen könnten total überbewertet sein – bei den Zehnjährigen beträgt die Rendite gerade mal 0,67 Prozent! Was, wenn die Inflationsrate tatsächlich auf zwei Prozent steigt, und die Rendite dann auf vielleicht vier Prozent?

Alle Welt hat zudem in diesem Jahr auf einen schwachen Yen gesetzt, einfach weil diese Schwäche von Regierung und Notenbank gewollt war. Sie bedeutet ja, dass das Land Inflation importiert und passt damit zum erklärten Ziel von „Abenomics“. Gegenüber dem Euro hat sich der Yen von 94,3 im Juli 2012 auf jetzt 142,6 abgewertet (ist also um 33,9 Prozent billiger geworden). Ist eine solche Schwäche fundamental gerechtfertigt? Ich kann das nicht erkennen. Mit anderen Worten, in Japan könnten im nächsten Jahr ohne Weiteres drei Blasen gleichzeitig platzen. Die Folgen für die Banken und die Weltwirtschaft wären verheerend.

3. Wacklige BIITS: Die Abkürzung steht für die Länder Brasilien, Indien, Indonesien, Türkei und Südafrika. Es sind allesamt Schwellenländer mit großen Defiziten in den Leistungsbilanzen. Sie haben im vergangenen Jahrzehnt in großem Stil Kapital importiert. Die Anleger hatten darauf gesetzt, dass das Wirtschaftswachstum in diesen Ländern wegen ihrer Kapitalknappheit, der niedrigen Arbeitskosten, der marktwirtschaftlichen Reformen und des großen Aufholbedarfs hoch bleiben würde, so dass die Bedienung der Schulden kein Problem sein würde.

Eine beliebte Strategie bestand darin, sich am amerikanischen Geldmarkt zu verschulden und die Mittel in diesen „Wachstumsmärkten“ zu investieren. Das sind die sogenannten Carry Trades. Wie sich im vergangenen Frühjahr herausstellte, handelte es sich nur teilweise um dauerhafte Investitionen – als nämlich die Fed im Mai laut darüber nachzudenken begann, das Ankaufsprogramm staatlicher Bonds allmählich auslaufen zu lassen, wurde das als der Beginn einer restriktiveren Geldpolitik interpretiert. An den Geldmarktssätzen hatte sich zwar nicht viel getan – sie blieben in der Nähe von Null, aber allein die Erwartung, dass sie demnächst von 0,1 auf 0,2 Prozent steigen könnten (oder auf mehr) bedeutete, dass sich das Modell nicht mehr rechnete. Ein Großteil der Carry Trades wurde rückabgewickelt, die Aktienmärkte brachen ein (Indien ist die Ausnahme) und die Währungen dieser Länder werteten stark ab.

Nachdem in dieser Woche von der Fed offiziell angekündigt wurde, dass peu à peu netto weniger Bonds angekauft würden, ist einigermaßen sicher, dass die Wende in der US-Geldpolitik eingeläutet wurde. An den Geldmarktsätzen soll sich zwar auf Jahre hinaus nichts ändern, die Schwäche des amerikanischen Rentenmarktes und die guten Wirtschaftsdaten legen aber nahe, dass das nichts als ein leeres Versprechen ist. Die Repatriierung der Anlagen aus den Schwellenländern dürfte sich wieder beschleunigen. Das bedeutet sinkende Vermögenspreise, fallende Währungen und Probleme bei den Banken.

4. Der Ölpreis: Seit drei Jahren hält er sich auf hohem Niveau. Für die Produzenten ist das eine tolle Sache, weil die Grenzkosten der Produktion in der Regel sehr viel niedriger sind. Sie wissen gar nicht, wohin mit dem vielen Geld. Warum der Preis nicht fällt, ist für mich ein Rätsel. Schließlich erlebt der größte Verbraucher, die USA, einen Schieferöl-Boom, der demnächst Öleinfuhren überflüssig machen wird, mit dem Iran verträgt man sich wieder, der Irak und Libyen dürften demnächst wieder an alte Produktionsniveaus anknüpfen, die Erneuerbaren sind mächtig auf dem Vormarsch und die Weltwirtschaft wächst nur moderat. Ich denke daher, dass der Ölpreis nicht zu halten sein und deutlich unter 90 Dollar sinken wird. Allerdings ist das aus weltwirtschaftlicher Sicht oder aus Sicht der meisten Anleger keine Katastrophe: rückläufige Ölpreise erhöhen das verfügbare Einkommen in den Ländern, in denen 85 Prozent der Menschheit wohnt und stimulieren daher dort die Konjunktur, die Gewinne und die Aktienkurse. Nicht so gut sieht es bei den Ölproduzenten aus, von Nigeria über Mexiko, Russland und die Golfstaaten, also bei den Ländern, die bisher auf der Sonnenseite standen. Soziale Unruhen könnten folgen, denn nichts bringt eine Bevölkerung so auf wie ein Rückgang eines Lebensstandards, an den sie begonnen hatte sich zu gewöhnen.

5. US Treasuries: Was die Furcht vor einer amerikanischen Zinswende bewirken kann, war im Sommer zu besichtigen: innerhalb weniger Monate stiegen die Renditen im 10-Jahresbereich von 1,63 auf 2,99 Prozent, was einem Kursverlust von rund 13 Prozent entsprach. Seitdem sind die Renditen nicht mehr richtig gesunken und liegen heute bei 2,91 Prozent. Sollten die Renditen demnächst innerhalb kurzer Zeit weiter auf „normale“ fünf Prozent anziehen, gäbe es in diesem Laufzeitenbereich zusätzliche Kursverluste von knapp 20 Prozent. Die gesamten Buchverluste auf die ausstehenden Schulden der US Treasury von Mai 2013 bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das „normale“ Renditeniveau erreicht ist, lägen dann in der Größenordnung von 3.000 Milliarden Dollar. Der Renditeanstieg bei den Treasuries hat darüber hinaus den Effekt, dass alle anderen Kapitalmarktzinsen steigen würden. Es käme zu einer neuen Rezession, mit Ansteckungseffekten für den Rest der Welt.

6. In China platzen Blasen: Niemand weiß so recht, wie gefährlich die verschiedenen chinesischen Immobilienblasen sind und was von der rapiden Expansion des Kreditvolumens (auf 200 Prozent des Sozialprodukts) in den vergangenen Jahren zu halten ist. China ist die Wachstumslokomotive der Welt. Kein Land, einschließlich der USA, trägt zurzeit mehr zur Expansion des globalen BIP bei. Bislang ist es den Wirtschaftspolitikern noch stets gelungen, die Konjunktur bei Rückschlägen rasch wieder in Fahrt zu bekommen. In der Krise von 2008/2009 stieg das reale BIP Chinas jeweils um etwa 9,5 Prozent. Wenn die Zahlen stimmen, ist das geradezu sensationell für ein Schwellenland. Wenn die Exporte nicht mehr so gut laufen, wird notfalls auf die Binnennachfrage umgeschaltet. Die Investitionsquote wurde auf etwa 50 Prozent des BIP hochgetrieben. Angesichts solcher Zahlen ist fast sicher, dass viel Geld sinnlos ausgegeben wurde und die Bankbilanzen voll sind mit riesigen Mengen fauler Kredite. Was passiert, wenn sie nicht mehr bedient werden können? Vielleicht nicht viel, weil die wichtigsten Banken in staatlichem Besitz sind und vermutlich mit einem Federstrich rekapitalisiert werden können – mit der Druckerpresse der People’s Bank of China als Geldquelle. Das dürfte auch deshalb funktionieren, weil zumindest die offiziell ausgewiesenen Budgetdefizite und Staatsschulden im internationalen Vergleich sehr niedrig sind. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass China netto kein Kapital importiert und daher unabhängig ist von den Launen der internationalen Kapitalmärkte. Mit anderen Worten, es fällt schwer, ein richtiges Katastrophenszenarium zu entwickeln. Wir müssen uns mit Daumendrücken behelfen – wird schon nichts passieren!

Insgesamt gilt ja die Daumenregel, dass immer viel mehr Krisen und Katastrophen an die Wand gemalt werden als dann wirklich eintreten. Die Weltwirtschaft ist flexibler als man denkt. Und wenn es schlimm zu werden droht, „wächst das Rettende auch“. Eine stetige und gewissermaßen langweilige Expansion der Weltwirtschaft ist immer noch die wahrscheinlichste Variante unter den vielen vorstellbaren. Trotzdem werden die Kapitalmärkte auch im kommenden Jahr sehr volatil sein, aber natürlich anders als in diesem Jahr. Das ist eine Binsenwahrheit.