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„Mehr Vertrauen in Marktprozesse“

 

Das ist der Titel, den die fünf Sachverständigen ihrem neuen Gutachten gegeben haben. Haben sie schon vergessen, dass die große Rezession der vergangenen Jahre dadurch ausgelöst wurde, dass den Marktprozessen bei Immobilien und Banken freier Lauf gewährt wurde? Wir haben gelernt, dass Vertrauen gut ist, dass es ohne Kontrolle aber nicht geht, jedenfalls da, wo es kreditgetrieben zu Fehlallokationen, Vermögensblasen und Crashs kommen kann, die die ganze Volkswirtschaft in einen Abwärtsstrudel ziehen. Klar, in vielen Bereichen wäre mehr Markt wünschenswert, etwa in der Landwirtschaft, bei den freien Berufen (Notaren, Maklern, Architekten, Taxifahrern, Rechtsanwälten), auch bei der Energiewende, aber lakonisch zu erklären, dass wir mehr Vertrauen in die Marktprozesse haben sollten, kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. Märkte übertreiben oft in die eine oder andere Richtung und produzieren nicht immer einen Zustand, in dem gleichzeitig Vollbeschäftigung und stabile Preise herrschen.

Ebenso erstaunlich sind die Gründe, die für die erneute Schwäche der deutschen Konjunktur verantwortlich sein sollen. Diesmal sind es (1) geopolitische Risiken, sprich die Ukraine-Krise, (2) ungünstige Entwicklungen im Euro-Raum, also Probleme bei den Exporten, und (3) fehlendes Vertrauen in die Wirtschaftspolitik – Stichworte sind hier die Energiepolitik, der kommende Mindestlohn, die Mütterrente und die Rente mit 63 für Leute, die mindestens 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Ich frage mich, welches Konjunkturmodell der Rat im Kopf hat.

Unerwähnt bleibt, dass der Einbruch des Ölpreises, und damit der des Gaspreises, die Konjunktur massiv stimulieren wird. Es kommt ja zu einer kräftigen Zunahme der Kaufkraft. Und ist nicht die Abwertung des Euro gegenüber den Währungen im Rest der Welt ein weiteres massives Konjunkturprogramm, nicht nur für Deutschland, sondern ebenso für die europäischen Partnerländer? In den vergangenen sechs Monaten ist der reale handelsgewogene Wechselkurs um nicht weniger als 5,9 Prozent gesunken, hat also genau das getan, was in der gegenwärtigen Situation von allen Seiten empfohlen wird. Der Welthandel wird zudem real 2014 und 2015 mit Raten von 2,8 und 4,0 Prozent zunehmen, so dass die Exporte eigentlich wieder einmal brummen sollten.

Wann waren außerdem die Zinsen nominal jemals so niedrig wie heute; selbst gemessen an den Inflationserwartungen, also real, sind sowohl die Swapsätze als auch die Renditen der Staatsanleihen über das gesamte Laufzeitenspektrum hinweg negativ. Die EZB fleht den Staat, die Unternehmen und die Häuslebauer geradezu an, Schulden zu machen, Geld auszugeben und damit die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. So gute Konditionen wie heute hat es seit Menschengedenken nicht gegeben. Warum funktioniert es nicht?

Am Arbeitsmarkt läuft es doch ganz prächtig, so dass die Konsumenten ruhig etwas optimistischer sein könnten. Nicht weniger prächtig sieht es bei den Gewinnen der Unternehmen aus. Warum investieren sie nicht mehr? Sie könnten angesichts ihrer beträchtlichen Kapazitätsreserven – und damit ihrer nicht minder beträchtlichen Produktivitätsreserven – mit einem zusätzlichen Turboeffekt bei den Gewinnen rechnen. Haben sie Angst vor dem Mindestlohn? Oder vor zu hohen Energiepreisen? Lächerlich.

Wenn die Konjunktur trotz dieser hervorragenden Rahmenbedingungen schon wieder ins Stottern kommt, muss an anderer Stelle ein starker Gegenwind wehen. Um die Subventionen für erneuerbare Energien und die Mütterrente kann es sich dabei ja wohl nicht handeln. Wie wäre es aber mit dem Folgenden?

(1) Der fortgesetzte Schuldenabbau (deleveraging) in Ländern, in denen Immobilienblasen geplatzt sind, führt dort dazu, dass die Ausgaben im privaten Sektor trotz expansiver Geldpolitik kaum steigen – durch neue Schulden kann die Kreditwürdigkeit nicht wiedererlangt werden.

(2) Auch der europäische Bankensektor ist unter dem Druck der Politik dabei, seine Bilanzen zu sanieren, also zukunftsfest zu machen. Das erfordert Kapitalerhöhungen und einen Abbau von riskanten Aktiva. Gemessen an der Relation Kurs zu Buchwert ist bei vielen großen Banken der Prozess noch lange nicht abgeschlossen, will heißen, sie zögern bei der Vergabe neuer Kredite, was für die Konjunktur nicht gerade förderlich ist.

(3) Am wichtigsten ist vermutlich, dass in den Euro-Ländern durchweg eine pro-zyklische Finanzpolitik betrieben wird, mit Deutschland an der Spitze. Durch den forcierten Abbau staatlicher Defizite sollen Unternehmen dazu animiert werden, endlich wieder mehr zu investieren. Denn daran hapert es. Wie wir aber in den USA und Großbritannien in diesen Tagen sehen, ist es den Unternehmen ziemlich gleichgültig, wie hoch die staatlichen Defizite sind. Wenn die Kapazitätsauslastung so niedrig ist wie sie immer noch ist, ist niemand über neue staatliche Schulden beunruhigt – wenn sie im Rahmen bleiben, versteht sich.

Die Investitionen der Unternehmen sind vor allem eine Funktion der Absatzerwartungen, nicht der staatlichen Defizite. Wenn der Fiskus zu stark auf die Bremse tritt, beeinträchtigt das diese Erwartungen. Davon wollen die Sachverständigen aber nichts wissen. Spare in der Not, damit es Dir hinterher noch schlechter geht. Die Auflagen des Maastricht-Vertrags zwingen die Regierungen, ständig eine Politik gegen ihre eigenen Interessen zu betreiben. Wer haut denn endlich einmal diesen Knoten durch?