Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Banken noch nicht aus dem Schneider

 

Ich halte die Ruhe an den europäischen Kapitalmärkten für trügerisch. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht, auf sich allein gestellt, sind die Banken im Allgemeinen nicht solide finanziert und daher immer noch sehr krisenanfällig. Nach wie vor verfügen sie, anders als „normale“ Unternehmen, nur über dünne Kapitalpolster, was ein Indiz dafür ist, dass sie darauf vertrauen, in einer Krise wegen ihrer angeblichen Relevanz für das große Ganze erneut von big daddy, den Steuerzahlern, gerettet zu werden. Eine durchgreifende Reform des Bankensektors steht weiterhin aus: Das Problem des too big to fail und damit des Erpressungspotenzials der Banken ist bisher noch nicht gelöst worden. Selbst die Bundesbank beklagt, dass es im Verlauf der Finanzkrise kaum zu Marktaustritten größerer Banken gekommen ist (Finanzstabilitätsbericht 2014, S. 7).

Was die Situation in Deutschland angeht, ist die ungewichtete Eigenkapitalquote von März 2008 bis Dezember 2013 zwar von 4,8 auf 5,8 Prozent der Bilanzsumme gestiegen (ebendort, S.9) – und der Anteil der Fremdmittel entsprechend gesunken –, aber das heißt immer noch nichts Anderes, als dass Abschreibungen in Höhe von 5,8 Prozent der Bilanzsumme das Eigenkapital der Banken auslöschen würden. Wie wir im Verlauf der Finanzkrise gelernt haben, ist das keineswegs unvorstellbar. Wenn nicht an anderer Stelle kompensierende Erträge erzielt werden können, käme es zu Überschuldungen und Konkursen – oder, wahrscheinlicher, zu Verstaatlichungen und erzwungenen Fusionen zulasten der Allgemeinheit.

Richtig ins Kontor würde ihnen schlagen, wenn die EZB eines Tages beginnt, die Leitzinsen zu erhöhen. Das hätte zur Folge, dass im Standardgeschäft der Banken – sich kurzfristig Geld zu leihen und es längerfristig anzulegen – Verluste entstehen. Gleichzeitig dürfte dann auch der Marktwert ihrer Bestände an festverzinslichen Anleihen einbrechen. Da in einer solchen Situation zusätzlich damit zu rechnen wäre, dass den Märkten Liquidität entzogen wird, entfiele das vielleicht wichtigste Element hinter der jetzigen Aktienrallye, das reichliche und billige Geld.

Aber weil nicht sein kann was nicht sein darf, dürfte ein solches Horrorszenarium auf absehbare Zeit verhindern, dass die EZB ihren Expansionskurs aufgibt. Am Markt wird das genauso gesehen; andernfalls wäre nicht zu verstehen, warum die Nachfrage nach europäischen Bonds so stark ist: 10-jährige Bundesanleihen rentieren heute nur noch mit 0,54 Prozent; selbst italienische Staatsanleihen werfen lediglich 1,81 Prozent ab, trotz öffentlicher Schulden in Höhe von 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Grafik: Rendite 10-jähriger Staatsanleihen, DE FR ES IT

Aber was passiert mit den Banken, wenn sich am Ende im Euroland doch Deflation einnistet? Im Dezember könnte erstmals seit 2009 wieder ein Minus vor der Inflationsrate gestanden haben: Rückläufige Energiepreise, eine gewaltige Output-Lücke, unverändert hohe Arbeitslosenzahlen, sinkende Erzeuger- und Einfuhrpreise sprechen dafür, dass die Anbieter von Gütern und Dienstleistungen weder Druck verspüren, die Preise anzuheben, noch angesichts des scharfen Wettbewerbs die Möglichkeit dazu haben.

Grafik: Inflationraten im Euroraum

Die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer sind in den vergangenen Monaten bereits deutlich nach unten revidiert worden, auf weniger als den mittelfristigen Zielwert der EZB von knapp unter zwei Prozent. Aus der Renditekurve der Bundesanleihen lässt sich ablesen, dass die Anleger in fünf Jahren mit einer 5-Jahresrendite von dann 1,07 Prozent rechnen, während die Renditen der inflationsgeschützten Staatsanleihen Frankreichs, Deutschland und Italiens für die nächsten zehn Jahre durchschnittliche Inflationserwartungen von 0,91 Prozent, 0,78 Prozent und 0,72 Prozent implizieren, mit sinkender Tendenz.

Ein für längere Zeit sinkendes Preisniveau ist inzwischen mehr als nur ein Gedankenspiel. Es würde nicht mehr überraschen. Deflation bedeutet, dass der Realwert und damit die Last der Schulden zunimmt. Sobald die Unternehmen und der Staat, die wichtigsten inländischen Nettoschuldner, dazu übergehen, durch forciertes Sparen ihre Kreditwürdigkeit wiederherzustellen, kommt es zu einer Rezession. Wer erwartet, dass morgen alles billiger ist als heute, wird sich zudem mit seinen Käufen Zeit lassen – auch das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Rezession. Für die Banken bedeutet das neue Abschreibungen, diesmal auf ihr Kreditportefeuille. Sie sind bereits seit etwa 2009 dabei, ihre Außenstände gegenüber dem privaten Sektor Eurolands zu vermindern.

Grafik: Aktiva und ausstehende Kredite der Banken

Es bleibt noch viel zu tun. Da es im europäischen Bankensektor im Verlauf der Bilanzkrise praktisch keine Marktaustritte größerer Institute gegeben hat, haben die Überkapazitäten eher zu- als abgenommen, was sich negativ auf die Erträge und damit Stärkung des Eigenkapitals ausgewirkt hat. Bisher hat es insbesondere an Anreizen gemangelt, das Bankgeschäft aufzugeben. Daran haben auch die jüngste Bilanzüberprüfung und der Stresstest für 130 systemrelevante Banken des Euroraums nichts geändert – de facto wurde dem Sektor eine robuste Gesundheit bescheinigt. Das lag vor allem daran, dass die Prüfer sich weiterhin mit sehr niedrigen (gewichteten und ungewichteten) Eigenkapitalquoten zufrieden gegeben haben.

Wenn die Ansprüche an die Qualität der Bankbilanzen nur sehr bescheiden sind, wundert es nicht, wenn fast alle den Test bestehen und nur wenig nachgebessert werden muss. Die Banken sind aber weiterhin für eine größere Krise schlecht gerüstet. Auslöser könnten etwa massive Zahlungsausfälle im Energiesektor sein (Stichwort stranded carbon assets), eine globale Rezession, verursacht durch Fehlinvestitionen und das Platzen von Blasen in China, oder vielleicht durch eine Trendwende am Rentenmarkt Europas, etwa im Gefolge des anstehenden geldpolitischen Kurswechsels in den USA.

Ab dem 1. Januar 2016 treten die neuen EU-Vorschriften zur Sanierung und Abwicklung von Banken (BRRD) in Kraft, durch die sich die Aktionäre und Gläubiger der Banken an den Verlusten und gegebenenfalls der Sanierung strauchelnder Institute beteiligen sollen (bail-in statt bail-out durch den Steuerzahler). Es ist aber keineswegs sicher, dass das auch für die ganz Großen unter den Banken gilt, wenn es wirklich einmal hart auf hart kommt. Politiker haben eine Heidenangst vor den Folgekosten eines europäischen Lehman-Desasters. Stand heute müssen sich die systemrelevanten Banken daher wenig Sorgen um ihre Zukunft machen und können sich mit der Reparatur ihrer Bilanzen Zeit lassen.

Eine Schlussbemerkung: Es sollte einmal durchgerechnet werden, was es unter dem Strich wirklich kostet, eine oder mehrere europäische Großbanken konkurs gehen zu lassen, und wie viel das ist im Vergleich zu den Kosten einer Rettung durch den Steuerzahler. Der starke Anstieg der Staatsschulden, der darauf folgt, erzwingt jedenfalls im Euroraum mit seinen Masstricht-Kriterien eine restriktive Finanzpolitik, die – wie gesehen – jahrelang das Wirtschaftswachstum bremst, die Arbeitslosigkeit in die Höhe treibt, Kapazitäten brach liegen lässt und das Trendwachstum des Produktionspotenzials erheblich vermindert. Vermutlich ist ein Ende mit Schrecken, also eine Reihe von Bankpleiten, realwirtschaftlich eine günstigere Alternative als ein Schrecken ohne Ende in Form eines langfristig unterausgelasteten Produktionspotenzials. Das wäre jedenfalls mein Verdacht. Banken sind natürlich keine Imbissbuden, und der Staat muss selbstverständlich eingreifen, damit Versorgungsfunktionen wie Zahlungsverkehr, Wertpapiertransaktionen oder die Bonitätsprüfung aufrecht erhalten bleiben. Zu einer Marktwirtschaft gehören jedenfalls Konkurse, einschließlich Konkurse von einst wichtigen Banken, zumal der Bankensektor nun wirklich so sehr old economy ist wie sonst fast keine andere Branche.