Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Anlagestrategie in Zeiten niedriger Ölpreise

 

Anfang des Monats hatte ich mich im Herdentrieb bereits mit der Frage beschäftigt, was passiert, wenn der Ölpreis dauerhaft niedrig bleibt. Damals lag der Fokus mehr auf den gesamtwirtschaftlichen Effekten, jetzt habe ich mich in meinem neusten Investment Outlook der Frage etwas detaillierter aus der Anlegerperspektive gewidmet.

Worum geht es? Zunächst ist klar, dass wir es sowohl international als auch innerhalb von Ländern mit einer Umverteilung von Einkommen zu tun bekommen: Die Exporteure fossiler Brennstoffe verlieren, die Importeure gewinnen, und zwar in der Größenordnung von rund drei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts, Jahr für Jahr, wobei ich annehme, dass auch die Preise der Erdölsubstitute Gas und Kohle dauerhaft sinken. Letztlich wird ein großer Teil der Umverteilung, zu der es seit Beginn des Jahrhunderts gekommen war, wieder rückgängig gemacht. Gewinner sind neben Unternehmen, die energieintensiv produzieren, auch die ärmeren Haushalte in den OECD-Ländern – niedrigere Energierechnungen wirken ähnlich wie ein Rückgang der Mehrwertsteuersätze. Konsumwerte profitieren davon.

Insgesamt sinkt die Sparquote der Welt, was einen expansiven Effekt auf die Konjunktur hat. Das Risiko einer Deflation vermindert sich damit tendenziell, so dass die Wende an den Bondmärkten etwas näher gerückt ist. Das macht auch Aktienanlagen riskanter. Anleger sollten aber erst dann aktiv werden, also verkaufen und die Laufzeiten verkürzen, wenn es Anzeichen dafür gibt, dass die Reallöhne – und mit ihnen die mittelfristigen Inflationserwartungen – wieder kräftiger steigen.

Dass der niedrige Ölpreis nicht zu einem Rückgang der Ölförderung führen wird, hat damit zu tun, dass in den vergangenen Jahren gewaltige Kapazitäten geschaffen worden sind. Zwar müssen Grenzanbieter ausscheiden, die bei ihren Investitionen auf Ölpreise von mehr als 80 Dollar gesetzt hatten, die übrigen haben aber kein Problem, die Lücken zu füllen. Da die Weltwirtschaft, getrieben von den Schwellenländern, in der voraussehbaren Zukunft laut Internationalem Währungsfonds mit jährlichen Raten von rund 3,5 Prozent expandieren dürfte (gemessen am realen BIP zu Kaufkraftparitäten), wird auch die Nachfrage nach Erdöl und seinen Substituten weiter zunehmen – ohne dass die Preise wieder anziehen müssen.

An den Märkten wird gelegentlich das folgende Horrorszenarium an die Wand gemalt: Der Abschreibungsbedarf auf die Kohlenwasserstoffe in der Erde und die Förderkapazitäten sei bei dauerhaft niedrigen Preisen der fossilen Brennstoffe so groß – mehrere Billionen Dollar –, dass es zu einer neuen Weltwirtschaftskrise kommen könnte. Es habe sich eine carbon bubble gebildet, die demnächst platzen wird. Ein Großteil der jüngeren Investitionen würde sich bei einem niedrigen Ölpreis nicht mehr rechnen, und die Reserven seien viel weniger wert als bisher gedacht. Gläubiger und Schuldner würden in einen tödlichen Strudel gezogen, der dem der Subprime-Krise in nichts nachstehen dürfte.

Ich halte das für übertrieben, weil die Ölfirmen weder am Kapitalmarkt noch gegenüber den Banken stark verschuldet sind und zudem über dicke Eigenkapitalpolster verfügen. Allerdings sollten Anleger für‘s Erste die Aktien und Bonds dieser Unternehmen meiden – weil das Ausmaß der kommenden Abschreibungen noch nicht voll in den Kursen enthalten ist, gibt es da vermutlich noch Korrekturbedarf.

Firmen, die Produkte herstellen, die von niedrigen Energiepreisen profitieren, sind logischerweise eine bessere Wahl. Ich denke an die Hersteller von Autos oder Flugzeugen, an Logistik- und Touristikunternehmen, oder an Chemiewerte.

Zumindest kurzfristig steht die Umweltbranche unter Druck. Der Anreiz, auf alternative Energien umzusteigen, ist mit dem Verfall des Ölpreises gesunken. Mittelfristig sieht es aber nicht so schlecht aus, weil die Kosten von Strom aus Wind und Sonne infolge technischen Fortschritts und Massenfertigung weiter sinken werden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie auch ohne staatliche Subventionen niedriger sein werden als die Kosten von Strom aus fossilen Brennstoffen. Die Branche befindet sich im rapiden Strukturwandel, ist charakterisiert durch viele junge und daher kleine Unternehmen – und hat eine Menge Wachstumspotenzial.

Eine ausführliche Analyse finden Sie in meinem neusten Investment Outlook:

Wermuth’s Investment Outlook – What if oil prices stay low forever?, April 2015*) (pdf, 711 KB)

*) Der Investment Outlook von Dieter Wermuth ist in englischer Sprache verfasst und wird im Herdentrieb in loser Folge zum Herunterladen bereitgestellt. (UR)