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Was wollen die Griechen? Und warum?

 

Nach dem Referendum, das die Tsipras-Regierung deutlich gewonnen hat und in dem die Griechen die Sparauflagen der Gläubiger abgelehnt haben, scheinen die Verhandlungen zwischen der Troika und der griechischen Regierung weiter zu gehen. Aber worum gehen die Verhandlungen eigentlich genau? Und was wollte und will die griechische Regierung?

Um zu verstehen, was die Griechen wollen, muss man erst mal verstehen, was ihnen eigentlich zugestoßen ist. Ein Beispiel aus dem Alltag kann das ganz gut verdeutlichen. Stellen Sie sich einen Häuslebauer vor, dessen Hypothek bald fällig gestellt wird und der zur Bank geht, um sie zu verlängern. Es stimmt schon, der Häuslebauer war in der Vergangenheit nicht immer mit allem ehrlich. Der Bank war das bisher aber stets egal und sie hat ohne mit der Wimper zu zucken für die Refinanziernug gesorgt. Dieses eine Mal ist allerdings alles anders. Die Bank hat sich gerade auf dem US-Hypothekenmarkt verspekuliert und will das Geld sofort zurück haben, ohne eine Anschlussfinanzierung zu gewähren. Unser Häuselebauer ist verzweifelt, denn er hat das Geld nicht. Er steht vor der Insolvenz.

Zum Glück gibt es eine öffentliche Bank, an die er sich wenden kann. Zuerst scheint ihm das Angebot der Bank sehr gut zu sein. Die Bank teilt ihm mit, dass sie seine alte Hypothek refinanziert, ihm sogar einen Teil seiner Schulden erlässt und seine Zinsen vermindert. Er wird aufatmen. Solange, bis ihm der Bankmitarbeiter mitteilt, dass er für diese Erleichterungen des Schuldendienstes leider nur noch zwei Drittel seines bisherigen Gehalts verdienen darf. Was soll das denn, wird er laut aufschreien? Er wird verzweifelt sein, weil er sich vielleicht seine Miete nicht mehr leisten kann. Er wird noch verzweifelter sein, weil die Forderung der Bank ja auch ihren eigenen Interessen widerspricht. Denn wenn das Einkommen sinkt, aus dem er ja seinen Schuldendienst leisten soll, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass er sofort Insolvenz anmeldet. Die Absurdität ihrer Forderung interessiert die Bank nicht. Sie besteht auf die Gehaltskürzung.

Was unserem Beispielschuldner hier wiederfahren ist, ist Griechenland in den letzten Jahren so ähnlich passiert. Bis zur großen US-Finanzmarktkrise waren vor allem deutsche und französische Banken gern bereit, den Griechen alles großzügig zu finanzieren und Ihre auslaufenden Schulden anstandslos zu verlängern – obwohl immer klar war, dass nicht alle offiziellen griechischen Daten ganz korrekt waren. Mit den riesigen Verlusten in den USA kappten die Banken aber ihre Kredite in Europa – die heutigen Krisenländer konnten ihre Schulden nicht mehr refinanzieren. Der öffentliche Sektor sprang in Form der Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) ein. Speziell dem griechischen Staat wurde ein Teil seiner Schulden 2012 erlassen. Die Zinsen auf die Kredite, die der European Financial Stability Fund (EFSF) den Griechen gegeben hat, wurden stark verringert und die Laufzeiten der Kredite getreckt.

Die Kredite wurden aber nicht zur Aufrechterhaltung des Lebenswandels der Griechen verwendet, sondern vor allem zum Auslösen der Altgläubiger (internationale und griechische Banken). Diesen wurden 90 Prozent der Gelder gezahlt, die Griechenland von der Troika erhalten hat. Nur 10 Prozent der 227 Milliarden Euro aus den beiden Stützungsprogrammen wurden für Staatsausgaben verwendet. Und weil die Schulden zum großen Teil nur den Besitzer gewechselt haben, sind die absoluten Schulden des griechischen Staates seit 2012 kaum noch gestiegen.

Tsipras-Regierung: Was wollen die Griechen? Und warum?

Was allerdings trotz Schuldenschnitt kräftig weiter gestiegen ist, ist die Schuldenstandquote, also der Anteil der Schulden an der Wirtschaftsleistung. Auf unser Beispiel angewandt: Der Schuldner hat zwar keine höhere Schulden. Weil aber sein Gehalt gekürzt wurde, machen seine Schulden jetzt einen sehr viel größeren Anteil seines Einkommens aus.

Wie kam es zu den Einkommenskürzungen in Griechenland? Das liegt an den harten Sparauflagen der Gläubiger, die zu einer Großen Depression geführt haben. Die Auflagen haben dazu geführt, dass die gesamte griechische Wirtschaft geschrumpft ist und damit auch das Einkommen, aus dem die Zinsen gezahlt werden. Das BIP des Landes brach nach 2009 um 22 % ein. Das ist enorm. Damit ist die griechische Wirtschaft so stark geschrumpft wie viele Länder nur unter Kriegsbedingungen, wie die Royal Bank of Scottland ausgerechnet hat.

Dass die griechische Wirtschaft so viel stärker eingebrochen ist als die Wirtschaft der anderen Krisenländer Spanien, Portugal, Irland oder auch Italien, liegt vor allem an den sehr viel krasseren Sparauflagen. Griechenland hat seine Staatsausgaben (ohne Zinszahlungen) zwischen 2009 und 2014 um fast ein Drittel – 30,1 Prozent – reduziert. Spanien hat sie „nur“ um 10,3 Prozent gekürzt, und in Italien sind sie um 2,2 Prozent gestiegen.

Grafik: Staatsausgaben_GR_ES_IR_PT_IT_2009-2014

Diese Politik hat aber nicht nur zu Massenarbeitslosigkeit und –verarmung geführt. Sie war auch aus Gläubigerperspektive verfehlt, weil die Griechen immer weniger Geld haben, aus dem sie den Schuldendienst überhaupt leisten können. Zwischen 2009 und 2014 ist die Schuldenstandquote um 67 Prozentpunkte gestiegen, von 109 auf 177 Prozent des BIP. Zwei Drittel dieses Anstiegs ist nicht auf höhere Schulden sondern das fallende BIP zurückzuführen. Das führt soweit, dass die absoluten Staatsschulden 2012 zwar infolge des Schuldenschnitts um 51 Milliarden reduziert wurden und seitdem kaum mehr zunehmen, die Schuldenstandquote aktuell aber trotzdem um fünf Prozentpunkte höher liegt als vor dem Schuldenschnitt – weil das Wachstum weiter eingebrochen ist. Die Schulden der Griechen wachsen nicht, aber das Einkommen schrumpft.

Das ist der Ausgangspunkt der griechischen Regierung. Sie – und mittlerweile auch die griechische Bevölkerung – haben die neuen Vorschläge der Gläubiger deswegen abgelehnt, weil sie zu einer weiteren Verschärfung der Wirtschaftslage geführt hätten. Denn das Programm war mitnichten ein sozial ausgewogenes Wachstumsprogramm, wie es führende Vertreter der Bundesregierung und der Europäischen Kommission teilweise wahrheitswidrig behauptet haben, sondern ein klares Sparprogramm, das die griechische Wirtschaft weiter geschwächt hätte.

Heißt das im Umkehrschluss, dass die Griechen ein groß angelegtes keynesianisches Defizitprogramm durchführen wollen, um das Wachstum wieder anzustoßen? Nein, genau das wollen sie nicht. Was sie schlicht verlangen, ist mehr Realismus. Die von den Gläubigern vorgeschlagenen Staatsüberschüsse waren ökonomisch und politisch schlicht nicht realistisch. Die Griechen waren bereit, weiterhin Überschüsse zu erwirtschaften, aber nicht so hoch, dass sie die Wirtschaft weiter abstürzen lassen würde.

So sollen die Kredite, um die sie die Troika bitten, auch nicht zur Konjunkturankurbelung oder gar zur Finanzierung der griechischen Renten verwendet werden, sondern um Altschulden bei mittlerweile vor allem öffentlichen Gläubigern (der Troika und der EZB) zu tilgen. Das heißt, sie wollen ihre Schulden so refinanzieren wie es jeder Staat – auch Deutschland – und jedes Unternehmen in der Welt jeden Tag tut.

Interessant ist auch, dass die griechischen Verhandler zuletzt auch keinen Schuldenschnitt verlangt haben. Den hat ja der IWF selbst ins Spiel gebracht. Was sie verlangt haben, war eine Restrukturierung, bei der die Schulden gleich hoch geblieben wären. Warum sie das wollen, wird klar, wenn man sich den Tilgungsplan für die offiziellen griechischen Kredite anschaut.

Grafik: Tilgungsplan für griechische Staatsschulden

Im Jahr 2015 sollten vor allem ausstehende Forderungen der EZB und des IWF getilgt werden. Bis letzten Dienstag haben die Griechen alles Geld zusammengekratzt, um ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, ohne neue Schulden aufzunehmen, weil die Gläubiger während der Verhandlungen keine Anschlusskredite vergeben haben.

Die Griechen wollten nun eine Ablösung der Anleihen, die beim Eurosystem (also der EZB und den Nationalen Zentralbanken (NZBs) des Euroraums [im folgenden kurz: EZB]) liegen, und zwar durch den europäischen Fonds EFSF. Die Schulden gegenüber der EZB wären gesunken, die gegenüber dem EFSF gestiegen. Das hätte zwei Effekte gehabt. Zum einen könnte die EZB ausgezahlt werden und müsste keine Verluste realisieren; zum anderen würde die EZB die Möglichkeit erhalten, ihr Programm der Quantitativen Lockerung (QE) auch auf Griechenland auszuweiten. Mit diesem Programm kauft die EZB Staatsanleihen aller Euroländer außer diejenigen Griechenlands auf. Das liegt daran, dass die EZB beschlossen hat, nur maximal 33 Prozent der ausstehenden Anleihen eines Staates zu halten. Da sie jetzt aber schon mehr Schulden von Griechenland hält, kann sie erst neue griechische Anleihen kaufen, wenn die alten nicht mehr in ihren Büchern stehen. Der Aufkauf durch die EZB hätte den Effekt, dass die privaten Anleger weniger Angst davor haben müssen, den Staaten Geld zu leihen, weil sie ihre Anleihen im Notfall der EZB verkaufen können. Das würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass wieder vermehrt private Anleger den griechischen Staats als Schuldner akzeptieren und damit die öffentlichen Geldgeber nicht mehr einspringen müssten.

Würde diese Idee aufgehen, wäre das politische Hickhack um die Schulden vom Tisch. Natürlich ginge das nur, wenn der griechische Staat sich dazu verpflichtet, weiterhin Überschüsse zu erwirtschaften. Aber genau das haben die griechischen Verhandler auch vorgeschlagen – nur eben nicht so hohe, dass die Wirtschaft damit weiter schrumpft.

Aber wie auch immer man mit den Altschulden umgehen wird, die privaten Märkte wären nur dann bereit, Griechenland wieder Kredite zu geben, wenn das Land wachsen würde. Ohne Wachstum drohen Verluste wie es sie ja in den letzten fünf Jahren der Sparpolitik zuhauf gab. Wenn aber die harten Auflagen der Kreditgeber das Wachstum immer wieder drosseln, wird niemand investieren, auch wenn die Altschulden verlängert werden. Die Eurozone würde weiter von Rettungsprogramm zu Rettungsprogramm hechten. Das wollte die griechische Regierung nicht. Und deswegen hat sie die Verhandlungen mit den Gläubigern abgebrochen.

Man mag den Stil der griechischen Regierung nicht schätzen. Ihre ökonomischen Vorschläge aber wären ernsthafte Diskussion wert gewesen. Dem haben sich die Gläubiger schlicht verweigert. Diese sture Haltung wird für die Gläubiger sehr teuer. Wenn der Grexit kommt – und das ist immer wahrscheinlicher – werden sie einen Großteil ihrer Forderungen einfach abschreiben müssen.