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Bankenkrise, dritte Runde

 

Erstaunlich, der Internationale Währungsfonds erwartet, dass das reale BIP der Welt in diesem Jahr um 3,4 Prozent höher sein wird als 2015. Das ist zwar eine etwas kleinere Zuwachsrate als in der Herbstprognose, aber immer noch ein sehr beachtlicher Wert angesichts der Katastrophenstimmung, die an den Aktien-, Renten- und Rohstoffmärkten herrscht. Was die größeren Länder betrifft, wird es laut IWF richtige Rezessionen nur in Russland und Brasilien geben, die übrigen erfreuen sich dagegen bester Gesundheit. Mindestens drei Viertel der Weltwirtschaft profitieren vom Einbruch der Rohstoffpreise – die Realeinkommen nehmen stärker zu als erwartet –, und da die Sparquoten dort im Durchschnitt deutlich niedriger sind als in den Rohstoffländern, kommt es global zu einem Nachfrageschub. Per Saldo verbessert sich die Konjunktur.

Die entscheidende, aber vielleicht falsche Annahme hinter diesem Szenarium lautet: Chinas Wachstum kühlt sich zwar ab von über sieben auf 6,5 Prozent, aber es kommt keinesfalls zu einer Rezession. Wir haben es, so die Hoffnung, lediglich mit Reibungsverlusten zu tun, wie sie bei dem jetzigen Strukturwandel nicht zu vermeiden sind: Produktion und Nachfrage werden seit einiger Zeit gezielt in Richtung Konsum und Dienstleistungen umgelenkt, sodass zahlreiche bislang erfolgreiche Geschäftsmodelle aufgegeben werden müssen. Im Verlauf dieses Prozesses hat sich die Zuwachsrate der chinesischen Industrieproduktion stetig von 16 auf zuletzt sechs Prozent vermindert.

China ist so wichtig für den Rest der Welt, weil seine Volkswirtschaft von seiner Kaufkraft her inzwischen die größte überhaupt ist, weil es bei Weitem mehr Rohstoffe importiert als alle anderen Länder und damit die Preise für Erdöl, Kohle, Eisenerz, Kupfer und so weiter von der Nachfrageseite her entscheidend beeinflusst, und weil es durch seine scheinbar unaufhaltsame wirtschaftliche Dynamik die Wachstumslokomotive schlechthin geworden war. Die Welt hängt an China.

An den Märkten geht der Verdacht um, dass die chinesischen Wirtschaftspolitiker die Lage nicht mehr im Griff haben und die Expansionspolitik der vergangenen Jahrzehnte zu massiven Fehlinvestitionen und einem Schuldenberg im privaten und halbstaatlichen Sektor geführt hat. Der Korrekturbedarf sei so gewaltig, dass die übliche expansive Geld- und Finanzpolitik nur noch wenig ausrichten könne. China befinde sich womöglich in der gleichen Situation wie Japan gegen Ende der achtziger Jahre – nur dass China ein viel größeres wirtschaftliches Gewicht hat, als es Japan jemals hatte.

Chinas Bankenkrise, dritte Runde

Wenn an dem Argument etwas dran ist, dürfte sich die Wachstumsrate im Durchschnitt in den nächsten 20 Jahren bei vielleicht zwei Prozent einpendeln, so wie sich die japanische von über vier Prozent in den Boomjahren bis 1990 auf dann nur noch ein Prozent vermindert hatte. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und damit die Beschäftigung zu sichern, würde die Notenbank versuchen, den Yuan abzuwerten, netto also Dollars zu kaufen. Durch die Abwertung der chinesischen Währung käme es rund um den Globus zu einem neuerlichen deflatorischen Schock. Vielleicht wäre das sogar der Startschuss zu einem Abwertungswettlauf (in gewisser Weise ist der bereits im Gange).

Grafik: Vergleich des Wirtschaftswachstums Chinas mit Japan in den 1980ern

Mit anderen Worten: Geht jetzt die große Finanzkrise in ihre dritte, die chinesische Runde? Runde Nummer 1 wurde durch das Platzen der amerikanischen Immobilienblase ausgelöst, in Runde Nummer 2 stand die Existenz des Euro auf der Kippe. In beiden Fällen stellte sich heraus, dass sich die Banken so verspekuliert hatten, dass sie ohne staatliche Hilfe, genauer: ohne die Hilfe der Steuerzahler nicht überlebt hätten. Das könnte auch diesmal der wichtigste Effekt einer chinesischen Krise sein, wichtiger als die Effekte, die im Außenhandel zu erwarten sind. Die Banken könnten zu viele chinesische Aktiva in ihren Büchern haben, die nicht mehr viel wert sind und abgeschrieben werden müssen. Hinzu kommen die Kredite an andere Schwellenländer, die von China mit in den Strudel gezogen werden, sowie die Kredite an Rohstoffproduzenten aller Art, die jetzt durch den Commodity Crash ins Schleudern geraten sind.

Jedenfalls sind die Kurse der Banken, die im internationalen Kreditgeschäft aktiv sind, in den letzten Monaten und vor allem in den letzten Tagen geradezu abgestürzt. Das ist nicht allein auf China zurückzuführen, aber doch zu einem wesentlichen Teil. Es gibt Dominoeffekte. Banken wie die Deutsche, die Commerzbank, Unicredit, Standard Chartered, Citi, Bank of America, Mitsubishi UFJ, Credit Suisse haben seit Jahresbeginn zwischen 27 und 19 Prozent eingebüßt. Keine dieser Banken kann ein Kurs- zu Buchwertverhältnis von mehr als 0,66 aufweisen, sie sind also allesamt Übernahmekandidaten. Besonders hart hat es die beiden verbliebenen deutschen Großbanken getroffen: Die Deutsche ist für 35 Prozent ihres Buchwerts zu haben, die Commerzbank für 32 Prozent. Unicredit, zu der die HVB gehört, liegt bei 46 Prozent, Standard Chartered bei 36 Prozent. Ilse Bilse, keiner will se – kommt der Koch nimmt se doch. Wo ist der Koch? Hoffentlich wird es nicht wieder einmal der Steuerzahler sein.