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Nichts zu sehen von einer säkularen Stagnation

 

Aus den neuen BIP-Zahlen, die das Statistische Bundesamt heute früh veröffentlicht hat, lässt sich zusammen mit den Zahlen für die Beschäftigung im vierten Quartal ziemlich genau abschätzen, was sich in Deutschland bei der Produktivität getan hat: Sie stieg in den letzten Jahren nicht nur zügig an, sondern immer rascher. Es gibt keine Anzeichen für ein Nachlassen dieser Dynamik. Vorläufig sieht es also danach aus, dass der Wohlstand – der wesentlich von der Produktivität abhängt – weiter zunehmen wird. Ob das auf faire Weise, also in der Breite, geschieht, steht auf einem anderen Blatt.

Die secular stagnation, die die Amerikaner seit einigen Jahren beschäftigt, ist hierzulande kein Thema. Ich behaupte, wenn die Wirtschaft nicht durch eine Rezession, eine neue Finanzkrise oder eine übermäßig restriktive Geldpolitik aus der Bahn geworfen wird, dürfte der Output pro geleisteter Arbeitsstunde, also die Produktivität, künftig mit jährlichen Raten von etwa 1,3 Prozent zunehmen. Addiere ich dazu die seit Jahren fast schon konstante Zuwachsrate der Beschäftigung von 1,2 Prozent, komme ich für das reale Bruttoinlandsprodukt auf eine „normale“ Wachstumsrate von rund 2,5 Prozent.

Nach meinen Rechnungen gibt es auf Jahre hinaus keine Engpässe bei der gesamtwirtschaftlichen Kapazität, die das verhindern könnten. Jedenfalls sind 2,5 Prozent deutlich mehr als die 1,25 Prozent, die IWF, OECD, Bundesbank und Sachverständigenrat seit einiger Zeit für das Produktionspotenzial, das mittelfristig maximal Mögliche, berechnet haben.

Ein Phänomen, das einen großen Anteil an der neuen Wachstumsdynamik hat, ist die starke Zunahme der Beschäftigung. Wo kommen all die Leute her? Da die deutsche Bevölkerung ebenso stagniert wie ihre sogenannte Erwerbsquote, müssen es die Zuwanderer aus dem Ausland sein. Wie sonst konnte die Arbeitslosenzahl im Dezember um 189.000 niedriger sein als vor einem Jahr, während gleichzeitig die Beschäftigung um 636.000 (auf 44,578 Mio. Erwerbstätige) zugelegt hatte? Neben der nachhaltig expansiven Geldpolitik sind es offenbar die Arbeitsmigranten aus den östlichen Ländern der EU, die zum Wachstumselixier Deutschlands geworden sind. Haben das unsere Parteien auf ihren Radarschirmen? Wenn nicht, wird es höchste Zeit. Zuwanderer nützen uns – nicht zuletzt den künftigen Rentnern.

Wenn die Wirtschaft kräftig wächst und weiter zu expandieren scheint, haben die Unternehmen einen Anreiz, Personal einzustellen, ebenso wie mehr zu investieren. In den vergangenen beiden Jahren einschließlich des vierten Quartals 2017 ist die Produktivität um durchschnittlich 1,35 Prozent gestiegen. Anders ist das in Rezessionsphasen oder Zeiten verbreiteten Pessimismus‘: In Deutschland zögern die Firmen zumindest anfangs, ihren Beschäftigten zu kündigen, nicht dagegen, ihre Investitionen zu reduzieren. Oftmals tun sie das auf drastische Weise. Die Folge ist ein starker Rückgang der Produktivität, so geschehen etwa von Q1 2008 bis Q1 2009, beziehungsweise eine Stagnation, wie zuletzt von Q2 2011 bis Q1 2012.

Grafik: Produktivität in Deutschland

Dies ist daher ein Plädoyer für eine Wachstumspolitik. Nur ist es zugegebenermaßen natürlich viel leichter, das zu fordern als es in der politischen Wirklichkeit dann auch umzusetzen.

Dass Deutschland so ein stabiles und im internationalen Vergleich so kräftiges Wachstum der Produktivität aufweist, hat übrigens nicht zuletzt damit zu tun, dass die Industrie immer noch einen großen Anteil an der Wertschöpfung hat (25,7 Prozent). In den vergangenen zwei Jahren hat die gesamtwirtschaftliche Produktivität, wie gesagt, um durchschnittlich 1,35 Prozent zugenommen; in der Industrie waren es dagegen stolze 2,4 Prozent. Wenn wir es nicht schon wüssten: Die Industrie ist die eigentliche Quelle unseres Wohlstands.