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Vollbeschäftigung ist möglich

 

Auftragseingang in der IndustrieDE

Am heutigen Montag gab es zur allgemeinen Überraschung außerordentlich positive Nachrichten zu den Auftragseingängen in der Industrie. Spätestens jetzt sieht es danach aus, dass beim BIP-Wachstum erstmals seit vielen Jahren eine Drei vorm Komma stehen wird und selbst Vollbeschäftigung ist keine Fata Morgana mehr, wenn das so weitergeht. Ein Anlass, daran zu zweifeln, besteht zunächst nicht, obwohl die weltwirtschaftlichen Risiken in Gestalt zahlreicher Ungleichgewichte und Übertreibungen nicht zu übersehen sind.

Wenn die enge Korrelation zwischen Auftragseingängen und Industrieproduktion auch diesmal hält, wird die Industrieproduktion im März um mindestens 1 Prozent saisonbereinigt gegenüber dem Februar zugelegt haben. (Am Dienstag um 12 Uhr gibt es die Zahlen.) Sie läge damit um nicht weniger als 9,5 Prozent über ihrem Vorjahreswert. Es sind nicht nur die Auftragseingänge, sondern auch der Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Anstieg der Beschäftigung um 52.000 gegenüber Februar, die für eine starke Zahl sprechen. Hätte ich recht, überträfe die Industrieproduktion des ersten Quartals die des vierten um nicht weniger als 2,5 Prozent. Vom dritten aufs vierte Quartal betrug die Zuwachsrate dagegen nur 1,2 Prozent – trotz dieser vergleichsweise mickrigen Zahl nahm das reale deutsche BIP damals im Vorquartalsvergleich um 0,9 Prozent zu. Warum also sollten es angesichts des Booms in der Industrie diesmal nicht noch deutlich mehr werden?

In den meisten Vorhersagen wird das erste Quartal als das schwächste des Jahres 2007 gesehen. Wenn jemand eine Zuwachsrate von 0,5 Prozent in seinen Rechnungen hatte, galt er – und gilt er – als großer Optimist. Eine Zuwachsrate von 1 Prozent fällt vollkommen aus dem Rahmen.

Zwei gewichtige Gründe sprechen in der Tat dafür, dass es doch nicht so toll gelaufen sein könnte: die realen Einzelhandelsumsätze, die gegenüber dem letzten Quartal des Vorjahres um nicht weniger als 2,4 Prozent eingebrochen waren – die Mehrwertsteuer lässt grüßen -, sowie der vermutlich kräftige Rückgang im realen Außenhandelsüberschuss. Mit anderen Worten, die Sache ist nicht rund: starkes Wachstum des Outputs, aber keine Nachfrage.

Kann es sein, dass die Produktion wie wild expandierte, ein wesentlicher Teil aber nicht beim Endkunden ankam, sondern im Lager landete? Das wäre eine Möglichkeit. Eine andere wäre ein sehr starkes Wachstum der Investitionen, was angesichts der hervorragenden Gewinne sowie des äußerst robusten Anstiegs der inländischen Auftagseingänge bei den Investitionsgüterproduzenten nicht unplausibel ist. Auch der Staat könnte deutlich stärker zugelangt haben als in den Vorquartalen; die Auftragseingänge im Tiefbau, für die vor allem er verantwortlich zeichnet, lagen jedenfalls in den ersten Monaten des Jahres um 14,2 Prozent über ihrem Vorjahresstand und um noch mehr über dem Durchschnitt des vierten Quartals (alles real und saisonbereinigt).

Dass die wirtschaftliche Dynamik zu Jahresbeginn weiter zugenommen hat, folgt auch aus den Umfrageergebnissen, die weiterhin nach oben weisen, sowie aus den Steuereinnahmen, die im Januar und Februar ihren Vorjahreswert um 14,8 Prozent übertrafen. Dabei sind die Steuern auf das Einkommen sogar etwas stärker gestiegen als die Steuern vom Umsatz. Das Haushaltsdefizit des Staates steuert übrigens in den kommenden Monaten zügig in Richtung Null – wer hätte das gedacht, bei all den Strukturproblemen, unter denen das Land angeblich leidet. Wenn der Konjunktur die Zügel gelassen werden, die Unternehmen ein paar Jahre lang gute Gewinne machen dürfen, der Staat auf Konjunkturprogramme verzichtet und – mit am wichtigsten – die Notenbank niedrige Realzinsen zulässt, ist auf einmal sogar wieder Vollbeschäftigung denkbar.

Sollten wir mit unserer Schätzung von Anfang April, dass das reale BIP im Vorquartalsvergleich um 1 Prozent zugenommen hat, recht behalten, läge sein Wert im ersten Quartal um 2,3 Prozent über dem Durchschnitt des vergangenen Jahres. Mit anderen Worten, wenn das BIP von nun an stagnieren sollte, ergäbe sich für das Jahr 2007 im Vorjahresvergleich eine Zuwachsrate von 2,3 Prozent. Die Europäische Kommission hat heute ihre Frühjahrsprognose veröffentlicht. Sie rechnet für Deutschland mit einem Wachstum von 2,5 Prozent in diesem Jahr. Das würde bedeuten, dass von nun an fast nichts mehr geht. Warum sollte das so sein? Es sieht eher danach aus, dass beim BIP-Wachstum erstmals seit vielen Jahren eine Drei vor dem Komma stehen wird.

Gewinnentwicklung Industrie DE

Die Gewinne der Unternehmen steigen jedenfalls im Verarbeitenden Gewerbe weiterhin sehr flott. Ein grober, dafür aber zeitnah verfügbarer Indikator ist das Verhältnis von Outputpreisen zu Lohnstückkosten – das ergibt die Entwicklung der Gewinne pro Einheit an Output, also die Stückgewinne. Für das erste Quartal 2007 liegen die Indices für die Erzeugerpreise im produzierenden Gewerbe und im Bau schon vor, die Lohnstückkosten haben wir geschätzt. Das ist aber nicht so schwierig wie es scheint, weil der Output und die Beschäftigung schon bekannt sind, so dass sich die Produktivität annäherungsweise berechnen lässt. Die folgende Graphik belegt die These, dass die Kapazitätsgrenzen noch ein Stück entfernt sind – sonst würde die Produktion nicht so rasch zunehmen. Der Aufschwung dürfte also von der Seite her nicht gebremst werden.

Konjunktur USA DE

Das ist in den USA inzwischen deutlich anders. Da der Aufschwung in die Jahre gekommen ist, steigen die Löhne deutlich rascher als hierzulande – etwa um 4 Prozent im Vorjahresvergleich -, während die Produktivität nur noch geringe Fortschritte macht (im Unternehmenssektor waren es zuletzt annualisierte 1,7 Prozent). In den beiden letzten Quartalen sind die Lohnstückkosten etwa so rasch gestiegen wie die Erzeugerpreise. Die Gewinne stagnieren daher, wenn auch auf sehr hohem Niveau, und dürften in den kommenden Quartalen absolut sinken. Das ist der wichtigste Grund dafür, dass die amerikanischen Aktienmärkte im Vergleich zu den deutschen so schlecht gelaufen sind. Es würde überraschen, wenn sich daran bereits in diesem Jahr etwas ändern sollte.

Die starken deutschen Zahlen sind natürlich Wasser auf die Mühlen der EZB. Wir müssen uns wohl darauf einstellen, dass es auch nach dem Juni noch über Zinserhöhungen diskutiert wird. Ich bezweifle allerdings, dass die Notenbank zu einem geldpolitischen Overkill à la Bundesbank ansetzen wird. Sie will es sich ja vermutlich nicht mit dem neuen französischen Präsidenten verderben, zumal die Inflation genau auf ihrer Zielmarke liegt.