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Die ultimative Dax-Wette

 

Die Wahrheit will ich nicht verschweigen. Ich habe eine Dax-Wette gegen meinen Kollegen Marcus Rohwetter verloren. Er tippte vor einem Jahr den Dax zum Jahresende auf 4.900 Punkte, ich auf 4.700 Punkte. Das Schlimme daran: Wir wetten seit drei Jahren und ich habe das dritte Mal in Folge verloren.

Jedes Jahr war ich zu pessimistisch. Wie peinlich, der vermeintliche Börsenexperte und Kapitalismusversteher blamiert sich Jahr für Jahr gegen den Einzelhandelsexperten. Ja, Sie haben richtig gelesen. Marcus ist für so knallige Unternehmen wie KarstadtQuelle, Metro und Lidl verantwortlich, für Tiefkühlkost, Sonnencreme und Genfood. Er liest nie so spannende Studien über Liquiditätsflüsse, Bewertungen, Stimmungsindikatoren – und trotzdem schlägt er mich jedes Mal.

Meine ZEIT-Kollegen rufen schon längst nicht mehr in Frankfurt an, wenn sie wissen wollen, ob sie Aktien kaufen sollen oder lieber nicht. Mein einziger Trost: Die 37 Bankanalysten, die das Handelsblatt Dezember für Dezember befragt, lagen im Schnitt noch schlechter als ich. 4.558 Punkte lautetet ihre gemittelte Wette. Und dann denke ich an die schöne Geschichte in Amerika, wo die drei erfolgreichsten Fondsmanager des Jahres ihre drei besten Aktientipps für das folgende Jahr nennen sollten. Zum Vergleich ließ man einen Schimpansen, oder war es ein Gorilla, mit Dart-Pfeilen auf den Kursteil einer Zeitung werfen. In der Regel gewann der Affe mit seine zufällig durchstochenen Werten. Nein, Marcus ist kein Affe, aber seine Wetten sind affenstark.

Hier sein Tipp für Ende 2006: 6104 Zähler. Ich halte dagegen mit 5.789 Zählern. Der Einsatz wie jedes Jahr: eine Flasche Champagner.

Und hier seine Begründung: Dass der Dax sich im vergangenen Jahr auf knapp 5500 Punkte hochschleppt, also knapp 30 Prozent Plus macht, hat niemand vorhergesagt. Kein Würfel-Orakel, Tarot-Kartenleger und auch kein Ich-verdiene-an-einem-Tag-soviel- wie-Du-im-ganzen-Jahr-Goldman-Sachs-Chefanalyst.
Die praktische Frage aber lautet: Jetzt (noch) einsteigen? Hier hilft der Blick in die Sterne, auch wenn dieser aktuell durch Winterwolken leicht getrübt ist. Auch ohne astrologische oder ökonomische Grundausbildung lässt sich zweifelsfrei feststellen: In diesem Jahr können Fische über mangelnde Liquidität nicht klagen. Waagen bringen sich durch den gleichzeitigen Kauf von Put- und Call-Optionen um jede Gewinnchance. Im Zeichen des Geiers Geborene nutzen die Möglichkeit zum schnellen Profit, der Aszendent Heuschrecke sorgt bei ihnen für 25 Prozent Mindestrendite. Alle anderen können beruhigt sein, auch sie verdienen mit. Der Dax steigt bis Ende 2006 auf, sagen wir, 6104 Punkte. Performance ist kein Schicksal – die Sterne wollen es so.

Meine Begründung habe ich im letzten Eintrag gegeben: In den vergangenen Wochen wurde oft argumentiert, dass deutsche/europäische Aktien weiter gut laufen werden, weil sie noch immer günstig sind. Das Kursgewinnverhältnis (KGV) betrage für den MSCI Europe bei rund 15, was historisch betrachtet sogar etwas unterhalb der durchschnittlichen Bewertung liege. Was mich an dieser optimistischen Betrachtung stört: Aktien sind gut bezahlt, sie sind keine Schnäppchen mehr wie vor drei und vor eineinhalb Jahren. Ben Funell, der Stratege von Morgan Stanley, weist auf einen interessanten Punkt hin: Europäische Aktien seien nur dann günstig bewertet, wenn man den laufenden Return on Equity (ROE) beim KGV in den Nenner packe. Zur Zeit verdienen die großen europäischen Konzerne eine Eigenkapitalrendite von 16 Prozent (Wahnsinn). Historisch liegt dieser Wert dagegen bei 12 Prozent. Und mit 12 Prozent gerechnet beträgt das KGV 20. So hoch war es seit 1974 nur in den Jahren 1996 ff. Erinnern Sie sich noch, was der große Alan Greenspan 1996 zum Aktienkursniveau gebrummelt hat? „Irrationaler Überschwang“. Genau.

Wenn man davon ausgeht, dass 16 Prozent Eigenkapitalrendite übertrieben hoch sind, 12 Prozent so schnell nicht drohen, weil „China, Globalisierung, Osteuropa“ die Löhne noch etwas in Schach halten werden, dann landen wir vielleicht bei 14 Prozent ROE. Dann sind die Aktien ordentlich bezahlt und die Kurssteigerungen nur noch im Einklang mit dem nominalen Wachstum der Volkswirtschaft zu erwarten – ganz im Sinne der Theorie.