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Untote Bush-Doktrin?

 


Norman Podhoretz, einer der Neocons der ersten Generation, ein intellektueller Wegbereiter der Reagan-Revolution, versucht in einem langen Essay für Commentary (Link siehe Überschrift) die sich auflösenden Bataillone der neokonservativen Außenpolitiker bei der Fahne zu halten.
Die Bush-Doktrin sei keineswegs tot, wie viele angesichts der Mißerfolge der amerikanischen Demokratisierungsbemühungen im Irak und anderswo im Mittleren Osten behaupten.
Podhoretz sieht mit Grausen, daß sich angesichts der Unregierbarkeit des Irak und des hohen Blutzolls durch die Anschläge Defätismus in den Reihen ehemaliger Kriegsbefürworter breitmacht.
Die Wiederkehr des außenpolitischen „Realismus“ im Zeichen dieser Entwicklungen ist ihm ein Gräuel.
Auch wer glaubt, daß der sogenannte Realismus nie wichklich realistisch war, und wer zugesteht, daß „Stabilität“ die meiste Zeit nur ein schöneres Wort für orientalische Despotie war, wird sich angesichts des Podhoretz’schen Traktats grausen.
Podhoretz rekonstruiert die Bush-Doktrin, die nach dem 11. September formuliert wurde, folgendermaßen: Erstens Ablehnung des Relativismus, der in der Terrorismus-Debatte vorherrschend war (was dem einen ein Terrorist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer). Stattdessen „moralische Klarheit“ – wahr und falsch, gut und böse.
Zweitens werden Terroristen nicht mehr als Verbrecher oder Verbrecherbanden verstanden, sondern als „irreguläre Truppen“ jener Staaten, die sie beherbergen oder unterstützen. 9/11 wurde als Kriegserklärung begriffen. Daraus folgte, so Podhoretz, die Rechtfertigung zur Invasion Afghanistans und Iraks (?). Er verweilt nicht bei der Frage, ob das im Falle des Irak plausibel ist.
Der dritte Pfeiler der Doktrin wiederum sei die Erkenntnis der Notwendig präemptiven Handelns: der 11. September habe gezeigt, daß man den Terroristen und den sie unterstützenden Regimen zuvorkommen müsse, statt sie nur zu verfolgen.
Es handele sich um ein böswilliges Mißverständnis, wenn diese Politik als „unilateral“ gebrandmarkt wird. Podhoretz zitiert einige Bush-Reden, in denen von friends and allies die Rede ist. Damit ist für ihn der Beweis erbracht: Die Bushies waren nur allzu gutwillig auf Kooperation bedacht, nur europäische Überempfindlichkeit in Kombination mit Feigheit hat einen anderen Eindruck aufkommen lassen können.
Genauso verfährt Podhoretz in seiner Bilanz des Irakkrieges. Den Kritikern der Demokratisierungspolitik, die der Bush-Regierung vorhalten, das Augenmerk viel zu sehr auf freie Wahlen gelegt zu haben – und dabei den Rechtsstaat, die Institutionen und die Zivilgesellschaft vergessen zu haben, in die freie Wahlen eingebettet werden müssen – , hält Podhoretz ein paar Bush-Zitate vor, in denen eben davon die Rede ist. Aber was soll damit bewiesen sein? Doch wohl nur, daß Bush von den Voraussetzungen erfolgreicher Demokratisierung hätte wissen können – was das Desaster des heutigen Irak nur noch schlimmer macht.
Doch: Welches Desaster überhaupt, fragt Podhoretz? Das Land ist von einem der schlimmsten Tyrannen des Nahen Ostens befreit worden. Drei Wahlen wurden abgehalten. Eine anständige Verfassung wurde geschrieben. Eine Regierung ist im Amt, und vorher „unvorstellbare Freiheiten“ werden genossen: „Nach welcher bizarren Rechnung ist das ein Desaster?“

Es ist sicher richtig, auf die Erfolge hinzuweisen. Aber darum darf man doch nicht die Kosten verschweigen: Die tausenden Toten – täglich werden es mehr – kommen in Podhoretz‘ Rechnung nicht vor, der Haß zwischen Sunnis und Schiiten interessiert ihn nicht, auch nicht die Gefahr eines langen Bürgerkrieges im Irak, wenn die Amerikaner eines Tages abziehen.
Er kann sich den Gedanken nicht erlauben – der ja auch wirklich schrecklich ist – daß der Tyrannensturz nicht der „guten Gesellschaft“ zum Vorschein verholfen hat (wie in Osteuropa 89/90), sondern einstweilen den Kräften des Hasses und der Anarchie (siehe das Interview mit Hazem Saghieh auf dieser Seite).
Und vor allem kann er sich einen Gedanken nicht gestatten: Dass die Interventionen in Afghanistan und Irak dem Iran zu einer vormals unvorstellbaren Macht verholfen haben – also jenem Regime, auf das alles zutrifft, was im Falle des Irak an Lügen, Halbwahrheiten und Ahnungslosigkeiten verbreitet wurde, um den Krieg zu rechtfertigen. Iran bastels wirklich Massenvernichtungswaffen. Iran unterstützt wirklich den internationalen Terrorismus. Und es ist heute nicht mehr abzusehen, wie man es daran hindern kann, die Synergien beider Geschäftsfelder zu nutzen.
Statt diese Bilanz zu ziehen, geht der Ex-Trozkist Podhoretz in guter alter K-Gruppen-Manier die Reihen durch und straft alle ab, die sich zweite Gedanken über den Irakkrieg gestatten.
Was den Atomstreit mit Iran betrifft, ist die Marschrichtung für Podhoretz klar. Niemand solle sich durch Bushs Unterstützung der diplomatischen Versuche der Europäer blenden lassen: „Das Ziel, heute wie damals (vor dem Irakkrieg, J.L.), besteht darin, die Untauglichkeit der Diplomatie zu erweisen, wenn man es mit Leuten vom Schlage Saddam Husseins und der der iranischen Mullahkratie zu tun hat, und zu zeigen, daß die einzige Alternative zur Hinnahme der Bedrohung, die sie darstellen, militärische Aktionen sind.“
Im Klartext: Ein Krieg mit Iran muß her, und das Ziel der Diplomatie sind gar nicht die Mullahs selber, sondern die naiven (feigen) Europäer. Dass solche verbohrten Leute – die sich mit der häßlichen Wirklichkeit nicht beschäftigen wollen, sondern lieber gleich den nächsten Zaubertrick zur Verwandlung des Nahen Ostens aufführen wollen – immer noch das Ohr des Präsidenten haben, ist ein Alptraum. Gerade auch für unsereinen, der durchaus die Einschätzung teilt, daß es sich bei der Auseinandersetzung mit dem militanten Islamismus um einen Krieg um die Zivilisation handelt, der gut und gerne noch Jahrzehnte dauern kann.