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Führende Neocons zeigen Reue: Der Irak-Krieg war ein Fehler

 

Der Journalist David Rose, ursprünglich ein Befürworter des Irak-Krieges, hat im Magazin Vanity Fair eine Reihe von Aussagen führender amerikanischer Neokonservativer gesammelt, die auf beispiellose Weise dem Irak-Krieg, dem grossen aussenpolitischen Projekt des Neokonservatismus, abschwören. Und dies pünktlich zum Todesurteil gegen Saddam Hussein und den Midterm-Wahlen.
Die Aussagen kommen einer totalen Bankrotterklärung der Bush-Politik gleich, die man so radikal kaum je von Bushs Gegnern aus der Demokratischen Partei vernommen hat – und dies aus dem inneren Zirkel der ehemals entschiedensten Falken. Die Veröffentlichung der Zitate zu diesem Zeitpunkt hat unter den Interviewten grossen Ärger ausgelöst. Manche stellen ihre Aussagen nun in einen anderen Kontext, manche bestreiten, die Dinge so gemeint zu haben, andere stehen auch zu den Zitaten (siehe den obigen Link zum konservativen Magazin National Review Online). Die Erregung ist verständlich.
Denn was prominente Neocons wie Richard Perle, Michael Ledeen, David Frum, Eliot Cohen, Kenneth Adelmann und Michael Rubin gegenüber Vanity Fair zu Protokoll geben, ist in der Tat sensationell angesichts der vorherigen ideologischen Verbohrtheit und der schneidenden Schärfe der Neocons gegenüber jeglicher Kritik, vor allem aus Europa. Man darf auf den kompletten Artikel gespannt sein, der Anfang Dezember veröffentlich wird. Hier einige Auszüge, die ahnen lassen, welche Kehrtwende da gerade vorgenommen wird:

Perle, als Mitglied des Defense Policy Board einer der schärfsten Befürworter der Irak-Invasion, sagt nun: „Ich denke, wenn ich in die Zukunft hätte schauen können, und wenn ich gesehen hätte, wo wir heute stehen, und die Leute hätten gefragt: ‚Sollen wir in den Irak gehen?‘, dann glaube ich jetzt, ich hätte vielleicht gesagt: ‚Nein, lasst uns andere Strategien erwägen, um mit der Sache fertig zu werden, die uns am meisten beschäftigt, nämlich dass Saddam Hussein Massenvernichtungswaffen an Terroristen weitergeben könnte.’… Ich sage das nicht, weil ich nicht länger glaube, dass Saddam die Möglichkeit hatte, Massenvernichtungswaffen zu produzieren, oder dass er Kontakt mit Terroristen hatte. Ich glaube, diese beiden Annahmen waren korrekt. Hätten wir diese Bedrohung durch andere Mittel als direkte militärische Intervention beherrschen können? Nun, vielleicht hätten das gekonnt.

David Frum, der 2002 als Mitarbeiter im Weissen Haus die berühmte Bush-Rede schrieb, in der der Präsident von der „Achse des Bösen“ (Irak-Iran-Nordkorea) sprach, sagt jetzt, eine Niederlage im Irak sei womöglich unausweichlich, „weil die Aufständischen bewiesen haben, dass sie jedermann töten können, der [mit den Amerikanern,J.L.] kooperiert, und die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten nicht zeigen konnten, dass sie ihnen Schutz bieten können“. Frum schiebt diese Situation auf ein „Versagen des Zentrums“ der Regierung, i.e. Präsident Bush.

Kenneth Adelmann, bis 2005 im Defense Policy Board, und Autor des Kommentars in der Washington Post vom Februar 2002, in dem „die Befreiung des Irak als ein Spaziergang“ hingestellt wurde, sagt heute, die Aussen- und Verteidigungspolitiker der Regierung seien nicht nicht nur individuell voller Fehler, „sondern zusammen tödlich, disfunktional“ gewesen. Der Neokonservatismus – „die Idee einer starken Aussenpolitik im Dienst moralischer Ziele, die Idee, Macht zu gebrauchen um das moralisch Gute in der Welt zu fördern“ sei tot für mindestens eine Generation: „Rumsfeld hat gesagt, der Krieg könne niemals im Irak verloren werden, sondern nur in Washington. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Wir verlieren im Irak.“

Michael Rubin, im Pentagon im Office of Special Plans und später bei der ersten Interimsregierung im Irak beschäftigt: „Was ich George Bush am meisten vorwerfe, ist, dass er mit seiner Rhetorik die Menschen dazu brachte, ihm zu vertrauen und ihm zu glauben. Reformer kamen aus dem Unterholz und exponierten sich.“ Bush habe die irakischen Reformer auf eine Weise betrogen, „die sich nicht sehr von dem unterscheidet, was sein Vater am 15. Februar 1991 tat – als er die Iraker aufforderte, sich gegen Saddam zu erheben -, bevor ihm Bedenken kamen und er nichts tat, nachdem sie seinen Worten gefolgt waren.“

Michael Ledeen aus dem regierungsnahen American Enterprise Institute beschreibt die Machtstruktur im Weissen Haus so: „Fragen Sie sich, wer die machtvollsten Leute im Weissen Haus sind. Es sind lauter Frauen, die in den Präsidenten verliebt sind: Laura Bush, Condi, Harriet Miers und Karen Hughes.“

Eliot Cohen, Professor an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies und Mitglied des Defence Policy Board: „Ich wäre nicht überrascht, wenn wir am Ende in Richtung einer Art von Rückzug treiben und dabei das Land in einem schrecklichen Schlamassel zurücklassen. … Ich glaube, es wird damit enden, dass verschiedene Strömungen des Islamismus, sowohl schiitisch wie auch sunnitisch, ermutigt werden, und es wird die Destabilisierung mancher Regime eher traditioneller Art mit sich bringen, die jetzt schon genug Probleme haben…“