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Deutsche Muslime gegen die Zwangsehe

 

Die Website des „Zentralrats der Muslime“ veröffentlicht ein Gutachten der „Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen“, in dem sich einige wichtige Klarstellungen finden:

Die Praxis der Zwangsverheiratung ist ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und das Selbstbestimmungsrecht betroffener Personen und deshalb eine schwere Form der Menschenrechtsverletzung…
Auch die muslimischen Verbände begreifen Zwangsverheiratungen als Verletzungen der Menschenrechte und der Menschenwürde, die weder durch religiöse noch durch kulturelle bzw. ethnische Besonderheiten relativiert und gerechtfertigt werden dürfen.

Das sind klare Worte, die dann leider doch relativiert werden, indem die „Herabsetzung und Diffamierung“ des Islam zum Hauptaugenmerk wird.

Man hat den Eindruck, dass es vor allem darum geht, den Image-Schaden für den Islam zu beheben, statt wirklich an die Missstände ranzugehen, so sehr rückt dies in den Vordergrund.

Die „arrangierte Ehe“ wird von der Zwangsehe fein säuberlich unterschieden, was in der Praxis sicher nicht so einfach möglich ist. Und arrangierte Ehe mit „Beratungsrecht“ der Eltern zu übersetzen, ist eine Verharmlosung angesichts des Drucks, der da gegenüber den Betroffenen aufgebaut wird.
Will man nun die Würde und das Recht des islamischen Individuums über sein (Liebes-)Leben verteidigen… – oder vielmehr für eine saubere, gewaltfreie Verfügungsmacht der Familie über die Individuen streiten?

Die Autoren scheinen sich nicht schlüssig zu sein.

Und solche Argumente sind nun wirklich unmöglich:

Eine eurozentristisch-westliche Blickreduzierung konstruiert eine Unvereinbarkeit islamischer Werte mit den universellen Menschenrechten, was bei den Migranten mit muslimischem bzw. türkischem Hintergrund das Gefühl der Diskriminierung und Ausgrenzung bestärkt und seinerseits wieder Selbstethnisierungsprozesse beschleunigt und die Entstehung von Parallelgesellschaften fördert.

Wer also darauf hinweist, wenn „islamische Werte“ den Menschenrechten zuwiderlaufen, diskriminiert Muslime und produziert damit Parallelgesellschaften?

Mit anderen Worten: Das Beharren auf den Menschenrechten ist für die Segregation der Muslime verantwortlich? Welch eine Entlastungslogik!
Und so geht das Argument weiter:

Danach wäre für betroffene Frauen die Befreiung aus dem Korsett der Zwangsehe nur mit der gleichzeitigen Distanzierung vom kulturell-religiösen Lebenshintergrund möglich: nämlich mit dem totalen Bruch mit der eigenen Identität. Für die betroffenen Frauen ist dies eine unheilvolle Entwicklung. Der Wunsch nach Scheidung oder gar das Aufsuchen von Unterstützungssystemen kommt dann einem Verrat an der eigenen Familie und der eigenen Ethnie gleich, da eine Inanspruchnahme eines solchen Angebotes als ein Überlaufen in das ‚feindliche Lager‘ verstanden würde.

Wessen Schuld ist es denn, dass für von Zwangsheirat bedrohte Frauen und Mädchen (und Männer!) eine Rettung oft nur als Distanzierung vom oder als Verrat des „kulturell-religiösen Lebenshintergrunds“ möglich ist?

Ist das etwa die Schuld der Frauenhäuser, der Feministinnen, der Anwältinnen, die hier Hilfe anbieten?

Wo sind denn die muslimischen Hilfsangebote, die islamischen Frauenhäuser, Selbsthilfegruppen? Wo sind denn die Imame, die diese Zustände so massiv anprangern, dass die Familien die Übergriffe nicht mehr wagen?

Immerhin, sie werden in dem Papier gefordert:

Innerhalb der muslimischen Community sollte man dem möglichen Missbrauch der Religion mehr Beachtung schenken und Aufklärungsarbeit dagegen leisten. Denkbar wären hier aus der Perspektive der Islamischen Verbände z.B. eine Fatwa
gegen häusliche Gewalt und Zwangsverheiratungen und verschiedene Projekte, die sich gegen Gewalt richten.
Das Thema Zwangsheirat und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen könnten Gegenstand der Freitagspredigt sein.

Wenn man da endlich über den Konjunktiv herauskäme, wäre tatsächlich etwas gewonnen.