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Sorgen eines Wechselwählers (5): CDU ohne Alternative?

 

Meine wöchentliche Kolume aus der ZEIT von morgen, Nr 39, S. 10:

Seit Steinmeier nicht übel abgeschnitten hat beim TV-Duell, kapriziert die andere Seite sich auf ein Killer-Argument: Der Kerl kann keine Regierung bilden. Er hat keine Machtoption!
Ich muss gestehen, das ist kein schönes, aber ein sehr starkes Argument, das mich mitten ins wankelmütige Herz trifft. Ich bin Wechselwähler, und in unserer zunehmend unübersichtlichen Parteienlandschaft heißt das: taktischer Wähler. Ich wähle nicht nur nach Überzeugung. Ich will mit meiner Stimme einen Wirkungstreffer landen. Wenn ich nun die Wahl habe zwischen einem Mann ohne Machtoption und einer Frau mit dreien, dann sollte es wohl eine klare Sache sein, bei wem ich mein Kreuzchen  mache.

Steinmeier kann zwar Schwarz-Gelb verhindern, aber keine Ampel formieren (Guido mag nicht) und kein rot-dunkelrot-grünes Bündnis schmieden (er selber mag nicht). Es wäre ein schöner Erfolg für ihn, Westerwelle einen höllischen Wahlabend zu bereiten und in der Opposition zu halten.
Meine Stimme für die Union hätte hingegen dreifache Gewinnchance: Große Koalition kann Merkel auf jeden Fall, Schwarz-Gelb vielleicht und womöglich (unwahrscheinlich) sogar Schwarz-Grün. Verlockendes Polit-Lotto!

Also Union wählen und sehen was rauskommt? Mir fiele es leichter denn je, und die Kanzlerin hat viel dafür getan: Sie hat die Partei gründlich entmufft. Spendensumpf getrocknet, Homann rausgeschmissen, Familienpolitik entrümpelt, Einwanderung akzeptiert, Klimawandel angefaßt. Merkel hat die Union sozialdemokratisiert und ihr die Obsession mit einem Konservatismus ausgetrieben, den keiner mehr lebt. Richtig so! Sie ist mir manchmal schon zu links, etwa beim Opel-Retten. Dass eine Unionskanzlerin sich freut, Putin zu ermöglichen, mit deutschem Geld eine amerikanische Firma zu kaufen, ist mir dann doch zu viel. Und wenn ich sie über gierige Manager schimpfen höre, möchte ich am liebsten einwenden, dass einige meiner besten Freunde Manager sind und ganz in Ordnung.

Wenn sie von Deutschland redet, geht es nur noch um unterbezahlte Friseurinnen und gierige Bonifresser. Die Mitte, die sie
doch wählen soll, kommt kaum noch vor.
Ich gehöre aber irgendwie zu dieser Mitte. Die Steuersenkung, die die Kanzlerin (sehr vage) verspricht, ist für mich. Und das empfinde ich als Beleidigung meiner Intelligenz. Ich war sehr fürs Bankenretten und auch fürs Konjunkturpaket. Ich weiss, wieviel Schulden wir haben. Und ich vermute, dass Angela Merkel selbst nicht daran glaubt, dass in absehbarer Zeit Steuersenkungen drin sind. Also warum sagt sie es? Weil sie mit meinen niederen Instinkten rechnet oder weil sie zwinkernd hofft, dass ich sie nicht ernst nehme?
Die Kanzlerin hält sich alles offen und ruft mir von allen Plakatwänden zu, dass ich an ihr eh nicht vorbeikann: »Wir wählen die Kanzlerin«, mahnen die CDU-Großflächen. Ich übersetze mir das so: Du könntest mir vielleicht noch Schwarz-Gelb kaputtmachen, mein Lieber. Aber regieren werde ich doch, mit wem auch immer. Also: Verhindern oder Gestalten?
Das ist für machtbewußte Wechselwähler, wie gesagt, ein bedenkenswertes Argument. Aber es ist auch gefährlich: Wir werden ziemlich fuchsig, wenn man uns bedeutet, dass wir zwar wählen können, aber einen Wechsel (an der Spitze) bitte nicht erwarten sollten. Eins können wir auf den Tod nicht ausstehen: Dass man keine Angst mehr vor uns hat. Ja, unser Herz ist ein beweglicher kleiner Muskel. Doch wir Flexiblen sind es, die dafür sorgen, dass Regierende nicht übermütig oder müde werden und Opponierende nicht bitter und demagogisch, weil sie bald schon wieder regieren können müssen. Alle Parteien mussten in Furcht vor unserer Flatterfhaftigkeit leben.
Bisher. Die Kanzlerin fürchtet mich nicht. Unerbittlich freundlich und alternativlos baut sie sich sich vor mir auf. Ich soll wählen, was ich nicht verhindern kann. Ich habe manchmal schon richtige Kohl-Flashbacks. Kann sein, dass mich das noch auf die andere Seite treibt.