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Das multikulturelle Drama – ein Streit

 

Mitblogger NKB hat mit seinem Post die Dimensionen des letzten Threads gesprengt. Er verdient eine ausführliche Debatte, und darum habe ich mich entschlossen, ihm und Loewe hier einen kleinen Ring zum Boxen einzurichten:

@Loewe

Manichäisch reine und absolute Bewertungen liegen mir nicht.

So? Das überrascht mich nun aber etwas. Ich habe von Ihnen, namentlich in Bezug auf “Multikulti” und Israel, hier bislang nur absolute Bewertungen lesen können.

Der Unterschied zwischen uns besteht u. a. auch darin, dass ich zum Beispiel meine Eltern, mein Land, meine Partei – und das Multikulturelle lieben und schätzen kann, obwohl ich gleichzeitig auch Fehler, Grenzen, Kritikpunkte, Schwierigkeiten erlebe und zum Thema mache.

Ich denke weder, dass Sie Ihr Land lieben, noch kann ich mich daran erinnern, von Ihnen je ein aufrichtiges Wort zu Fehlern, Grenzen und Schwierigkeitengelesen zu haben – soweit es nur um das Thema Zuwanderung und dabei um Fehler, Grenzen und Schwierigkeiten von Zuwanderern ging. Wenig überraschend schreiben Sie denn auch im Folgenden, als wollten Sie mir präventiv recht geben:

Ist Multikulturalität ein Selbstläufer? – Nur dann und nur so weit, wie wir Deutsche selber integrationsfähig und integrationswillig sind und die Voraussetzungen dafür schaffen. Glücklicherweise sind wir es im großen und ganzen.

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass es hier auch eine andere Seite gibt? Jedes Mal, wenn Sie sich hier austoben, sehe ich mich in meiner Meinung bestätigt, dass Zuwanderer, zumal aus dem Nahen Osten, für Sie höchstwahrscheinlich nur eine Projektionsfläche für eigene Komplexe sind… Darin spiegelt sich m.E. auch die altbekannte – übrigens ihrerseits überaus rassistisch konnotierte – Attitütde gegenüber dem “Edlen Wilden” wider. Möglicherweise ist Ihnen das tatsächlich nicht bewusst – so wenig wie Sie merken, dass Ihre Aussagen sich hier vielfach antisemitisch ausgenommen haben; aber das ändert nichts daran, dass eine solche Attitüde ebenso bizarr wie schädlich ist. Wollte man eine moralische Bewertung vornehmen, fiele mir gleichfalls nicht viel ein, dafür eine Rechtfertigung zu finden.

Ich bin von der multikulturellen Realität in Deutschland begeistert. Das ist wirklich MEIN Deutschland: bunt, vielfältig, reich an Unterschieden, für Fremdes offen, Fremdes integrierend, von Fremdem lernend.

Ich hatte Ihnen schon einmal erklärt, dass Deutschland nicht per se dadurch besser oder schlechter wird, dass hier z.B. viele Menschen unterschiedlicher Hautfarben oder Abstammung leben oder eben nicht. Ich halte das – im Unterschied zu Ihnen – zumal hinsichtlich moralischer Kategorien für wesentlich indifferent.

Daneben war Deutschland – entgegen Ihrer Ansicht – schon immer bunt, soweit damit gemeint sein sollte: von kultureller und menschlicher Vielfalt geprägt. Ich habe Ihnen schon mehrmals entgegegengehalten, dass Deutschland – im Herzen Europas gelegen – seit jeher notwendigerweise unter dem Einfluss verschiedenster Gruppen stand. Es ist deshalb geradezu lächerlich, ja es zeugt wohl sogar abermals von Komplexen, suggerieren zu wollen, Deutschland habe früher keine oder lediglich eine geringe Vielfalt aufzuweisen gehabt (zumal Sie offenbar verkennen, dass tatsächlich Pluralität vor allem von unterschiedlichen Menschen bedingt wird, weniger davon, woher diese Menschen stammen oder welche Hautfarbe sie haben).

Wenn Sie Menschen nicht zuvörderst nach ihrer Herkunft, Hautfarbe und Religion beurteilen würden, wäre das alles auch für Sie indifferent. Aus bestimmten Gründen ist es Ihnen aber nicht egal, sondern so wichtig wie nichts anderes. Deutschland gefällt Ihnen offenbar gar nur unter der Prämisse, dass es darin viel vermeintlich “Fremdes” gibt (wobei Sie auch noch dazu neigen, dieses “Fremde” gegenüber dem Einheimischen zu privilegieren; man denke nur daran, welchen Unterschied Sie etwa zwischen Christentum und Islam zu machen bereit scheinen – gleichfalls eine ebenso absurde wie weit verbreitete Attitütde).

Wenn nun ein klassischer Rechtsradikaler täte, was Sie beständig tun, nämlich den Wert von Menschen und einer Gesellschaft ausschließlich oder jedenfalls vorwiegend an ihrer “rassistischen” Erscheinung festzumachen, fänden Sie das ganz bestimmt widerwärtig. Insoweit hätten Sie sogar recht, weil es ein unzulässiges und dümmliches Urteil ist. Unter umgekehrten Vorzeichen ergehen Sie sich aber in genau denselben irregeleiten Vorstellungen. Ich sehe deshalb zwischen Ihrer Einstellung und der eines handelsüblichen Rechtsradikalen – auf dieser wesentlichen Ebene – keinen Unterschied. Sie tarnen Ihr Gedankengut nur mehr oder minder erfolgreich, indem Sie den vorgeblichen Menschenfreund mimen. Genau das sind Sie insoweit aber eben nicht.

Als ich Ihnen jüngst vorwarf, Ihrerseits die Nationalmannschaft ideologisch aufzuladen, ja höchstwahrscheinlich gar nur deshalb an ihr Gefallen zu finden, weil sie Ihrem “rassischen” (zumindest aber ideologischen) Gutdünken entspricht, verzichteten Sie gleichfalls leider auf jede Erwiderung. Der Vorwurf ist aber durchaus begründet und blieb wohl auch deswegen Ihrerseits unkommentiert. Mir will nämlich nicht einleuchten, wie Sie sich einreden können, Menschen so zu nehmen, wie sie sind, wo Ihnen doch offenbar Hautfarbe, Abstammung und kulturelle Herkunft über alles gehen und den Wert einer Gesellschaft bestimmen (wobei es übrigens Rabulistik wäre, wollten Sie tatsächlich behaupten, dass Ihre Freude vor allem damit zu tun habe, dass die Deutschen mehrheitlich so offen auf andere zugehen und umgekehrt).

Bringt Einwanderung automatisch eine Bereicherung für die einheimische Kultur? – Um Gottes willen nein! Die Einwanderung des Weißen Mannes in Amerika war eine Katastrophe für die Einheimischen, ebenso die Einwanderung der Juden in Palästina für die arabischen Palästinenser.

Ich hatte Sie schon einmal darauf hingewiesen, dass die Juden in Palästina nicht “fremd” sind. Vielmehr hat es dort immer schon Juden gegeben, und zwar lange, bevor z.B. der Islam enstand. Erklären Sie mir doch bitte einmal, wie Sie dazu kommen, die Juden samt und sonders als Einwanderer zu qualifizieren, die – das suggerieren Sie gewiss bewusst – den angeblichen Einheimischen, nämlich den Palästinensern, das Land gestohlen und dadurch eine Katastropheverschuldet haben.

Ist Ihnen außerdem bewusst, dass diese Delegitimierung der Existenz durch die Behauptung vorgeblicher Fremdheit wesentliches Element nahezu aller Völkermorde in der Menschheitsgeschichte war?

Wie kommt es im Übrigen, dass Sie hier ausgerechnet die Indianer und die Palästinenser als Beispiele nennen, obwohl es gar nicht schwer wäre, überall auf der Welt, auch und gerade in Europa, Beispiele für Eroberung und Unterdrückung zu finden (Stichwort: edler Wilder).

Ich glaube ja nicht, dass “die Linke” jemals so völlig unkritisch war bezüglich Multikulti, wie es Lau hier unterstellt. Aber ein paar Leute auf der Linken wird es schon gegeben haben, die so naiv waren, also kann man die Unterstellung mal durchgehen lassen.

Da täuschen Sie sich sehr: Lau gibt hier durchaus treffend ein lange Zeit weit verbreitetes Dogma wieder, das in ganz Europa erhebliche Probleme verursacht hat. Darauf habe ich Sie auch schon das letzte Mal hingewiesen, doch Sie wollten nicht darauf eingehen. Denn die Probleme, die wir mit Zuwanderern haben – nicht ausschließlich, aber doch vor allem aus dem islamischen Kulturkreis -, zeigen sich in ganz Westeuropa, wo ähnliche Dogmen lange Zeit den Diskurs und auch maßgeblich die Politik bestimmten. Ich denke, dass es vor allem diese “Multikulti”-Attitütde war, die die besagten Probleme verschuldet hat, indem sie a) Parallelgesellschaften erzeugt hat, die vor allem dem Spracherwerb von Zuwandererkindern abträglich waren, indem sie b) die Eigenverantwortlichkeit von Zuwanderern unterminiert und deshalb eine dauerhafte Abhängigkeit von Sozialleistungen begründet hat und indem sie c) ein ständiges Ressentiment bei der autochthonen Bevölkerung erzeugt hat, indem deren (unterstellte) “Kultur” als im Vergleich weniger wertvoll porträtiert wurde (was auch durchaus Ziel dieser Ideologie gewesen sein dürfte; man denke nur daran, wie die Heterogenisierung Europas ideologisch gerechtfertigt wurde, nämlich mit der Gefahr durch die Europäer).

Wie erklären Sie sich im Übrigen etwa den Umstand, dass ein Geert Wilders in den Niederlanden, ehemals vermeintlich ein Musterland von “Multikulti”, für seine Ansichten größte Zustimmung erfährt, und zwar keineswegs nur vonseiten rechtsradikaler Kräfte? Wenn es stimmen sollte, dass Sie kein Freund absoluter Bewertungen sind, müsste Ihnen dämmern, dass das durchaus maßgeblich mit den Zuständen im Land zu tun haben dürfte, die mit den Worten Theo van Gogh gut und Mohammed Bouyeri knapp gut umrissen sein dürften.

Ich habe auf meinem Blog einige Male Bezug genommen auf gewisse Schwierigkeiten in Berlin (und an einigen wenigen anderen Stellen in Deutschland), die mit der Migration und Integration zusammenhängen.

Ich denke nicht, dass die Bedeutung und der Umfang dieser Schwierigkeiten damit gut skizziert ist, lediglich von Berlin und einigen wenigen anderen Stellen zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine existentielle Herausforderung ganz Europas. (Ich empfehle zur nicht-europäischen Sicht auf diese Probleme z.B. die Lektüre von Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa.)

Dass Sie diese Schwierigkeiten nicht anerkennen wollen, mindestens das Ausmaß dramatisch kleinzureden versuchen, also offenbar gar nicht daran interessiert sind, dass man sich den Problemen offen stellt, legt für mich Ihrerseits eine große Unaufrichtigkeit nahe. Sie mögen sich ja in der Tat einbilden, diese Schwierigkeiten wären gering, oder dass es genüge, wohlfeile Augenwischerei zu betreiben, um weiter den Schlaf der der “”Gerechten schlafen zu können. Tatsächlich aber gäbe es, wären die Schwierigkeiten nicht bedeutend größer wären, als von Ihnen suggeriert, nicht den geringsten Grund, weshalb dieses Blog überhaupt existieren und wir hier schreiben sollten.

Vorsichtshalber weise ich übrigens darauf hin, dass ich am Wochenende nicht da bin. Soweit Sie aber auf meine hier geäußerten Einwände ernsthaft antworten sollten, werde ich mich bemühen, Ihnen irgendwann in nächster Zeit meinerseits wieder eine Antwort zukommen zu lassen.