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Merkels Multikulti-Bashing, von Indien aus gesehen

 

Heute morgen in Delhi: Bei einer Konferenz über Islam in Europa und Indien eröffnen alle Sprecher ihre Beiträge mit einer Referenz an Merkels Multikulti-Absage. Die auch noch! Hat sie das wirklich gesagt, dass alle gehen sollen, die sich nicht dem „christlichen Menschenbild verbunden“ fühlen?
Nun ja, da steht man für einen Moment angeschmiert da, versucht die Kanzlerin zu verteidigen – und gibt dann doch lieber auf, wenn man in die fassungslosen Gesichter sieht. Man hatte Merkel als besonnene europäische Politikerin in Erinnerung, die mit Manmohan Singh exzellente Beziehungen pflegt. Man hatte sie als Fels in der populistischen Brandung gesehen, anders als Sarkozy, Berlusconi (es sind viele Italiener hier) oder die Regierungschefs unserer kleinen Nachbarstaaten, die fast alle von großen rechtspopulistischen Strömungen abhängen.
Jetzt also stimmt Merkel auch noch in den Chor der Multikulti-Totsager ein. Was um so bemerkenswerter ist, als Deutschland nie eine multikulturalistische Politik hatte (wie etwa England, mit schlechten Resultaten). Das deutlichste Zeichen dafür ist der von der CDU/CSU verhinderte Doppelpass. In Deutschland gibt es zwar einen Rechtsanspruch darauf, Deutscher zu werden. Aber man muss dafür die Herkunftsnationalität aufgeben. Die Kritik der Parallelgesellschaften auf allen Ebenen ist zum Mantra geworden, so selbstverständlich ist sie geworden. Wir vermeiden vielleicht den Begriff Leitkultur, weil er nicht jedermann gefällt, de facto ist er Konsens geworden, bis zu den Grünen hin, die sich klar zur deutschen Sprache als Grundvoraussetzung von Integration bekennen (spät genug).
Wir haben Einbürgerungstests, Deutschpflicht bei Familienzusammenführung und verpflichtende Integrationskurse. Wo ist der „Multikulturalismus“, den Merkel für gescheitert erklärt? Die Abschottung bestimmter Milieus von Einwanderern kann damit nicht gemeint sein, den das führt zu einer Kollektion von Monokulturen, die universal verurteilt wird.
Kritik der Chimäre „Multikulturalismus“ dient für Merkel der Entlastung: So kann man suggerieren, dass die Schuld für die Misere des Integrationslandes Deutschland bei irgendwelchen Rotgrünen liegt, und nicht bei den eigenen Leuten.
Wer aber hat denn dieses Land, bitteschön, in den 16 Jahren regiert, in denen sich die Mißstände aufgehäuft haben? Die Union mit ihrem Traumpartner FDP. Rot und Grün haben das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert, was längst überfällig war. Dabei wurde man von der Union nur gebremst. Rotgrün hat die Rhetorik des Förderns und Forderns populär gemacht. Erst in der Großen Koalition hat die Union angefangen, sich ehrlich zu machen und anzuerkennen, dass dieses Land auf Dauer Einwanderungsland bleiben wird – und dass Integration notwendig ist. Vorbei?
Geht jetzt wieder die Augenwischerei los?
Für wie dumm hält die Kanzlerin die Leute, denen sie mit Multikulti-Geschimpfe vorzumachen glaubt, ihr „konservatives Profil“ sei wieder geschärft? Was ist konservativ an solcher Mythenbildnerei? Nicht ein Multikulturalismus (den es als Politik nie gegeben hat) hat das Intergrationsland Deutschland zurückgeworfen, sondern eine verantwortungslose Politik von SPD/FDP (unter Schmidt und Genscher) und CDU/FDP (unter Kohl und Genscher): Anwerbestopp für Arbeitskräfte plus Familiennachzug gleich Einwanderung in die Sozialsysteme, gleich Bildung „ethnischer Kolonien“ (Stefan Luft), gleich Desintegration der dritten Generation…
Darüber will man nicht reden, das ist unangenehm. Also schlägt man noch einmal auf Multikulti ein und vertraut darauf, dass die Leute das schon richtig verstehen als feine (leider auch ziemlich feige) Form des Muslimbashings. Denn die Muslime sind natürlich gemeint, wie könnte man das nach der Debatte der letzten Wochen anders verstehen? Es wird Frau Merkel nichts nutzen. Jedermann weiß, dass sie solche Sprüche nur klopft, weil ihr das Wasser bis zum Hals steht.
Hier in Indien ist niemand naiv über die Schwierigkeiten, mit politisierter Religion in einer säkularen, liberalen, offenen Gesellschaft zu leben. Niemand träumt in diesem Land Multikultiträume, in dem oft genug Blut fließt, weil bestimmte Gruppen die Religion mißbrauchen. Dass nun auch Angela Merkel anfängt, christliche Werte wie einen Knüppel zu schwingen, ist ein Schock. Man hatte sie für eine globale Politikerin gehalten.
Ob unsere Politiker daheim mit ihrem zunehmend aggressiven Provinzialismus eigentlich merken, was sie anrichten?