Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Sarrazins Applaus

 

Thilo Sarrazin hat in der 14. Auflage seines Buchs einige Passagen überarbeitet. Besonders die genetisch argumentierenden Stellen wurden abgeschwächt. Die Welt hat Text-Synopse betrieben:

„In seinem besonders umstrittenen achten Kapitel (‚Demografie und Bevölkerungspolitik: Mehr Kinder von den Klugen, bevor es zu spät ist‘) hat Sarrazin einen kompletten Satz gestrichen. Es geht hier um die kulturelle Fremdheit muslimischer Migranten und deren geringes ‚qualifikatorisches oder intellektuelles Potenzial‘. In der 1. Auflage schreibt Sarrazin auf Seite 370: ‚So spielen bei Migranten aus dem Nahen Osten auch genetische Belastungen – bedingt durch die dort übliche Heirat zwischen Verwandten – eine erhebliche Rolle und sorgen für einen überdurchschnittlich hohen Anteil an verschiedenen Erbkrankheiten.‘ In der aktuellen 14. Auflage ist dieser Satz nicht mehr enthalten. Sarrazin hat an seiner Stelle einen Satz, der sich zuvor in den Fußnoten befand, eingefügt: ‚Die für die Einwanderung nach Deutschland relevanten Herkunftsgebiete – Türkei, Nah- und Mittelost, Nordafrika – weisen sowohl bei den Pisa-Studien als auch bei den TiMSS-Studien (International Mathematics and Science Study) sehr niedrige Werte aus, die zur Schulleistung der entsprechenden Migrantengruppen in den Beziehungsländern passen.'“

Dass Sarrazin sich von Sarrazin distanziere, wie die kühne Überschrift behauptet, ist aber Quatsch. Es handelt sich um „Präzisierungen“, wohl nicht zuletzt um der SPD den Parteiausschluss so schwer wie möglich zu machen.

Es ist von einigen hier in diesem Blog immer wieder bemängelt worden, dass ich die Rezeption des Buchs mit mehr Aufmerksamkeit bedacht habe als die Thesen. Im Prinzip ist das ein korrekter Einwand. Aber erstens fand eine starke Auseinandersetzung mit den Thesen schon statt (ich selber habe auch zur ersten Runde Sarrazin-Debatte nach dem Lettre-Interview bereits mehrfach geschrieben). Und zweitens gibt es Bücher, deren Rezeption interessanter ist als ihr Inhalt. Dies hier ist so ein Fall. Zum Inhalt ist auch manches zu sagen, aber der Effekt des Buchs ist nicht auf der Sachebene allein zu klären. Gegenargumente vorbringen, Abwägen, Widerlegen bringt nicht viel angesichts des Gefühls der Befreiung, das manche Leser offenbar empfinden. Bitte: Es gibt kritische, abwägende Leser, die sich das Buch keineswegs nur reinziehen, um ihre Wut zu munitionieren.

Aber es gibt eben auch die anderen, und die sind furchteinflößend. Mir fällt dazu keine Parallele ein.

Zitat aus dem Porträt von Michael Slackman (New York Times) über Thilo Sarrazin:

„Still, it seems that what has made Mr. Sarrazin so popular, or notorious, is not just his attack on Muslims, which is certainly not the first. What he seems to have accomplished is blasting open a door many thought was sealed shut by Germany’s Nazi past. As a lifelong Social Democrat, and not some fringe far right extremist, Mr. Sarrazin has made it acceptable for the German everyman to criticize a specific minority group, and to make sweeping statements about that group’s intellectual capacity.“

Wer das für falsch hält, lese bitte die letzte Kolumne von Ulrich Jörges im Stern: Ihr Applaus, Herr Sarrazin.