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Ägyptens Helden – und der zögerliche Westen

 

München Vor fast vier Jahren habe ich in diesem Blog eine Kampagne für den ägyptischen Blogger Karim Amer unterstützt. Er war Student der Al-Azhar-Universität in Kairo. Die Gewalt gegen koptische Christen in seiner Heimatstadt Alexandria hatte ihn zu einem scharfen Kritiker des Islamismus in Ägypten gemacht. Er hatte aber auch die Frechheit besessen, in seinem Blog den Präsidenten Mubarak als „Tyrannen“ zu bezeichnen. Die Uni warf ihn raus, und dann wurde Karim von einem ägyptischen Gericht zu vier Jahren Haft verurteilt, drei davon wegen Beleidigung des Islams, eines wegen Beleidigung des Präsidenten (was schon dessen quasi-göttliche, pharaonenhafte Anmassung zeigt). Sein Vater sagte, er würde ihn gerne hingerichtet sehen.

Unsere Kampagne war nicht erfolgreich. Karim musste seine gesamte Haftzeit absitzen. Im letzten Herbst wurde er entlassen. Heute ist er unter den Protestierenden. Und er hat kürzlich im Wall Street Journal schreiben können, was für ein Gefühl es ist, jetzt auf die Strasse zu gehen, und nicht mehr allein zu sein.

Und das ist für mich das Wunder dieser Tage: Ein radikaler Einzelgänger, ein Sturkopf wie Karim Amer, ist heute nicht mehr einsam. Millionen tun es ihm gleich. Vor ein paar Tagen schrieb mein Lieblingsblogger Sandmonkey folgenden Tweet: „5 yrs ago my beliefs made me a minority opposition, today i am the people“. Sandmonkey schreibt nun pausenlos von unterwegs, als Teil der aufständischen Masse, die nicht eher ruhen will, bis Mubarak weg ist. Das ist für Leute wie Karim oder Sandmonkey eine existentielle Frage: Denn mit Sicherheit werden Leute wie sie einkassiert und unterdrückt, wenn das Regime überlebt.

Am Rande der Israelreise mit der Bundeskanzlerin hatte ich Gelegenheit sie zu fragen, ob es nicht ein Fehler der westlichen Diplomatie war, die ganze Region nur durch das Prisma des Nahostkonflikts zu sehen. Das war die Grundlage für Mubaraks faules Spiel, sich als „moderater Araber“ zu empfehlen und damit Hilfsgelder, Waffen und freundschaftliches Ignorieren der Unterdrückung im Lande zu erkaufen. (So wie es die Saudis immer noch machen.) Und es war die Grundlage für die Unterschätzung der gesellschaftlichen Dynamik im Lande: Leute wie Karim und Sandmonkey waren in dieser Welt nur lästige Störenfriede (ähnlich wie früher die Dissidenten im Ostblock).

Angela Merkel wollte sich auf diese Frage nicht einlassen. Sie tat sie als nachträgliche Besserwisserei ab. Mich hat das einigermassen überrascht, weil doch Merkel selber erlebt hat was es bedeutet, auf der geopolitischen Schattenseite der Geschichte aufzuwachsen. Vielleicht hat es genau damit zu tun: Sie will nicht für naiv gehalten werden. Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Ostlerin sehe alles durch die Brille des Mauerfalls. Aber das war ja auch nicht meine Absicht gewesen: Ich wollte nicht suggerieren, dies hier sei ein neues ’89. Was da in Ägypten vorgeht, ist ein Ereignis sui generis, und niemand kennt den Ausgang. Karim und Sandmonkey beobachten sehr vorsichtig, was die Muslimbrüder treiben. Es könnte ihnen gehen wie vielen säkularen Revolutionären im Iran, die auch Bekanntschaft mit zweierlei Unterdrückungsapparaten machten, erst mit dem des Schahs, dann mit dem der Mullahs.

Aber: Dass es nicht gut ist, eine ganze Weltregion nur nach den Kriterien eines einzigen geopolitischen Problems zu beobachten (Israel/Palästina), das darf man ja wohl festhalten. Wir, der Westen, haben Mubaraks Spiel viel zu lange mitgespielt und die ägyptische Gesellschaft vernachlässigt, sofern sie nicht bei dem Muslimbrüdern organisiert ist, über die wir uns viele Gedanken machen. Wir haben damit zugleich das Spiel des Regimes und der Islamisten mitgespielt.

Und darum bin ich ein bisschen stolz auf diese Zeilen, mit denen mein Essay über Heldentum und Zivilcourage im Merkur (Nov/Dez 2009) endete:

Der Staatsanwalt im Gericht von Alexandria fragt Suleiman (i.e. Karim Amer), was er damit meine, dass „Hosni Mubarak der Kalif sei, Gottes Stellvertreter im Lande Ägypten, Unterdrücker der Menschen und Symbol der Tyrannei“. Der Angeklagte antwortet: „Das ist meine Überzeugung. Ich habe das sarkastisch gemeint. Ich sehe ihn als Tyrannen.“ Das Urteil am 22. Januar 2007 lautete auf vier Jahre Haft: drei für die „Missachtung der Religion“, ein Jahr für die „Diffamierung des Präsidenten“. Sein Vater ließ die Medien wissen, er hätte die Todesstrafe für angemessen gehalten.

Schwer zu ermessen, wie einsam ein solcher Mensch sein muss: Sich weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen zu lassen ist unter diesen Umständen etwas Heroisches. Undenkbar ist es immerhin nicht, dass man in dem unbeugsamen Eigensinn von Karim Amer eines Tages den Anfang vom Ende der Mubarak-Tyrannei sehen wird.