Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Warum noch FDP?

 

Im letzten Herbst habe ich für den Merkur über den „real existierenden Liberalismus“ der FDP geschrieben. In diesem Artikel habe ich Guido Westerwelle als „dead man walking“ bezeichnet. Nur wird er wohl als solcher deutscher Außenminister bleiben, nachdem er die Parteiführung der Liberalen abgelegt hat.

Aber wozu noch organisierter Liberalismus in einer durch und durch (na ja?) liberalen Gesellschaft? Warum bräuchte man eigentlich noch eine liberale Partei? Wie heute – unter Bedingungen der Freiheit – von der Freiheit reden?

Hier ein paar Überlegungen aus meinem Stück :

Wie redet man in einer solchen Gesellschaft − und vor einem solchen breiten Zielpublikum − einnehmend von der Freiheit? Sie muss heute und hierzulande nichtmehr gegen das Spießertum, auch nicht in erster Linie gegen einen übergriffigen Staat und schließlich kaum noch gegen totalitäre Ideologien verteidigt werden. Diese Schlachten sind geschlagen, wenn auch Nachhutgefechte immer wieder nötig sein werden.
Wie aber soll man dann im heutigen Deutschland von der Freiheit reden, der inneren wie der äußeren? Die Freiheit zur persönlichen Entfaltung muss nicht mehr lauthals verteidigt werden. Selbstverwirklichung als hoherWert ist bis tief in konservativeMilieus hinein durchgesetzt (wie die öffentlich debattierte Affäre des Gesundheitsministers Seehofer eindringlich bewiesen hat). Die Kosten der Freiheit hingegen werden überall sichtbar, zum Beispiel in zerstörten Ehen und in den Kämpfen, die Alleinerziehende zu bestehen haben. Auf der großen politischen Bühne ist nach dem Ende der totalitären Diktaturen kein Erbe in Sicht, der die Ordnung der Freiheit imWesten gefährden könnte. Der Islamismus bleibt ein Problem, hat aber nicht das Zeug zum Nachfolger für Faschismus und Kommunismus.
Während die private Freiheitsmaximierung also an gewisse Grenzen stößt, ist der Kampf der freien Gesellschaften gegen äußere Feinde zugleich eine komplizierte Sache geworden, man denke nur an die erfolgreiche Kombination von ökonomischer Liberalisierung und rigorosem Autoritarismus in China. Und schließlich ist der Markt nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr einfach als reine Quelle der Freiheit zu reklamieren. Er zeigt in Gestalt des Kasinokapitalismus auch Züge einer Gefahr für die Freiheit − als großer Gleichmacher, als Vernichter von Lebenschancen.
Wie also soll die FDP von der Freiheit sprechen, damit sie von der Mitte unter diesen Umständen gehört wird? Wie verteidigt man die Freiheit unter Bedingungen der Freiheit? Nicht mit hohlem Pathos und geborgten Gegnerschaften aus dem Weltbürgerkrieg. Westerwelle kann es nicht lassen, überall »Sozialismus« zu riechen, und auch sein junger Adlatus Christian
Lindner, ein möglicher Nachfolger, erkennt in Vorschlägen der Linkspartei gerne »Sowjets«. Eine heimliche Sehnsucht nach den übersichtlichen Achtzigern und der Blockkonfrontation scheint die Déjà-vu-Gefühle dieser beiden zu treiben.
Damit korrespondiert eine Art Gutmenschentum der Freiheit, das immer nur das Positive sehen will und die Schmerzen derjenigen herunterspielt, die in der Multioptionsgesellschaft nicht zurechtkommen. Ein Markt, der für viele Menschen kein Freiheitsquell mehr ist, kommt imFDP-Weltbild nicht vor. Alles, was die FDP den Verlierern zu bieten hat, sind dürre Worte darü-
ber, dass Freiheit nun einmal vor Gleichheit kommt. Die Botschaft ist: Pech gehabt.Wir brauchen euch nicht. Wir kommen auch ohne euch auf 15 Prozent. Die FDP sieht sich als Gewinnerpartei und glaubt offenbar, keine Rücksicht auf die Verlierer nehmen zumüssen.

Das ist allerdings zu kurz gedacht, weil die Attitüde auch viele in derMitte abstößt. Nicht etwa, weil die Mitte in diesem Land »Gleichheit statt Freiheit« wollte. Die Schicht der Leistungsträger hat ganz offenbar nichts gegen Konkurrenz, Meritokratie und Leistungsgerechtigkeit. Woher käme denn sonst dieWettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik?
Diese Mitte ist allerdings besorgt um die Nachhaltigkeit der Freiheit in Deutschland. Sie möchten nicht nur als Steuerbürger angesprochen werden, deren einziges Problem ist, wie sie »mehr Netto vom Brutto« rausbekommt.
Viele Mitte-Wähler fühlen sich durch eine solche Ansprache unangenehm berührt. Im Großen und Ganzen zahlt die Mitte hierzulande Steuern zwar nicht gern, aber klaglos − solange derDeal stimmt: gute Schulen, prompt reparierte Straßen, sozialer Frieden. Das wäre eigentlich ein Grund zur Freude für Liberale, weil sich darin ein Grundvertrauen in die Institutionen ausdrückt − eine dieserDahrendorfschen »Ligaturen«, die schwerwieder errichtet werden können, wenn sie in die Brüche gehen. Doch die FDP hatWahlkampf um Wahlkampf damit bestritten, das Misstrauen des Steuerbürgers zu schüren. Das war erfolgreich, aber auch immer ein wenig schäbig. Und hochriskant, wie sich nun zeigt: Wenn Steuersenkungen nicht möglich sind, wird eine Einthemapartei damit nämlich im Handumdrehen zur Nullthemenpartei. Die Erfolgsgeschichte des verarmten Liberalismus der FDP ist ironischerweise mit ihrem Regierungseintritt ans Ende gekommen. Die FDP ist, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, eine Partei am Nullpunkt geworden.
Der Parteichef Westerwelle, mit dem sich diese Entwicklung verbindet, ist nun ein »dead man walking«. Neue Gesichter werden gesucht. Doch woher nehmen? Die nächste Reihe ähnelt ihm doch allzu sehr. Wenn von den jungenMännern, die heute und wohl für Jahrzehnte noch das Gesicht des Liberalismus hierzulande prägen werden, einer doch einmal eine interessante
Geschichte aufweisen kann wie etwa der Gesundheitsminister Philipp Rösler, der als Kind vietnamesischer Boatpeople nach Deutschland kam, dann stürzt sich die Presse darauf. Der Phänotyp des FDP-Politikers heute ist nämlich ein etwas blässlicher junger Mann, der sehr schneidig auftritt, obwohl er außer Versammlungen der Jungen Liberalen nicht viel erlebt oder
gesehen hat.
Er ist nicht dumpf wie die frühere Generation intellektueller Zombies in der FDP. Nein, er hat seinen Hayek drauf und seinen Friedman, für besondere Gelegenheiten auch ein Prunkzitat von Dahrendorf, vielleicht gar eins von Röpke. Er spottet gerne über die Bremser und Bedenkenträger im Land. Das Leben scheint immer noch vor ihm zu liegen. Vielleicht kommt dieser Ein-
druck daher, dass er so ganz ohne biographischeUmwege und Irrtümer, ohne Bindungen, von denen man sich lösenmusste, ohne Inkonsistenzen und offene Rechnungen durchs Leben gegangen ist.
Dass die FDP nicht darauf gekommen ist, jemanden wie Joachim Gauck als Kandidaten für das Präsidentenamt vorzuschlagen − einen Freiheitsfreund, der mit seinem ganzen Leben im Widerstand gegen die SED-Herrschaft gezeigt hat, dass Liberalismus in Deutschland auch unter widrigsten Umständen Anhänger hat −, spricht Bände. Für eine solche Idee hatte man überhaupt keinen Blick mehr: So sehr war man wieder, wie einst bei Kohl, mitMachterhalt und Koalitionspflege beschäftigt, dass man sich von Merkel den blassen HerrnWulff diktieren ließ.
Der Niedergang der FDP in der Regierung ist kein Grund zur Genugtuung. Zwar gibt es heute Liberale in allen Parteien, aber nur der Partei des real existierenden Liberalismus stellt sich die Frage, was es heißt, unter Bedingungen der Freiheit liberal zu sein, in aller Direktheit und Grundsätzlichkeit. Darum würde sie eigentlich gebraucht. Freiheit braucht Tugenden.
Eine freiheitliche Ordnung ist ja mehr als jede andere darauf angewiesen, dass ihre Akteure sich, orientiert anWerten, selber steuern. Liberale sollten also auch etwas dazu zu sagen haben, welche Ausübung der Freiheit heute die Freiheitschancen künftiger Generationen gefährdet: durch Verschuldung, Ressourcenverschwendung und andere Formen der Optionenvernichtung.
Allgemeiner gesagt: Es werden Liberale gebraucht, die in der Lage sind, über diemoralischen Voraussetzungen einer freiheitlichen Ordnung nachzudenken, die auch der beste Markt nicht bereitstellen kann, und die sich auch nicht scheuen darüber zu reden, wenn die ungeordnete Freiheit sich selbst gefährdet.

Falls es solche Liberale in der FDP gibt, wäre jetzt kein schlechter Moment, aus dem Versteck zu kommen.