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Warum das Jüdische Museum (zu Recht) so erfolgreich ist

 

In meinem Text für die Jubiläumsausgabe der Zeitschrift des Jüdischen Museums in Berlin habe ich darüber nachgedacht, warum Deutschland das Jüdische Museum braucht, auch wenn die „Gedenkphase“ der deutschen Nachkriegsgeschichte vorbei ist:

Wer nach zehn Jahren Gründe sucht, warum Deutschland ein Jüdisches Museum braucht, muss nicht lange wühlen. Zwei jüngere Debatten haben bewiesen, dass sich hierzulande immer noch vieles nicht von selbst versteht, was die deutsch-jüdische Geschichte betrifft – und das gilt für die rechte wie die linke Seite des politische Spektrums.
Im letzten Herbst hatte der neue Bundespräsident Christian Wulff zum Tag der Deutschen Einheit festgestellt, dass „auch der Islam“ inzwischen zu Deutschland gehöre, so wie „zweifelsfrei“ das Christentum und das Judentum. Eine Banalität, möchte man meinen.
Doch es folgten Wochen heftiger Debatte. Noch nie ist ein Bundespräsident für eine solche Aussage von Vertretern seiner eigenen Partei derart angegriffen worden. Grund dafr war nicht die Aussage über das Judentum, sondern Wulffs lässige rhetorische Geste der Inklusion gegenüber dem Islam.
Und nun passierte etwas Interessantes: In den folgenden Tagen war viel die Rede von der „christlich-jüdischen“ Tradition, auf der „unser Verständnis von Menschenrechten und Aufklärung“ beruhe. Die Muslime hätten dazu nichts beigetragen und könnten darum auch nicht in gleicher Weise „zweifelsfrei“ dazugehören.
Hier wurde ein vermeintliches deutsches christlich-jüdisches Erbe in Anschlag gebracht, um Muslime auszugrenzen. Die Rede von der „christlich-jüdischen Kultur“ war historisch immer fragwürdig. Doch hatte sie nach dem Krieg auch einen guten Sinn. Nie wieder sollten Juden als das nicht integrierbare andere schlechthin definiert werden, wie es jahrhundertlang üblich war. Doch in der Kritik an Wulffs Aussage ging es vor allem um die Markierung einer Differenz zu den Muslimen.
Die Juden rhetorisch zu umarmen, um die Fremdheit des Islams herauszustreichen, ist Geschichtsklitterung. Die kaum versteckte Botschaft an die Muslime kam gleichwohl an: Ihr gehört hier nicht her, ihr habt nichts beizutragen, ihr werdet fremd bleiben.
Gut, dass sich Vertreter des deutschen Judentums sofort gegen dieses Spiel verwehrt haben. Wenn führende Politiker dieses Landes heute so reden, als habe 2000 Jahre lang das schönste christlich-jüdische Werte-Einverständnis geherrscht, als hätten Christen und Juden zusammen in herrlichster Harmonie Toleranz und Aufklärung entwickelt, als hätten erst die einwandernden Muslime die schöne deutsch-jüdische Symbiose zerstört – dann ist eine Mission des Jüdischen Museums offenbar auch nach zehn Jahren nicht erfüllt: die spannungsreiche Geschichte der Juden in deutschen Landen in all ihrer Komplexität, Ambivalenz, Größe und Tragik so zu erzählen, dass sich eine „christlich-jüdische“ Instrumentalisierung gegen andere Minderheiten verbietet.
Kann es sein, dass die Politiker, die heute so leichtfertig mit der Formel umgehen, nie im Museum waren? Oder ist es möglich, dass sich bei ihnen einfach die Phrase von den „2000 Jahren deutsch-jüdischer Geschichte“ festgesetzt hat, mit der das Museum anfangs überall beworben wurde?
Die zweite Debatte, die über den Stand der deutsch-jüdischen Dinge hierzulande erschaudern lassen kann, ist der Antisemitismus-Streit in der Linkspartei. Seit Jahren hat Gregor Gysi versucht, seine Partei zu einem Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zu führen. In diesem Frühjahr häuften sich dann die Ereignisse, die auf einen tief sitzenden Antisemitismus bei manchen linken Funktionären – vor allem aus der Westlinken – zu deuten schienen, gipfelnd im Schal der Bundestagsabgeordneten Inge Höger, auf dem der Nahe Osten ohne Israel abgebildet war. Gysis Beschlussvorlage, in der die Linke-Fraktion sich zum Existenzrecht Israels bekennt und bei aller Kritik an Besatzung und Boykott von der Teilnahme an der Gaza-Flotille distanziert, löste wütende Reaktionen bei den „antizionistischen“ Kräften der Partei aus.
Nun kann sich ein Museum zur Geschichte des deutschen Judentums nicht mit den Details solcher aktueller Debatten befassen, und es sollte sich vielleicht auch gar nicht direkt in sie einmischen. Aber sie zeigen zwei Felder an, auf denen weiter Aufklärung nötig ist. Ein rechter Vereinnahmungsdiskurs (gegen die Muslime) und ein linker Ausgrenzungsdikurs (im Namen der Israelkritik) sind zwei große Herausforderungen für Juden in Deutschland heute. Dem muss auch die Programmarbeit des Museums Rechnung tragen.
Das Jüdische Museum ist das Geschöpf einer Phase der bundesrepublikanischen Geschichte, die man die Gedenkphase nennen kann. Sie umfasst genau zwanzig Jahre vom 8. Mai 1985, dem Tag der Weizsäcker-Rede, bis zum 10. Mai 2005, der Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden. In diesen zwei Jahrzehnten hat sich die Bundesrepublik hauptsächlich durch die Debatten über das richtige Erinnern an die deutschen Verbrechen, an die Täter und deren Opfer, definiert. Auch der Frankfurter Fassbinder-Skandal fiel in diese Phase, sowie die Wehrmachtsausstellung und der Streit ums Goldhagen-Buch. Nicht zu vergessen die Berliner „Topographie des Terrors“ . Dies war eine sehr fruchtbare Epoche für Deutschland. Sie reichte zurück in die „alte Bundesrepublik“, aber sie überspannte noch die Wiedervereinigung und den Umzug in die altneue Hauptstadt. Es war, als ginge es um die seelische Möblierung des neuen, größeren Hauses Deutschland, in das man sich nun anschickte umzuziehen. Dem jüdischen Museum kam dabei die Aufgabe zu dafür zu sorgen, dass über dem Schrecken die Fülle und der Reichtum des jüdischen Lebens nicht vergessen werden sollte. Nun ist diese Phase vorbei.
Deutschland definiert sich nicht mehr so sehr durchs Gedenken. Das Mahnmal ist errichtet, die „Topographie“ eröffnet, das Jüdische Museum eilt von Erfolg zu Erfolg beim Publikum. Ist das deutsche Haus also bestellt? Ist das jetzt endlich die ersehnte und befürchtete Normalität? Die „schlechte Normalisierung“ des Verdrängens und Vergessens hat jedenfalls nicht stattgefunden, und auch daran hat das Museum einen Anteil. Ein Drittes hat sich durchgesetzt: Deutschland kommt auch ohne die Schimäre der Normalität ganz gut zurecht.
Dass an der Kreuzberger Lindenstraße kein „Holocaustmuseum“ steht, haben die Leute zwar wohl endlich verstanden. Anfangs war eine der Hauptschwierigkeiten, Kritikern und Publikum zu vermitteln, dass hier das ganze jüdische Leben in den Focus gerückt war, statt nur die versuchte Auslöschung. Das ist sicher auch ein Geheimnis des Erfolgs. Wie weiter?
Gleichzeitig gegen Vereinnahmung und Ausgrenzung zu kämpfen, ist die schwierige, nahezu paradoxe Aufgabe.
Der Erfolg des Museums mit seinen beeindruckenden Besucherzahlen trägt die Gefahr in sich, über das Ankommen des Jüdischen im gesellschaftlichen Mainstream zu täuschen. Darum ist es gut und richtig, dass das Museum dies immer wieder selbstkritisch thematisiert. Die Möglichkeit, dass man Teil einer trügerischen Scheinblüte des deutschen Judentums wird, die sich in zahlreichen Synagogenbauten, Ausstellungen und Festivals inszeniert, ist real. Jede Stadt mit einer kleinen jüdischen Gemeinde möchte heute gerne eine Synagoge vorweisen können. Moscheen hingegen bedeuten meist Ärger. Dabei ließe sich aus der Geschichte des Synagogenbaus in Deutschland sehr viel Erhellendes über unsere heutigen Debatten lernen: über die Spannung zwischen Eigenständigkeit und Integration, Beheimatungswünschen und dem Versuch, angstfreies Anderssein zu inszenieren.
Soll ein jüdisches Museum sich denn überhaupt für die Universalisierung der jüdischen Erfahrung interessieren und thematisch ausgreifen? In den letzten zehn Jahren ist das immer wieder geschehen: Völkermord in Darfur, Migration, Exil, Rassismus waren Themen. Das ist kritisiert worden von denen, die finden, man müsse sehr viel mehr über das „eigentlich Jüdische“ – also vor allem über die Religion – reden, bevor eine Universalisierung überhaupt sinnvoll sei. Die Neigung zur Ausweitung des Themenfeldes steht in einer natürlichen Spannung mit der Aufgabe, immer wieder die spezifische Dichte des jüdischen Lebens in Deutschland vor und nach Hitler zu messen und zu beschreiben. Aber warum soll man daraus einen unversöhnlichen Widerspruch konstruieren?
Es war schon durch die Vorgabe des Libeskind-Baus unmöglich, das jüdische Museum thematisch engzuführen. Schon die Architektur drängte hier ins Didaktische und Thesenhafte. Viele Kritiker haben das beklagt, manche Ausstellungsmacher haben hintenrum den Bau verflucht – eine Architektur, von der mancher meinte, dass sie zu viel vorgibt, dass sie selber schon zu aufdringlich bestimmt, was der Besucher zu fühlen hat, bevor er das erste Exponat überhaupt wahrnehmen kann. Und das, während sie andererseits doch verunsichern will – ein unauflöslicher Widerspruch.
Vielleicht haben die Kritiker die Besucher unterschätzt, die offenbar mit solchen Widersprüchen besser umgehen können als man fürchten musste. Das Jüdische Museum ist ein Kind der Gedenkphase der Bundesrepublik. Diese Zeit ist vorbei, was natürlich nicht heißt, dass das Gedenken vorbei ist. Es ist nur nicht mehr die entscheidende Arena der Selbstdefinition. Das Jüdische Museum hat diese Phase überlebt und seine Position in der Berliner Kulturlandschaft behauptet. Gut so.