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Sderot, eine Stadt im Raketenhagel

 

Kobi Harush ist der Chef des Sicherheisdienstes von Sderot, der südisraelischen Stadt am nördlichen Ende des Gazastreifens. In einem früheren Leben war er der persönliche Fahrer Ariel Scharons. Er ist ein ziemlich harter Kunde, ein lakonischer Kettenraucher. Aber seine Zeit hier hat ihn sichtbar mitgenommen. Denn die Sicherheit, für die er zuständig ist, gibt es in Sderot nicht, außer in den ubiquitären Bunkern. Sie prägen das Stadtbild. Jede Bushaltestelle hat einen Bunker, jeder Kinderspielplatz. Jede Wohnung sowieso. Die Schulen haben alle schußsichere Verglasung.

Kobi Harush vor der Kulisse Sderots   

Wir treffen ihn zusammen mit Motti Numan, dem zuständigen IDF-Kommandeur der Region. Die beiden erwarten uns auf einem Hügel westlich der Stadt, von dem aus man weit in den Gaza-Streifen hinein schauen kann. Nur einen Kilometer weit entfernt verläuft die Grenze.

Sderot ist das einfachste Ziel für Raketen- und Granatenangriffe. Nachts ist die Stadt, in der etwa 20.000 Menschen leben, leicht mit bloßem Auge zu sehen. „Die schießen einfach in die Richtung des Lichts“, sagt Motti Numan. „Die Raketen sind sehr ungenau, aber es geht auch mehr um die Terrorwirkung als um konkrete Treffer.“ Ein Viertel der Bewohner hat Sderot verlassen. Übrig bleiben die, die es sich nicht leisten können, anderswo hinzuziehen.

Die Terrorwirkung des Raketenbeschusses hält weiterhin an. Kobi Harush spricht von 8.400 Angriffen auf Sderot in den letzten 10 Jahren. Besonders schlimm war es nach dem Rückzug aus Gaza, als Hunderte Raketen in einzelnen Monaten gezählt wurden. Heute ist Sderot ein vergessener Ort, selbst in Israel. Man hat sich daran gewöhnt, dass immer wieder Raketen die Stadt bedrohen. Es ist kaum noch eine Medlung wert. „Mit Ausnahme der Woche, in der die Shalit-Verhandlungen zuende gingen, haben wir keine Pause gehabt. Damals wollte die Hamas den Abschluss nicht gefährden. Seither geht es wieder auf niedrigem Niveau weiter.“

Der Bombenterror reicht, um die Stadt im steten posttraumatischen Zustand zu halten, bleibt aber unterhalb der Schwelle, ab der die Armee eingreifen und zurückschlagen müßte.  Die Vorwarnzeit für die Bewohner liegt bei 15 Sekunden vom Sirenenklang bis zum Einschlag. Kinder werden regelmäßig trainiert, innerhalb von 15 Sekunden von der Toilette in den Bunker zu rennen.

„Für uns gibt es kein Posttrauma“, sagt Kobi Harush, „nur Dauertrauma. Zwei Drittel der Kinder hier sind in einer Form therapeutischer Behandlung.“ Kein anderes Land würde sich so etwas gefallen lassen, sagt er resigniert. Dass der Beschuss nach dem Rückzug weiterging, spricht für ihn dafür, dass Hamas auch Sderot „befreien“ will, wie ganz Israel.

Hinter dem Hügel beginnt Gaza.                Fotos: J.Lau

Kobi erzählt von seinem palästinensischen Freund Said, den er seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Während der israelischen Militäraktion „Gegossenes Blei“ hatte er sich gefragt, wie es Said wohl ginge. Er hatte noch eine Nummer, also rief er an. Said war am Telefon, er sei unversehrt. Weil er weder zu Hamas noch zu Fatah gehörte, ginge es ihm allerdings schlecht. Kobi veranstaltete unter Freunden eine Sammlung für Said, man übergab ihm das Geld am Checkpoint Eretz: „Wir sind früher in Gaza einkaufen gegangen, oder zum Baden an den herrlichen Strand – einen der schönsten Strände in der ganzen Region. Wieso machen die nichts draus? Das könnte ein Paradies sein.“

Motti Numan ergänzt verschmitzt, Juden hätten an den Strand längst ein Casino gebaut: „Aber diese Leute schießen mit Raketen sogar noch auf das Kraftwerk in Ashkelon, das Strom auch für sie erzeugt – weil es mit seinen Kaminen ein gutes Ziel abgibt. Das ist doch irre.“