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Worum es (mir) in der Beschneidungsdebatte geht

Noch ein paar unsystematische Gedanken zu einer längst nicht abgeschlossenen Debatte:

Wer sich gegen das Verbot eines elementaren Rituals ausspricht, sieht sich dieser Tage leicht als „religiöser Eiferer“ angegriffen, wie ein bekannt und bekennend agnostischer Kollege mir erstaunt erzählte, der das Kölner Urteil in einem Artikel kritisiert hatte. Er hatte noch nie so viele wütende Leserbriefe bekommen.

Vielleicht muss man das noch einmal klarstellen: Das Recht auf die religiös begründete (Vorhaut-)Beschneidung zu verteidigen bedeutet nicht, diese Praxis für „gut“ oder gar „für alle Zeiten bindend“ zu erklären. In meinem persönlichen Fall möchte ich in Anspruch nehmen, dass meine Haltung zu diesem Brauch (würde ich es durchführen lassen, bin ich selber beschnitten – ja, dergleichen wird derzeit gerne erfragt) absolut irrelevant für meine Position ist. Es kommt darauf an, ob man erstens die Sache als schädlich für die Betroffenen betrachtet und ob man anderen Leuten abnimmt, dass es für sie ein wichtiges, unverzichtbares Ritual ist, eine Glaubenspflicht. Erstes ist m.E. nicht der Fall (Komplikationen notwithstanding), zweites ist der Fall, und darum glaube ich, dass die Knabenbeschneidung weiter erlaubt sein soll.

Darf der Gesetzgeber dabei Vorgaben machen? Natürlich. Darf er es verbieten, wie manche fordern: Nein.

Es ist völlig legtitim, ja es ist begrüßenswert, wenn nun Menschen, die sich durch die Beschneidung geschädigt fühlen, das Wort ergreifen. Das gilt für Stimmen wie den hier in Kommentaren bereits zitierten Ali Utlu, der das Ritual als schmerzhafte Demütigung erinnert und von Beeinträchtigungen danach spricht. Und es gilt auch für Eltern – muslimische, aber auch jüdische – die das Ritual als Belastung empfinden und es ihren Söhnen am liebsten ersparen wollen. Necla Kelek hat damit in der muslimischen Community angefangen, ich hatte in meinem ersten Beitrag darauf hingewiesen, und für die jüdische Seite lässt sich auch feststellen, dass es bei nicht-traditionalistisch lebenden jungen Leuten oft Unbehagen gibt und einen Wunsch nach neuen Lösungen. Die Darstellung eines solchen Gewissenskonflikts markiert übrigens das Ende meiner letzten größeren Reportage über Juden in Deutschland.

Was mich nach wie vor, oder sagen wir lieber, jeden Tag mehr, entsetzt ist die Unfähigkeit oder wenigstens der Unwille weiter Teile der Debattierenden, diese beiden Elemente zusammenzudenken: Respekt für Religionsfreiheit UND Offenheit für Bedenken, Änderungswünsche, Klagen. Warum soll das nicht zusammen möglich sein? Es ist, glaube ich, NUR in Kombination machbar. Nur wer sich nicht kriminalisiert fühlt, wird offen debattieren können.

Statt dessen erleben wir Tag für Tag, dass die Beschneidung als „barbarisches Ritual“ in Kommentaren und Leitartikeln vorgeführt wird. Den einsamen Höhepunkt hat für mich Volker Zastrow von der FAS erreicht, der es schaffte, auf subtile Weise Beschneidung in einen Zusammenhang mit Pädophilie und Kindesmißbrauch zu rücken. Dass es das Gleiche sei, sagt er zwar nicht rundheraus, aber dass, wer sich gegen diese Formen „sexueller Gewalt“ wende, eben auch die Beschneidung verbieten müsse, ist die Pointe des Leitartikels.

So sehen sich nun Beschnittene mit einer Kampagne konfrontiert, die sie zu einer neuen Opfergruppe definieren will. Wer nicht einsehen will, dass er traumatisiert ist, wie etwa Hanno Loewy hier in der „Jüdischen Allegemeinen“, für den stehen Kronzeugen der Anklage bereit, die das Gegenteil bezeugen. Wer dann noch verstockt darauf besteht, er sei zufrieden mit seinem in den Augen der Mehrheit verstümmelten Penis, bestätigt damit nur, wie tief das Trauma sitzen muss.

Die Orgasmusfähigkeit ganzer Bevölkerungsgruppen wird in Abrede gestellt, und kaum einer findet das schräg. Ich muss dieser Tage viel an Tisa Farrows unsterblichen Satz in Woody Allens „Manhattan“ denken: „Ich hatte endlich einen Orgasmus, aber mein Doktor sagt, es sei der falsche.“ So geht es heute Juden und Muslimen: Da stehen sie mit ihren unbemützten Schlongs, und der wohlmeinende Doktor beugt sich drüber: Tut uns leid, mag sein, dass ihr mit diesem Ding Orgasmen habt, aber es sind nicht die richtigen. Wir haben euch außerdem im Verdacht, dass eure Selbstbefriedigung abendländisch-christlichen Maßstäben nicht genügt. Und das alles kommt im Ton einer heiligen Mission daher, den semitischen Penis vor dem Messer zu retten. White man’s (rsp. woman’s) burden, neu verstanden.

Politisch interessant ist die Klärung der Fronten im „islamkritischen“ Lager zwischen PI und DADG. Bei PI ist man wütend auf die Juden, die es einem unmöglich machen, auf die Muslime einzudreschen. DADG distanziert sich zunehmend von dem islamophob-antisemitischen Diskurs. Infolge dessen emanzipiert sich die radikaler werdende rechtspopulistische Szene von der „proisraelischen“ Haltung (die ich immer für ein Fake gehalten habe). Wenn die Juden dem Moslembashing im Wege stehen, müssen sie eben auch dran glauben. Für „so etwas“ gibt es hier keinen Platz, das ist die Botschaft.

„So etwas“? Juden und Muslime finden sich durch diese Debatte im selben Boot, in den Augen der Mehrheit zwei Varianten derselben patriarchalisch-„barbarischen“ Wüstenreligion, die einfach nicht sublimieren will und stur weiter das Blut ihrer Söhne vergießt. Bei der Frage des Schächtens wird sich diese Konstellation wiederholen, dann anhand des Leids der Tiere. Interessant zu sehen, was daraus folgt für den Dialog.

Vorerst überwiegt eine tiefe Verunsicherung. Und das auch bei den nicht besonders Frommen, ja sogar bei den am wenigsten Frommen am meisten. Die Frommen wissen ja eh immer schon woran sie sind und beobachten die Mehrheit mit Verdacht. Am meisten getroffen sind aber diesmal viele moderne, moderate, ja sogar areligiöse Juden und Muslime.

Mir geht es auch so. Ich bin fassungslos über die Wut dieser Debatte.

Ich habe keinen Hund in diesem Kampf, wie man so sagt. Ich habe zum Besten an der Religion ein Verhältnis ähnlich dem eines Opernliebhabers, der selber kein Instrument spielt, und doch die Musik verehrt. Das weiß Gott viele Schlechte an der Religion, das oft genug auf diesem Blog Thema ist, wer wollte es leugnen? Darum geht es nicht. Religionsfreiheit ist in unserer Welt eine Frage, die oft genug über Krieg und Frieden, Leben und Tod entscheidet. Sie sollte auch für religiös Unmusikalische etwas Heiliges sein.

Es wäre eine bizarre Pointe, wenn Deutschland seine Lektion aus der eigenen totalitären Geschichte dahin treiben würde, Menschen- und also Kinderrechte derart zu definieren, dass jüdisches und muslimisches Leben hier unmöglich würde. Ist bei der Reeducation etwas schief gegangen?

 

(Korrektur, 28.7.2012: Es war nicht Mia, sondern Tisa Farrows, die in Manhattan den oben zitierten Satz sagt. Danke für die Hinweise darauf. Der eigentlich passende Satz kommt von Woody Allen in der Replik: „Ich hatte nie falsche Orgasmen. Auch die schlechtesten waren Volltreffer.“ JL)

 

 

Olympische Schande: Keine Schweigeminute für die Opfer des Terrors von München

Keine Schweigeminute für die 1972 in München ermordeten israelischen Athleten während der Spiele in London.
Wenigstens ist der deutsche DOSB-Chef Thomas Bach ehrlich:

Im Interview der Deutschen Welle sagte Bach, das Nein zu einem Gedenken bei der Eröffnungsfeier sei auch in der Haltung arabischer Staaten begründet. Ein Boykott der Spiele durch diese Staaten „könnte eine Auswirkung sein nach Ansicht vieler“.

Für „angemessen“ hält Herr Bach hingegen, wenn die Israelis das, wie bisher bereits üblich, unter sich ausmachen:

Er plädiere für eine Gedenkfeier am Rande der Spiele, die allein von israelischer Seite veranstaltet werde.

Auf die Frage hin, wie er mit dem Plädoyer des deutschen Außenministers für eine Gedenkminute bei der Eröffnungsfeier umgehe, antwortet Bach:

Der Sport müsse jedoch, um seine Position wahren zu können, politische Neutralität wahren. Politische Demonstrationen aller Art bei Sportveranstaltungen widersprächen dem Sinn des Sports und wären „im Übrigen auch nicht durchführbar“.

Und das ist nun die Stelle, wo die Sache wirklich infam wird. Ein stilles Totengedenken an die unschuldigen, zweifellos zivilen Opfer eines Terroranschlags ist eine „politische Demonstration“?  Hanebüchen.

War die Tat von München nicht auch ein Anschlag auf die sonst so gern hochgehaltene „olympische Idee“ – Sie wissen schon, friedlicher Wettstreit, Jugend der Welt und so? Hätte das Olympische Komitee also nicht eigene Gründe, mit einer Gedenkminute der Welt zu zeigen, für welche Werte es angeblich doch steht?

Anders gefragt: Würde das Olympische Komitee sich auch einer entsprechenden Bitte der amerikanischen (oder russischen, chinesischen, deutschen) Regierung  verweigern, wenn diese darum bitten würden, eines Anschlages gegen Amerikaner, Russen, Chinesen, Deutsche bei einer Olympiade zu gedenken?

I do not think so. Die Schweigeminute für die Opfer des 11. September bei den Spielen 2002 ist der Beweis für die Heuchelei.

Nein, weil es um Israelis geht, ist die Sache eben „zu politisch“. Niemand erwartet einen Kommentar zum Friedenprozeß, zu den Siedlungen oder zum Gaza-Krieg. Es geht um ein stilles Gedenken, um eine Geste der Menschlichkeit.

Gerade von einem deutschen Funktionär, der also das Land vertritt, das in München versagt hat, ist dieser Kommentar beschämend – allerdings erfrischend zugleich in der Aussage über die befürchteten arabischen Absagen. (Später hat Bach diese offenbar unfreiwillige Ehrlichkeit dann wieder zurücknehmen wollen. Hilft nichts.)

 

The Games must go on? Ohne mich.

 

 

Iran mit lauter AC/DC-Musik angegriffen

Eine Email aus der Iranischen Atomenergiebehörde deutet auf eine neue Cyberattacke gegen den Iran hin. Was die Sache hoch skurril macht, sind die Angaben des iranischen Absenders über die Umstände der Attacke, die den Anlagen in Natanz und Fordo gegolten haben soll.

Mitten in der Nacht hätten einige der Computer plötzlich anfangen, in voller Lautstärke „Thunderstruck“ von AC/DC zu spielen.
Wer das für Quatsch hält, hat wohl den Namen Noriega noch nie gehört.
Ich stelle mir vor, wie in Natanz nachts diese Gitarre abgeht…

http://youtu.be/IlejfA5NCbQ

Quelle

 

Wie Deutschland der syrischen Opposition hilft

Zwischen dem Ludwigkirchplatz in Berlin-Wilmersdorf und Damaskus liegen 3700 Kilometer Luftlinie. Doch wenn eines Tages ein neues Syrien aus den Trümmern der Assad-Diktatur entsteht, könnten wesentliche Impulse aus dem alten preußischen Amtsgebäude stammen, in dem ein regierungsnaher deutscher Thinktank residiert
Bei der »Stiftung Wissenschaft und Politik« (SWP) hat seit Januar eine Gruppe von bis zu 50 syrischen Oppositionellen aller Couleur geheime Treffen abgehalten, um Pläne für den Tag nach dem Abgang Assads zu schmieden. Das klandestine Projekt mit dem Namen »Day After« wird von der SWP in Partnerschaft mit dem »United States Institute of Peace« (USIP) organisiert, wie DIE ZEIT von Beteiligten erfuhr. Das deutsche Außenministerien und das State Department helfen mit Geld, Visa und Logistik. Direkte Regierungsbeteiligung gibt es wohlweislich nicht, damit die Teilnehmer nicht als Marionetten des Westens denunziert werden können.
Zwar nehmen auch Angehörige der »Freien Syrischen Armee« teil, doch der Weg hin zum Sturz Assads und die damit verbundene Debatte um Fluch und Segen militärischer Interventionen wird in Berlin bewußt ausgeklammert. Die Frage bei den Treffen lautet: Wie kann der Übergang zu einem demokratischen Syrien organisiert werden? Das unweigerliche Ende des Regimes wird schlicht vorausgesetzt. Es ist seit mehr als sechs Monaten die Arbeitshypothese bei den Berliner Treffen. Darin zeigt sich, dass die Bundesregierung schon viel länger mit dem Sturz des syrischen Regimes kalkuliert, als Berliner Diplomaten zugeben können. Und: Deutschland ist sehr viel stärker in die Vorbereitungen der syrischen Opposition einbezogen, als man bisher öffentlich zugeben wollte.
Dies allerdings mit gutem Grund: Unter beträchtlichem Aufwand wurden diskret Ex-Generäle, Wirtschafts- und Justizexperten, sowie Vertreter aller Ethnien und Konfessionen -– Muslimbrüder eingeschlossen, aber auch säkulare Nationalisten – nach Berlin eingeflogen. Die Sache musste unter dem Radar der Öffentlichkeit gehalten werden, um eine freie Debatte zu ermöglichen und Teilnehmer vor dem langen Arm des syrischen Geheimdienstes zu schützen. Außerdem: So lange Deutschland noch an Assad und seine Paten in Moskau und Peking appellierte, wäre es kontraproduktiv gewesen, konkrete Planungen für ein freies Syrien offenzulegen.
Nach der Eskalation der Kämpfe und dem Scheitern der Diplomatie durch das Veto Russlands und Chinas aber ist ein »Wendepunkt« (Westerwelle) erreicht und Deutschland stellt sich offener hinter die Opposition.
Der Syrienkenner Volker Perthes, Direktor der SWP, betont, die beteiligten Regimegegner hätten »sich selbst rekrutiert, denn es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine neue syrische Regierung auszuwählen.« Ziel des Projekts sei vielmehr, Prioritäten beim Umbau der Assad-Diktatur in eine Demokratie zu identifizieren. »Vielleicht wichtiger noch«, fügt Perthes hinzu: »Wir haben der Opposition die Chance gegeben, unbeobachtet und ohne Druck eine Diskurscommunity zu schaffen«. Offenbar war das produktiv: Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung aussehen muss, wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate refomiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben und die Wirtschaft umgebaut werden muss.
Für Berlin als Tagungsort sprach von Beginn an, dass es kaum möglich gewesen wäre, die Teilnehmer aus dem islamistischen Spektrum in die USA zu bringen. Außerdem sind mit Perthes und der Projektleiterin Muriel Asseburg langjährige Kenner Syriens vor Ort verfügbar. Deutschland hat zudem wertvolle eigene Erfahrung mit der Überwindung von Diktaturen: Perthes erzählt, ein Besuch bei der Stasi-Unterlagenbehörde habe bei den Syrern heftige Debatten über den Umgang mit Geheimdienstakten und belasteten Mitarbeitern ausgelöst. Eines der wichtigsten Themen ist die Frage, welche Teile des Sicherheitsapparats und der Justiz man bewahren sollte. Der Irak gilt im Nachbarland Syrien, so Perthes, als abschreckendes Beispiel dafür, wie die Totalabwicklung des alten Regimes ins Chaos führen kann.
Die Bundesregierung zieht mit der Förderung der syrischen Opposition Konsequenzen aus der Fehlentscheidung, im Libyenkonflikt mit Rußland und China gestimmt zu haben. In diesem Zusammenhang sind auch die offiziellen Aktivitäten Deutschlands im Rahmen der »Freundesgruppe des syrischen Volkes« zu sehen. Darin sind 70 Staaten vertreten, die trotz der russisch-chinesischen Blockade für den Wandel in Syrien eintreten. Deutschland hat in der »Freundesgruppe« zusammmen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten die Verantwortung für die »Arbeitsgruppe Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung« übernommen. Die erste Sitzung fand Ende Mai in Abu Dhabi statt, die zweite Ende Juni in Berlin. In Berlin wurde jüngst ein Sekretariat eingerichtet, das die Sitzungen koordinieren und den Kontakt zur syrischen Opposition halten soll, geleitet vom ehemaligen Chef des afghanischen Büros der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Gunnar Wälzholz. Das Auswärtigen Amt finanziert das Sekretariat mit 600 000 Euro für zunächst sechs Monate. Deutsche Diplomaten äußern sich erfreut, dass der Syrische Nationalrat, der größte Zusammschluss oppositioneller Kräfte, sich beim Treffen der Arbeitsgruppe klar zu Martkwirtschaft und Korrruptionsbekämpfung bekannt hat.
Beide von Deutschland geförderten Aktiviäten, die klandestinen und die öffentlichen, passen zusammen: Ob die Pläne der Oppositionellen für ein demokratisches Syrien umgesetzt werden können, hängt wesentlich daran, ob der wirtschaftliche Wiederraufbau allen Syreren Chancen bietet.
Ob die Berliner Transformationskonzepte aber am Ende überhaupt zum Zuge kommen, hängt nicht zuletzt davon ab, wieviel Hass bis zu Assads erwartbarem Abgang noch freigesetzt wird. Alle Beteiligten, heißt es, sind sich dessen bewußt.Dass Deutschland sich diesmal aufrichtig bemüht hat, werden sie aber in jedem Fall nicht vergessen.

 

Gewissensqualen eines muslimischen Batman-Fans (im Ramadan)

Aman Ali aus Columbus, Ohio, der in New York lebt und arbeitet, ist ein großer Batman-Fan. Er hat die letzten beiden Filme nach stundenlangem Anstehen am Premierenabend gesehen. Wie hatte er sich auf „The Dark Knight Rises“ gefreut! Doch dann erfuhr er, dass die Premiere am ersten Abend des Ramadan stattfinden sollte.

 

Was der Terroranschlag gegen israelische Urlauber über Iran, Syrien und Hisbollah sagt

Sowohl israelische als auch amerikanische Geheimdienstquellen halten die Hisbollah verantwortlich für den Terroranschlag gegen israelische Urlauber in Burgas.

Und in der Verlängerung bedeutet dies, dass hier „der lange Arm Irans“ (Netanjahu) zugeschlagen hat.

Zwar liegen Beweise noch nicht vor, und die Identität des Attentäters scheint noch nicht eindeutig geklärt. Aber die Tatsache, dass das Attentat zum 18. Jahrestag der Attacke auf die Jüdische Gemeinde in Buenos Aires (durch iranische Terroristen) geschah, lenkt die Ermittlungen in Richtung Hisbollah/Teheran.

Es wird vermutet, dass der Anschlag eine Racheaktion für die israelischen Erfolge im Kampf gegen das Atomprogramm des Iran darstellt – und seitens der Hisbollah für die Ermordung des Hisbollah-Kommandeurs Imad Mughniyeh 2008 in Damaskus. Teheran war es lange nicht gelungen, für die gezielte Tötung einer Reihe seiner Nuklearforscher Rache zu nehmen. Der israelische Geheimdienst hatte eine ganze Serie von Anschlägen verhindern können. Nun ist man offenbar auf „weiche Ziele“ übergegangen, nachdem es nicht möglich war, Israels Repräsentanten direkt zu treffen.

Hisbollah und Teheran sind durch die Eskalation in Syrien und die soeben in Kraft getretenen Ölsanktionen existenziell gefährdet. Anders ist nicht zu erklären, dass der Hisbollah-Führer Nasrallah am Mittwoch eine außergewöhnlich erhellende Solidaritätsadresse an seinen Paten Assad geschickt hat.

Mit dieser Adresse hat er sich nun aber öffentlich auf Gedeih und Verderb an ein todgeweihtes Regime gekettet. Die Hamas hat sich bereits vor Monaten aus Damaskus abgesetzt und kann in Kairo auf neue Sponsoren rechnen (wenn auch nicht mit der gleichen Radikalität gegen Israel).

Hisbollah aber hat wegen ihrer konfessionellen Ausrichtung keine Alternative zu den Alawiten und Schiiten, die nun im innerislamischen Vormachtkampf vor einer entscheidenden Schwächung stehen.

Nasrallah sagte:

In a televised address on Wednesday night, the Hezbollah leader, Hassan Nasrallah, offered eloquent condolences for the deaths of the three high-ranking Syrian officials killed earlier in the day. “These martyr leaders were comrades in arms in the conflict with the Israeli enemy, and we are confident that the Arab Syrian Army, which overcame the unbearable, will be able to persist and crush the hopes of the enemies,” he said.

He credited Mr. Assad and his government with the victory that Hezbollah claimed against Israel in the 2006 war in Lebanon and with saving Gaza during the 2009 Israeli incursion. “The most valuable weapons we had in our possession were from Syria,” he said. “The missiles we used in the second Lebanon war were made in Syria. And it’s not only in Lebanon but in Gaza as well. Where did these missiles come from? The Saudi regime? The Egyptian regime? These missiles are from Syria.”

It was a stunning testament, said Fawaz A. Gerges, director of the Middle East Center at the London School of Economics. “For Hezbollah, it is a point of no return now,” he said. With the speech, “Hezbollah made it very clear that there is an umbilical cord between the Syrian regime and Hezbollah, and this umbilical cord is existential. They are, as he said, comrades in arms.”

Auch der Iran unterstützt weiter Assad, aber die klügeren Leute im System wissen, dass der Preis dafür ist, dass Teheran seine Glaubwürdigkeit auf  der „arabischen Straße“ verliert. Kurzzeitig hatte man in Teheran ja versucht, den Arabischen Frühling als Fortsetzung der iranischen Revolution durch die sunnitischen Brüder zu verkaufen. Vorbei:

“We are supporting some uprisings and ignoring others,” said Mashallah Shamsolvaezin, a Middle East analyst based in Tehran. “Arab people do not believe us anymore. We come across as antagonists, following our political agenda.”

Katar und die Saudis investieren auch deshalb so sehr in die syrische Revolte, weil sie damit auf eine Einhegung des iranischen Einflusses in der arabischen Welt hoffen. Der Libanonkrieg und der Gazakrieg, vom Zaun gebrochen von den Teheraner Proxies Hisbollah und Hamas, schienen damals eine Wende zu markieren: Teheran entschied über Krieg und Frieden im Nahen Osten, nicht mehr die klassischen arabischen Patrone der Palästinenser. Nun scheint das Pendel zurück zu schwingen.

Die Gefahr einer sunnitischen Islamisierung Syriens ist nicht von der Hand zu weisen. Aber zugleich scheint sich anzubahnen, dass Iran in den Augen der Araber diskrediert ist, und zugleich mit Iran und Syrien der gemeinsame terroristische Subunternehmer Hisbollah. Und das ist in all dem Horror von Burgas eine gute Nachricht.

 

Islamophobie und Antisemitismus, vereint gegen Beschneidungen

Gestern habe ich hier eingeräumt, dass mir die Unterscheidung zwischen Islamophobie und Antisemitismus nicht mehr einleuchtet:

Ich habe mich lange gegen die Auffassung gewehrt, Islamophobie und Antisemitismus hätten bedeutende Überschneidungsflächen (no pun intended). Ich gebe hiermit offiziell auf. Es ist ein und das Gleiche.

Mit jedem Tag der unsäglichen Beschneidungsdebatte sehe ich dies bestätigt. Sergej Lagodinsky hat auf Facebook auf diese Karikatur aus dem Berliner Kurier aufmerksam gemacht. Man beachte die Nase im Original Stürmer-Stil:

Und dann ist da der Kommentar von Michael Stürzenberger auf PI, mit dem endlich für alle sichtbar die „proisraelische“ Kostümierung der islamfeindlichen Rechtsradikalen gefallen ist:

Dem Christentum steht es gut zu Gesicht, durch Jesus einen “neuen Bund” geschlossen zu haben, was zu einer Relativierung des Alten Testamentes geführt hat. Dem Judentum kann man zubilligen, dass seine Schriften heutzutage meist nicht mehr wörtlich genommen werden, was auch zu der einzigen Demokratie im Nahen Osten, dem modernen Israel, geführt hat. Wenn sich aber jüdische Verbände und Organisationen beispielsweise so an die uralte Vorschrift der Beschneidung klammern, zeigen sie damit, dass sie sich in diesem Punkt nicht vom Islam unterscheiden. So etwas hat nach meiner festen Überzeugung in unserem Land nichts zu suchen.

Den Bestrebungen verschiedener Bundestagsparteien, nun ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die religiös begründete Beschneidung von Jungen straffrei stellt, sollte daher unbedingt entgegengewirkt werden. Durch solche Maßnahmen wird auch dem Islam und seiner Scharia immer mehr Einfluß in unserer Gesellschaft verschafft, was zielstrebig in Richtung islamischer Gottestaat führt.

Juden raus – wenn sie sich an die „uralte Vorschrift der Beschneidung klammern“. Gut, dass man es endlich schriftlich hat.

 

 

Der Sinn der Beschneidung

Bernard Avishai von der Hebrew University erklärt auf der Website „Open Zion“ den Sinn der Beschneidung:

Most thinking Jews, justifiably, will counter all this physiological speculation (and hyperbole) by insisting that circumcision is not a practical matter at all. Rather, it is a primordial act of covenant, a kind of throwback to sacrifice, actually, which marks the commitment of our children to the Jewish people and its mission. But this begs the question, precisely, of how to understand the covenantal mission and how to engender it. The same Jews believe that the mission unfolds as life and history unfold. Our commitment is to inherited principles, not to inherited genes. The act has to be consistent with, or evoke, enduring principles. What are they?

So we are left with a puzzle. What deeper meaning might be implied by circumcision, so that Jewish parents, generation after generation, swallow hard do it? How does the back of the mind take in the brit mila, so that Jewish sages thought its lessons were indispensible?

Permit a passionate father (and grandfather) to suggest a direction, if not a whole answer. The poet Robert Bly once said, “A man’s wound is his genius.” I think parents who perform circumcision on a tender baby cannot but feel the beginning of an acknowledgement, which will grow over time—something bitter-sweet and wise. It is that our role is not merely to protect our children but to expose them. We are required to introduce them—affectionately, yet at times strictly—to the stings of the world, which are everywhere; these are the real prompts of maturity and autonomy—thus the deepest sources of their happiness. This ritual infliction of pain, like the insistence of broken glass at a wedding, is an act of love, arguably divine love—that is, love of human beings as we truly are, without (dare I say, childish?) illusions.

You don’t have to have a mother like Sophie Portnoy to know that over-protection is the ultimate form of child abuse. Who among us would live our lives over again without the pains that instructed, fashioned and liberated us?

And since this was a German court, however secular, let’s cover another base. Saint Paul said that we ought rather to circumcise the heart. (Actually, Leviticus, and later Jeremiah, suggest the same, arguably without the “rather.”) Well, I have had both circumcisions, of the flesh and heart, and I can report that the latter is far more painful. Human life is calculated to make us lose every person we love, but who lives happier by shielding himself from love?

The part of Paul’s theology I admire most suggests that the divine proved truest by becoming flesh to suffer with us, thus to truly know us. I like to think the divine was first present in my life at the tiny suffering of my circumcised flesh; that God slyly instructed Abraham to circumcise his sons because he wanted to imply what some rabbis have had the wit to add, generation after generation. Before circumcision a man is not whole. Genesis Rabbah states, glossing circumcision: “All that was created during the six days of creation requires improvement. For example, the mustard seed needs to be sweetened and the lupine need to be sweetened, the wheat needs to be ground, and even a person needs improvement.” Indeed, there is nothing so whole as a broken heart.

 

Die Komiker-Nation Deutschland debattiert Beschneidungen

«Ich will nicht, dass Deutschland das einzige Land auf der Welt ist, in dem Juden nicht ihre Riten ausüben können. Wir machen uns ja sonst zur Komiker-Nation.»
Das hat die Kanzlerin mal was richtig erkannt.

Die Muslime hätte sie allerdings gerne einbeziehen können. Tut sie aber bezeichnender Weise nicht. Denn Ausgangspunkt der Debatte war ja der Fall eines vierjährigen Muslims. Dass die Oberstaatsanwältin, die den Fall in Köln vor Gericht brachte, auch gegen einen weißbärtigen Mohel vorgegangen wäre, kann ich mir nicht vorstellen. Noch fällt es schwer, sich auszumalen, dass wir demnächst wegen Körperverletzung einen Rabbiner in der Synagoge verhaften.

Nein, wohl eher nicht. Aber einem syrischstämmigen Arzt kann man eben schon mal die Instrumente zeigen. Es fällt in Deutschland einfach leichter, Muslime über ihr „Barbarentum“ zu belehren als Juden.

Jedenfalls noch.

Nun hat man es aber mit der Rabbinerkonferenz und dem Zentralrat der Juden in schönster Einheit mit den islamischen Verbänden zu tun bekommen, und da hört dann der Spaß auf. Eine rechtliche Klärung muss nun her, um Juden das Verbleiben hier zu ermöglichen. Recht hat sie, die Kanzlerin.

Davon dürfen dann die Muslime, die den Anlass für das irre Theater gegeben haben, gerne mit profitieren, ohne dass die Kanzlerin sich nun freilich als deren Schutzpatronin erwischen lassen will.

Deutschland. Zum Auswandern schön.

Ich habe mich lange gegen die Auffassung gewehrt, Islamophobie und Antisemitismus hätten bedeutende Überschneidungsflächen (no pun intended). Ich gebe hiermit offiziell auf. Es ist ein und das Gleiche.

Heute morgen im Deutschlandfunk hören zu müssen, wie wohlmeinende deutsche Ärzte gleich zwei Weltreligionen freundliche Angebote machen, sich endlich bitte, bitte auf das zivilisatorische Niveau des Kölner Landgerichts hinaufhieven zu lassen, das war dann doch sehr erhellend. Jüdische Teilnehmer verwahrten sich gegen die Unterstellung, sie seien traumatisiert. Es half nichts. Der deutsche Therapeut wußte es besser.

Leserbriefschreibern und Kommentatoren quillt der gesunde Menschenverstand aus den Tasten, dass es keine, aber auch gar keine akzeptable Begründung für die „Verstümmelung“ von Knaben durch Vorhautentfernung gebe.

Religiöser Analphabetismus wird mit erstaunlichem Stolz als Common Sense spazieren geführt. Irre, was man so alles an Vergleichen hört: Abtreibung, Ohrfeige, kosmetische Ohrenkorrektur… Das großmütige Angebot, man könne Beschneidung verbieten, aber straffrei lassen, wie eben die Abtreibung. Und dem Vorschlagenden fällt gar nicht mehr auf, dass damit eine Ritualhandlung aufgrund eines religiösen Gebots, die der Aufnahme eines neuen Lebens in die Gemeinschaft dient (und der Feier des Bundes mit Gott), auf die gleiche Stufe mit der Beendigung menschlichen Lebens gestellt wird. Und wie das wohl bei den Betroffenen ankommt, dass ihre Handlung mit einer Tötung verglichen wird.

Ach was, es geht womöglich gar nicht um die Juden und die Muslime. Es ist wieder einmal eine – diesmal knisternd pornographisch aufgeladene –  Orgie der Selbstbestätigung ausgebrochen. Der faszinierte Blick auf den beschnittenen Schlong lässt uns in Gewissheit erstarren, dass wir aufgeklärten Mehrheitsmenschen den Längsten haben.

Mit heiligem Ernst beschäftigt sich ein Land wie Deutschland zwei Wochen lang mit anderer Leute Geschlechtsorganen. Man fasst es nicht. Andererseits: Deutsche wollen die Unversehrtheit jüdischer und muslimischer Penisse per Gesetz garantieren. Irgendwie ein Fortschritt, oder? Wäre da nicht die peinliche Pointe, dass zu diesem Zweck die Eltern und die Ärzte, die an „barbarischen Bräuchen“ festhalten, kriminalisiert werden.

Alle sollen so werden wie wir. Darum gehts es letztlich. Ja, warum auch nicht: Es gibt ja nun wirklich keinen Grund, anders zu sein oder anderes zu glauben, denn wir sind das zwar nicht das auserwählte, aber das aufgeklärte Volk. Indem wir ihre Religion kriminalisieren, geben wir den Juden und den Muslimen eine Chance, sich endlich nach Jahrtausenden von ihren archaischen Praktiken zu distanzieren.

Wir Deutschen sind die Guten: Eine Komiker-Nation im Einklang mit sich selbst.

Komisch nur, dass keiner lacht.

 

 

Die Beschneidung der Religionsfreiheit

Wie um alles in der Welt sind wir denn bloß hierhin gekommen? Ein deutsches Landgericht urteilt, dass das Recht des Kindes auf Unversehrtheit über dem Recht der Eltern steht, aus religiösen Gründen die Beschneidung eines Sohnes vornehmen zu lassen – und innerhalb von Wochen ist von einer der „vielleicht schwersten Attacken auf jüdisches Leben in Europa in der Post-Holocaust-Welt“ die Rede – so der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz Pinchas Goldschmidt.

Dabei war der Fall eines muslimischen Jungen der Anlass für die Rechtssprechung gewesen. Ein Kölner Arzt hatte im November 2010 den vierjährigen Sohn eines aus dem Irak stammenden Paares beschnitten. Es war, wie Yassin Musharbash in der ZEIT dargelegt hat, zu (durchaus üblichen) Nachblutungen gekommen. Die Mutter war dadurch in Panik geraten, hatte in verwirrtem Zustand um Hilfe gerufen und war mit ihrem Sohn in die Notaufnahme gekommen, wo die kaum des deutschen mächtige Frau Angaben machte (oder so verstanden wurde), dass ihr Sohn „in einer Wohnung mit der Schere“ beschnitten worden sei. Es kam zur Anklage gegen den Arzt, die in erster Instanz niedergeschlagen wurde, in zweiter Instanz aber kam es dann zu dem Urteil mit den folgenschweren Sätzen über den Vorrang der Unversehrtheit.

Beschneidung als Körperverletzung: Aus einem Urteil in Sachen eines vierjährigen Muslims ist nun eine „Attacke auf das jüdische Leben“ geworden. Juden und Muslime erklären vereint, sie sähen ihre Religionsfreiheit gefährdet und gar die Zukunft jüdischen beziehungsweise muslimischen Lebens auf Messers Schneide, wenn dieser unpassende Wortwitz hier erlaubt sei. Aus einer Verkettung von Missverständnissen ist ein Kulturkampf geworden.

Ich glaube nicht, dass das Kölner Urteil Auswirkungen auf eine Jahrtausende alte Praxis haben wird, die konstitutiv für die beiden Religionsgemeinschaften ist. Allein die Anmaßung der treibenden Oberstaatsanwältin und des Landgerichts ist freilich atemberaubend. Das heißt eben nicht, dass es unter den Betroffenen keine Diskussion um diese Praxis gibt. Necla Kelek hat in ihrem Buch über türkische Männer eine extrem scharfe Kritik der Beschneidungsrituale in der Türkei formuliert. Ich teile nicht ihre Folgerungen, aber ihr Impuls, eine Debatte über Männlichkeitsriten anzuregen, ist berechtigt. Junge Juden, die nicht fest in der Orthodoxie verhaftet sind, machen es sich oft auch nicht leicht, wenn sie Eltern werden. Allerdings entscheiden sich die meisten doch für die Beschneidung als Zeichen für den Bund, als Zeichen dafür, dass die jüdische Geschichte weitergeht.

Es gibt übrigens eine eigene Tradition von jüdischen Beschneidungswitzen. Einen besonders drastischen von Oliver Polak habe ich schon einmal in der ZEIT zitiert: „Warum sind jüdische Männer beschnitten? Weil eine jüdische Frau nichts anfasst, was nicht mindestens um 20 Prozent reduziert ist.“ Berühmt ist auch folgende Episode aus der Comedy-Serie „Seinfeld„, in der die Bedenken gegen die Beschneidung auf geniale Weise thematisiert werden. (Allerdings wird auch hier das Kind dann eben doch beschnitten.)

Aber eine interne Debatte um das Für und Wider ist das eine. Und eine über Gerichte und Meinungsumfragen geführte Debatte der Mehrheit über die vermeintlich rückständig-barbarische Minderheit ist etwas anderes. In der deutschen Debatte, die durch das Kölner Urteil aufgekommen ist, irritiert der bierernste Ton der Belehrung und der herablassenden Umerziehung der „archaischen Religionen“, die einfach nicht bereit sind, ihre blutigen Rituale weiter symbolisch zu sublimieren. (Manchmal glaube ich einen Nachhall von dem protestantischen Zetern über die unbelehrbaren Katholen zu hören, die an die Wandlung von Wein zu Blut und Brot zu Fleisch glauben.)

Der aufgeklärte Vorbehalt gegen die Juden – und daraus abgeleitet auch gegen die in ihrer Ritualverhaftetheit verwandten Muslime – ist plötzlich wieder da. Wie anders ist zu erklären, dass breite Mehrheiten hierzulande das Kölner Urteil für richtig halten? Unser Recht soll also jüdische und muslimische Jungen vor einer barbarischen Praxis schützen, der sie ihre „verstockten“ Eltern unterwerfen? Wir kriminalisieren einen religiösen Ritus, der konstitutiv für die Zugehörigkeit zu den beiden abrahamitischen Bruderreligionen ist?
Abenteuerlich, und undenkbar in Gesellschaften, die nicht wie unsere derart vom Gespenst der religiös-kulturellen Homogenität heimgesucht werden. Undenkbar in den USA oder Kanada – Ländern, in denen es weit verbreitet war oder ist, Jungen auch ohne religiöse Gründe zu beschneiden. Dort wird diese Praxis zwar inzwischen in Frage gestellt, doch niemand käme auf die Idee, religiös begründete Beschneidungen zu kriminalisieren.
Es ist eine beängstigende Verspießerung unseres öffntlichen Lebens festzustellen, eine Verspießerung im Zeichen selbstgefälliger Pseudoaufgeklärtheit, die religiöses Anderssein unter der Flagge des Kinderschutzes und der Menschenrechte (im Fall Schächten/Halal: Tierschutz) zu erdrücken droht.
Die Rabbiner hätten nicht gleich das H-Wort bemühen müssen, aber im Kern haben sie recht: Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt, ist jüdisches (und muslimisches) Leben in Deutschland bedroht. Schon jetzt ist Schaden entstanden: 70 Jahre nach der Schoah wird in Deutschland traditionelles jüdisches (und muslimisches) Leben kriminalisiert, und der Bürger nickt wohlgefällig mit dem Kopf dazu. Als wäre es nicht Aufgabe des Rechts, die Minderheit vor dem Absolutismus der Mehrheit zu schützen.