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Putins Russland ist kein Partner

 

Mein Kommentar aus der ZEIT von morgen, 11.10.2012:

In etwas mehr als einem Monat droht der deutschen Diplomatie ein peinlicher Moment. In Moskau tagt der »Petersburger Dialog«, das deutsch-russische Forum, auf dem die ›Modernisierungspartnerschaft‹ beider Länder alljährlich bekräftigt wird. Thema diesmal: »Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts«.
Peinlich wird die Sache deshalb: Russland hat im Sommer ein Gesetz zur Internetzensur eingeführt. Mißliebige Webseiten können seither von Putins Regierung ganz einfach abgeschaltet werden. Mit dieser Regierung einen Dialog über die »Informationsgesellschaft« zu führen, wirkt ziemlich naiv. Also absagen? Geht auch nicht mehr.
Einige Abgeordnete der Union haben die Zwickmühle erkannt und einen Antrag formuliert, der die Rückschritte Russlands bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit scharf kritisiert. Noch vor dem Treffen in Moskau soll er in den Bundestag eingebracht werden: Die Regierung wird darin aufgefordert, ihre Sorgen »klar zum Ausdruck zu bringen«.
Wie nötig eine solche Mahnung ist, zeigen die jetzt bekannt gewordenen Änderungsvorschläge des Auswärtigen Amts. Der Antrag soll gesoftet, offene Worte über den antidemokratischen Irrweg von Putins Regierung herausredigiert werden. Dafür finden sich neue Passagen über die Größe Rußlands und seine Bedeutung als Energielieferant.
Die Abgeordneten dürfen sich das nicht bieten lassen. Sie sollten sich dem Versuch widersetzen, Russland weiter durch den Weichzeichner zu betrachten.
Es geht hier um mehr als einen Antrag. Nötig ist die Neubestimmung der deutschen Russlandpolitk. Trockener, kühler, realistischer – ebenso fern von Kaltem Kriegertum wie von der Illusion der Partnerschaft.
Deutsche Kanzler haben sich viel in Goodwill geübt: Kohls Strickjackenbesuche und Saunagänge bei Gorbi; Gerhard Schröder wurde gar Putins Apologet bis zur Anbiederei. Letzteres kann man Angela Merkel nicht vorhalten. Doch ihre Rußlandpolitik unterscheidet sich, einem hartnäckigen Vorurteil zum Trotz, nur habituell von der Schröders. Sie findet Putins Machismo peinlicher, als sie öffentlich zugeben kann. Doch die wirtschaftliche Verflechtung hat unter Merkel noch zugenommen, und auch ihr Engagement für Regimekritiker kommt über erwartbare symbolische Gesten selten hinaus. Am Ende übertrumpft das Interesse an guter Atmosphäre für die deutsche Industrie und politischer Kontinuität stets auch Merkels Widerwillen.
Trotz aller Bemühungen entfernt sich Russland von uns. Putin hat einen nüchtern-zynischen Blick auf die Deutschen: Ihr seid geschwächt durch die Eurokrise, und die Energiewende (Danke dafür, übrigens!) fesselt euch noch enger an unsere Pipelines. Wenn ihr wirklich wollt, dass Assad stürzt, warum tut ihr nichts dafür? Ihr echauffiert euch über Pussy Riot im Gefängnis, setzt aber mit uns den »Rechtsstaatsdialog« fort? Wie verlogen ist das denn? Und euch soll ich ernst nehmen?
Mit einem anderen großen Russen gefragt: Was tun? Vielleicht wäre es kein schlechter Anfang, die Lage so zu beschreiben wie sie ist. Niemand in Berlin hat einen Plan, wie man mit dem Russland unter Putin 2.0 umgehen soll. Dieses Land hält seine schützende Hand über den syrischen Diktator Assad, der sein eigenes Volk massakriert, wie unser Außenminister nicht aufhört zu betonen. Nichtregierungsorganisationen – auch deutsche Stiftungen – werden seit kurzem gezwungen, sich in Russland selbst als »Ausländische Agenten« zu bezeichnen; dadaistische Politkunstaktionen werden mit jahrelanger Haft für  junge Mütter bestraft; das Versammlungsrecht wird immer mehr eingeschränkt, um eine rege Zivilgeselslchaft zu drangsalieren.
Dieses Russland modernisiert sich nicht, und wie ein Partner verhält es sich auch nicht. Die »Modernisierungspartnerschaft«, vor vier Jahren aus der Taufe gehoben, ist den plötzlichen Kindstod gestorben. Die Hinterbliebenen sollten sich den Verlust eingestehen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Deutschlands Russlanddiplomatie auf Ausgleich und Gespräch setzt. Auch das ist, kühl betrachtet, im deutschen Interesse. Nicht im deutschen Interesse ist es, wenn die Regierung unliebsame Anträge redigiert. Das Parlament muss ohne große Rücksichten seinem Unbehagen an den russischen Entwicklungen Ausdruck geben können. Die Regierung könnte sich dies in ihren Verhandlungen mit Russland zunutze machen: Seht mal, bei uns wächst der Unmut über eure Politik!
Sie müsste dazu nur etwas mutiger sein. Nicht ausgeschlossen, dass sie dann auch in Moskau wieder ernster genommen würde  –und ein echter Dialog beginnen könnte.