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Das Versagen der amerikanischen Außenpolitik (im Präsidentschaftswahlkampf)

 

Zweiter Eindruck der dritten und letzten Präsidentschaftsdebatte, nachdem ich eine Nacht drüber schlafen konnte: Wow, was für eine Enttäuschung. Gut, Obama „hat gewonnen“, wie es fast überall heißt. Freut mich, ich möchte ihn noch für eine weitere Amtszeit am Ruder sehen. (Hat er denn wirklich gewonnen? Romney wusste doch, er kann hier nicht „gewinnen“, wg. Commander in Chief, OBL tot, Weltläufigkeit etc. Er musste nur zeigen, dass er kein Volltrottel ist und kein Wiedergänger von Bush Junior in seiner ersten Amtszeit: dass er keinen Krieg vom Zaun brechen wird. Und das ist ihm gelungen. Hat er damit nicht vielleicht gewonnen, was zu gewinnen war?)

Mit einem gewissen Abstand bleibt ein schales Gefühl. Das war also die große Debatte über amerikanische Außenpolitik? Obama sagt, ich habe Amerika in Sicherheit geführt: Irakkrieg abgewickelt (hatte Bush schon begonnen), Afghanistankrieg dito. Osama tot. Ich habe Iransanktionen ermöglicht, die endlich wirken. Ich bin Israels bester Freund, auch wenn das Gegenteil behauptet wird (guter Punkt: anders als Romney habe ich keine Fundraiser in Israel gemacht, sondern bin nach Yad Vashem und Sderot gegangen). Und das war es dann auch schon so in etwa.

Romney konterte mit dem Vorwurf, Obama sei auf eine „Entschuldigungstour“ gegangen und habe dabei allerlei problematische Länder aufgesucht (Europa, Ägypten), während er Israel vermieden habe. Er habe auf die iranische Grüne Bewegung zu spät und nicht deutlich genug reagiert (stimmt!), er lasse Entschlossenheit gegenüber dem iranischen Atomprogramm vermissen (Quatsch), während er, Romney, Ahmadinedschad wegen „Völkermord“ zur Rechenschaft ziehen werde (???). Was Ägypten und Syrien, Libyen, Tunesien und Jemen angeht, hatte Romney wenig mehr zu bieten als ein warnendes „Oioioi, da sind Islamisten auf dem Vormarsch“. Zwischen Al-Kaida und Morsis Muslimbrüdern schien er nicht viel Unterschiede zu sehen. Mit China werde er, Romney ordentlich Schlitten fahren, wegen der „Währungsmanipulation“ und des Stehlens von amerikanischen Arbeitsplätzen und Patenten.

Diese Karte zeigt die Welt, wie sie in der Debatte erscheint. Gefunden bei Matt Yglesias.

Zunächst einmal fällt an dieser Auseinandersetzung eine Provinzialität auf, die für die letzte globale Supermacht ein wenig absurd ist. Israel, Iran, Islamismus, fast alles kreiste um die drei I’s. Neben dem Nahen Osten wurde nur China erwähnt, als einziges ostasiatisches Land. Und wenn, dann nur als frecher Emporkömmling, den man durch genügend hartes Auftreten wieder in die zweite Reihe zurückschimpfen muss.

Das ist lachhaft. Spricht man so über seinen Banker? Über die größte aufstrebende Industrienation? Die all die schönen Gadgets herstellt, die unseren „westlichen“ Lebensstil ausmachen.

Indien – die weltgrößte Demokratie, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit, ein trotz Schwierigkeiten erfolgreicher multikultureller Staat, eine aufstrebende Wirtschaftsmacht – wurde mit keinem Wort erwähnt, obwohl es auch mit einem I anfängt.

Europa kam nur vor in Form des Vorwurfs Romneys an Obama, Amerika bewege sich „in Richtung Griechenland“. Auch das ist lächerlich und unwürdig. Europa ist der wichtigste Wirtschaftspartner und trotz seiner momentanen Schwierigkeiten der größte Wirtschaftsraum der Welt. Was sich in Europa abspielt zwischen Zerfallsgefahr und neuer Stabilitätskultur wäre wohl ein, zwei Sätze wert gewesen.

Lateinamerika: Kein Thema. Reiseerlaubnisse auf Kuba: Fehlanzeige. Brasiliens Aufstieg: nie gehört.

Myanmars erstaunlicher Weg aus der Diktatur: Nope.

Russland: Putin nix gut (Romney), sonst ebenfalls kein Thema.

Afrika unterhalb des Magreb und jenseits von Islamismus (Mali wurde erwähnt, weil sich dort Al-Kaida festzusetzen droht): Nö.

Beide Kandidaten sind fixiert in der sträflich beschränkten post 9/11-Weltsicht. Sie sind insofern beide Epigonen von George W. Bush, nur mit unterschiedlichen Konsequenzen. Beide haben den Tunnelblick auf die drei I’s, der 90 Prozent des Weltgeschehens ausblendet.

Die Präsidentschaftswahlen der USA sind ein globales politisches Schauspiel, das weltweit verfolgt wird. Darum war dieser Montagabend ein Schlag ins Kontor. Die Welt hat eine Lektion darüber erhalten, dass die Führungsmacht des Westens nicht versteht, dass nichts mehr so ist wie es einmal war.