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Die deutsche Liebe zu den Diktatoren

 

Mein Beitrag aus der ZEIT von heute, S.7:
Man hört ihn in Berlin immer häufiger, den Begriff »schwieriger Partner«. Was eigentlich damit gemeint ist: Schurken, an denen wir nicht vorbeikommen; Halunken, mit denen wir kooperieren müssen. Wann immer deutsche Außenpolitiker von Ländern wie China, Russland, Saudi-Arabien, Aserbaidschan oder Kasachstan reden, benutzen sie diese verdruckste Formulierung.
Er soll ein Dilemma bemänteln. Angela Merkel nimmt für sich in Anspruch, die Außenpolitik nicht nur an Interessen, sondern auch an Werten auszurichten: »Interessengeleitet und wertegebunden« zugleich. Geht das überhaupt in einer Welt voller schwieriger Partner? Lässt sich eine unaufgeregte, selbstbewusste Menschenrechtspolitik durchhalten, die Deutschland nicht kleiner und nicht größer macht, als es ist?
Regelrechte Feinde haben wir nur wenige. Es gibt kein »Reich«, ja nicht einmal eine »Achse des Bösen«. Aber die Tyrannei ist nicht verschwunden. Sie hat sich in viele Varianten von Machtmissbrauch, Unfreiheit und Unterdrückung ausdifferenziert. Mit vielen dieser Klepto-, Theo- und Autokraten ist Deutschland wirtschaftlich verflochten. Die Exporte wachsen seit Jahren am meisten in den Schwellenländern. Kaum ein Weltproblem lässt sich lösen – weder die Finanzkrise, noch der Syrienkonflikt, noch der Streit um Irans Atomwaffenprogramm – wenn undemokratische Mächte wie Russland, China oder Katar nicht mitspielen. Dazu eine realistische, aber nicht zynische Haltung zu finden, ist eine Herausforderung für die deutsche Regierung.
Nicht nur, weil wir die Schurken nun einmal brauchen. Es gibt einen Deutungskampf um die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik. Und da wird zurzeit eine dunkle Seite sichtbar: die Neigung, sich Despoten schönzureden. Man findet sie bei Elder Statesmen, Vordenkern in regierungsnahen Thinktanks und auch bei einflussreichen Abgeordneten. Sie plädieren für Leisetreterei gegenüber Tyrannen und glauben, dass Deutschland sich mit seiner »Wertegebundenheit« selbst im Weg steht. »Russlandknutscher« nennt ein kritischer Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes diese Leute mit Blick auf Gerhard Schröders Verbindungen zum Kreml. Aber die deutsche Liebe zu den Anti-Demokraten ist nicht auf Putin beschränkt.
Dafür steht Hans-Dietrich Genscher, 18 Jahre lang deutscher Chefdiplomat und FDP-Ehrenvorsitzender. Er ist bis heute das Inbild des deutschen Außenministers, er hat den Korpsgeist des diplomatischen Dienstes geprägt wie kein anderer, und er gilt als moralische Autorität. Genscher hat, wie der Spiegel herausfand, dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew seinen guten Namen zur Verfügung gestellt, indem er ihn in einem Geleitwort »als Glücksfall für sein Land« pries. Nasarbajew ist ein Despot. Es wird gefoltert in Kasachstan, es gibt keinen Rechtsstaat, keine Pressefreiheit, und die Demokratie ist eine Potemkinsche Fassade. Genscher war mehrfach mit deutschen Wirtschafts-delegationen im Land. Er öffnet der deutschen -Wirtschaft Türen und hilft im Gegenzug als Ehrenvorsitzender im Beirat des PR-Unternehmens Consultum Communications Schurkenstaaten, ihr Image bei uns aufzubessern: etwa der Kaukasus-Republik Aserbaidschan. Mit dem aserbaidschanischen Botschafter in Berlin hat er sich beim Fußballgucken, mit dem Präsidenten Ilham Alijew jüngst erst wieder bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Zwiegespräch fotografieren lassen. Alijew ist ein Kleptokrat, der das Land aus den Händen seines Vaters übernommen hat und mit einem mafiösen Familienclan beherrscht.
Genschers Geschäfte sind ein Politikum, weil er für seine Kunden natürlich nicht als Privatmann attraktiv ist, sondern als lebende Legende, als eine Art Ehren-Außenminister, der für das wiedervereinigte Deutschland steht. Wenn der Eindruck entsteht, selbst schwierigste Partner können einen Genscher zu Werbezwecken leasen, höhlt das die Idee der »Wertebindung« deutscher Außenpolitik aus.
Es gibt jüngere Akteure, die neuerdings ganz offen einem brachialen Pragmatismus das Wort reden. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, schreibt in einem Aufsatz für die regierungsnahe Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik: »Es ist die Aufgabe der Außenpolitik, für eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen und des Investitionsklimas in den jeweiligen Ländern zu sorgen.« Es folgt der programmatische Merksatz: »Die Bundesregierung übernimmt dabei die Rolle des flankierenden Partners für die deutsche Wirtschaft.«
Mißfelder war einmal ein frecher, etwas vorlauter, aber oft erfrischender Quertreiber. Seit er im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt und für die Union die aktuelle Weltlage in allen Medien kommentiert, hat eine Wandlung stattgefunden. Er trommelt nun bei jeder Gelegenheit für einen milden Umgang mit der russischen Regierung.
Eine beachtliche Wende: Keiner höhnte schärfer über Gerhard Schröder, als der sich in den Dienst eines russischen Energiekonzerns begab: »Dass Gerhard Schröder ausgerechnet jetzt für Gazprom arbeitet«, so Mißfelder, »ist ja nur der erste Vorbote dafür, dass die russische Diktatur versuchen wird, immer mehr Einfluss auf Deutschland auszuüben.«
Doch als Putin im vergangenen Jahr nach manipulierten Wahlen ein drittes Mal Präsident wird, verbittet sich Mißfelder »übereilige Bewertungen«. Das harte Urteil gegen die jungen Frauen von Pussy Riot kritisiert er, weil es »dem Ruf Russlands schaden« werde – und betont, dass die russische Justiz besser beurteilen könne, ob ein Verbrechen vorliege. Mißfelder stört »der zum Teil religiöse Antrieb, den manche Russland-Kritiker haben«. Sie »benehmen sich jetzt wie Neokonservative. Regimewechsel um jeden Preis.«
Im November 2011, als die Opposition in Moskau täglich gegen Putin auf die Straße geht, stellt Mißfelder im Bundestag die rhetorische Frage: »Was ist die Alternative zu Putin oder zur Putin-Partei? Die Alternative ist häufig Separatismus, Rechtsradikalismus, Nationalismus oder eben Kommunismus. Das ist nicht in unserem Interesse, weder außenpolitisch noch von unserem Grundverständnis für Demokratie her.«
Heißt das also, Putins Herrschaft ist in unserem Interesse? Wehe, was nach ihm kommt? Das ist seit je die Propagandastrategie autoritärer Machthaber: nach mir das Chaos. Mißfelder übernimmt sie. So wird im Zeichen des außenpolitischen »Realismus« die Leisetreterei gegenüber Despoten gerechtfertigt. Das ist ein altes Muster, das man schon von früheren Fällen kennt – vom Umgang mit Chiles Diktator Pinochet, Polens General Jaruzelski oder Ägyptens Präsidenten Mubarak. Wie wenig Stabilität taugt, die auf Kosten von Freiheit und Menschenrecht geht, zeigen heute die Eruptionen in den arabischen Ländern. Die fortschreitende Implosion der Staatenwelt des Nahen Ostens stellt auch einen vermeintlichen Realismus bloß, der sich nicht traute, über die Gewaltherrscher hinauszudenken. Das einflussreiche Milieu der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dem auch Genscher und Mißfelder angehören, wäre eigentlich der Ort für solche Reflexionen.
Die DGAP, von Regierung und Industrie gefördert, ist gleichzeitig Honoratiorenverein, Thinktank und elitärer Salon, der durchreisenden Präsidenten, Ministern und Botschaftern eine Bühne bietet. Ihr intellektueller Kopf ist der Leiter des Forschungsinstituts, der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider, ein angesehener China-Experte. Im Frühjahr 2012 hat er einen programmatischen Aufsatz über Deutschland als »Gestaltungsmacht in der Kontinuitätsfalle« veröffentlicht. Er fürchtet, die deutsche Außenpolitik könnte »durch eine zu starke Orientierung an historischer Kontinuität und einen überfrachteten Wertediskurs unfähig sein, schnell und effizient auf neue Herausforderungen zu reagieren«.
Wer die DGAP unter Sandschneiders Leitung verfolgt, erkennt ein Leitmotiv: Kritik an »unrealistischen Wertebezügen«. Man kann das so übersetzen: Deutschlands Außenpolitik leidet unter allzu vielen moralischen Bedenken. Kaum ein Strategiepapier kommt ohne die unterschwellige Botschaft aus, Deutschland stehe sich mit seinen Rücksichten auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat selber im Weg. Wenn Sandschneider einmal kritische Worte für die Merkelsche Politik findet, dann »für den Bezug auf die Wertegeleitetheit deutscher Außenpolitik, die von der derzeitigen Bundesregierung besonders nachdrücklich betont wird«.
Krankt die deutsche Außenpolitik an Hypermoralismus? Die Waffendeals mit Saudi-Arabien passen kaum in dieses Bild. Doch Sandschneider empfiehlt, die Ansprüche weiter zu senken und »Anpassungsnotwendigkeiten auszuloten«. Der Aufstieg der Schwellenländer, vor allem Chinas, zeige, dass Demokratiedefizite Wettbewerbsvorteile im Kampf um globale Vormacht sein können: Man habe »größere Planungsräume« zur Verfügung und müsse sich nicht am widerborstigen Bürgerwillen abarbeiten. Den Westen hingegen hält Sandschneider für »machtpolitisch erschöpft«. Statt Konfrontation sei »Ko-Evolution« an der Zeit. Deutschland solle aufhören, Chinesen und Russen »Wertelektionen zu erteilen«.
Menschenrechtspolitik ist in dieser Sichtweise Schwäche – westliche Selbstfesselung in einer amoralischen Welt voller harter Interessenpolitik. Zugleich ist sie ein Symptom postkolonialistischer Überheblichkeit gegenüber dem Rest der Welt. Die chinesische Regierung zu kritisieren, das heißt für Sandschneider, »überkommene Gefühle westlicher Überlegenheit zu zelebrieren«, statt endlich »China als gleichberechtigten Partner (zu) akzeptieren«. Letzteres werde erst möglich, wenn der Westen aufhöre, »den Schulmeister der Welt spielen zu wollen«.
In diesem verzerrten Bild fehlen auffällig die Dissidenten, die mit ihrer Führung viel härter zu Gericht gehen, als die deutsche Regierung es sich traut. Und: An »schwierige Partner« gleiche Maßstäbe anzulegen, ist das nicht auch eine Form der Akzeptanz? Liegt umgekehrt nicht viel mehr Herablassung in der Annahme, dass Russen, Chinesen, Kasachen und Aserbaidschaner per se für Vollmitgliedschaft im Club nicht taugen und darum die Satzung für sie nicht gelten sollte?
Es sind immer die gleichen Redefiguren, mit denen die Tyrannen für unantastbar erklärt werden: Sie stehen für Stabilität. Wer sich in die Pose des Anklägers wirft, verspielt Einfluss und Marktzugang. Wir brauchen ihre Kooperation zur Lösung weltpolitischer Probleme. Die deutsche Geschichte (der Kolonialismus oder eine sonstige abendländische Schuld) mahnt uns zu Zurückhaltung und Respekt.
Bei genauerem Hinsehen sind das Ausreden fürs Nichtstun: Historische Schuld verpflichtet mindestens so sehr zum Eintreten für das Recht wie zur Mäßigung dabei. Dass »schwierige Partner« weltpolitischen Einfluss haben, stimmt zwar: Doch wäre es eine Illusion, zu glauben, dass sie durch Milde kooperativer würden. In Syriens Bürgerkrieg steht Russland auf der Seite des befreundeten Diktators Assad, und beim Streit um das Atomprogramm des Irans lassen Russen und Chinesen kaum eine Gelegenheit verstreichen, eine Lösung zu hintertreiben. Sie folgen schlicht ihren eigenen Interessen. Nettigkeit wird sie davon nicht abbringen. Die Diktatorenknutscherei ist nicht nur unwürdig. Sie bringt auch nichts.
Umgekehrt wird die Konsequenz westlicher Kritik übertrieben. Unser Marktzugang – das zeigen immer neue Exportrekorde – ist nicht in Gefahr. Deutsche Produkte sind so gut, dass auch heftig kritisierte Länder sie haben wollen. Angela Merkel pflegt zwar eine größere Distanz zu Putin, aber der »Geschäftsklimaindex« beim Handel mit Russland war, laut dem Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, nie besser als heute. Der Dalai Lama wurde im Kanzleramt empfangen, und Deutschland hat sich auch vehement für den verfolgten Künstler Ai Weiwei eingesetzt. Trotzdem werden jedes Jahr mehr Audi nach China verkauft.


Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Werten und Interessen. Doch der Schluss liegt nahe, dass Deutschland ungestraft noch viel deutlicher in der Welt für seine Werte eintreten könnte.