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„Unsere Väter, unsere Mütter“ – und die Unfähigkeit zu trauern

 

Kann es sein, dass die Debatte über das NPD-Verbot und das Scheitern des Dreiteilers „Unsere Väter, unsere Mütter“ etwas miteinander zu tun haben?

In meinem Kopf jedenfalls. Der Glaube, man könne den Nazis (von heute) beikommen, indem man ihre Organisation verbietet, und das Versagen der filmischen Imagination angesichts der NS-Geschichte hängen zusammen. Es ist immer noch schwierig, sich in die Faszination des Nationalsozialismus hineinzudenken.

Das ist das eigentliche Problem des Films von Nico Hofmann, dem man sonst kaum etwas vorwerfen kann. Nein, Juden kommen vor, und die Judenverfolgung. SD-Leute, Alltagsrassisten und Antisemiten. Verführte und radikalisierte Soldaten. Ich habe keine Beschönigung entdecken können. Im Gegenteil, der Film trägt den Wunsch, endlich die Härte des Kriegs, die Menschenverachtung des Regimes, die Brutalisierung an der Ostfront etc. ungefiltert zu zeigen, am Revers.

Aber etwas fehlt, und darum lässt einen die Sache doch merkwürdig kalt. Der Film beginnt 1941, auf der Höhe des deutschen Kriegsglücks und der Führerbegeisterung. Aber er zeigt nichts davon. Die fünf Freunde, für die er uns einnehmen will, sind alle merkwürdig distanziert zum Mainstream. Der eine ist Literat, der andere ein pflichtbewusster, preussisch-korrekter Offizier, die beiden Frauen naiv-gutmütig (Krankenschwester Charlotte) bzw. kunstsinnig-rebellisch (die Sängerin Greta mit dem jüdischen Geliebten).  Nichts dagegen zu sagen – aber das sind nicht „unsere Väter, unsere Mütter“, sondern eher Wunschbilder davon. Am Ende sind die Fünf alle praktisch im Widerstand oder Opfer der Verhältnisse. Na ja.

Hoch problematisch ist die oft wiederholte Moral: „Der Krieg bringt nur das Schlechteste in uns hervor.“ Hm. Zweifellos ist das immer eine Möglichkeit. Zweifellos gab es zahlreich solcher Erfahrungen. Aber für andere Völker war derselbe Krieg eine ehrenwerte, heroische Sache, bei allem Horror, aller Verrohung, aller Schuld. Ein Vernichtungskrieg gegen „Untermenschen“ wird allerdings das Schlimmste hervorbringen, aber doch nicht „der Krieg“. Und selbst im schlimmen deutschen Krieg mag es Helden gegeben haben. Die Grundkonstruktion des Films, dass fröhliche, nichts ahnende junge Menschen im Krieg verroht werden, ist mir ein bisschen zu schlicht.

Sie verschenkt einen möglichen Erkenntnisgewinn, für den es allerdings etwas mehr Risikobereitschaft gebraucht hätte: dass wir uns nicht in Phantasiefiguren von Widerstand und Opfertum spiegeln sollen, sondern in denen der Täter und Mitläufer, also der breiten Masse des deutschen Volkes von damals.

Mein Vater – Jahrgang 1933 – war in den Genuss der Gnade der späten Geburt gekommen. Er hatte keine Gelegenheit, schuldig zu werden. Ich habe ihn immer sehr dafür respektiert, dass er mir nie vorgespielt hat, er wäre immun gewesen gegen die Faszination des Faschismus (for lack of a better word).  Es hat mir geholfen, dass er eines Abends sagte, als wir wieder einmal von jener Zeit sprachen (und von meinem Onkel Viktor, dem unverbesserlichen Nazi): Ich wollte so gerne in die Hitlerjugend! Ich liebte das Militärische, das Abenteuer, den Drill. Ich wollte die Uniform, ich wollte ein Mann sein, ich wollte dazugehören!

Das war kein schlimmes Geständnis, aber es hat mir den Kopf geöffnet für das, was der Film von Hoffmann sich verbietet: Dass die Deutschen den Führer geliebt und den Endsieg gewünscht haben, dass es ihnen prima ging mit dem Regime, dass sie mit seinen Zielen übereinstimmten und sich dabei gut fühlten. Dass sie aus Liebe und Idealismus und Überzeugung Nationalsozialisten waren, nicht bloß aus Druck und „Verführung“. Dass sie Deutschlands Feinde aus denselben hehren Gefühlen heraus gehasst haben; dass sie mit der völkischen Lebensanschauung einverstanden waren, in der für Juden, Behinderte und Volksschädlinge kein Platz war – auch wenn sie vielleicht nicht so genau wissen wollten, welche Folgen das hatte.

Nicht einen einzigen solchen Nationalsozialisten zeigt dieser Film. Alle sind die Monster, haben schlechten oder gewalttätigen Sex, sind Sadisten etc. – als hätte es nie eine Debatte über die „Banalität des Bösen“ gegeben. Wer die Liebe zum Führer nicht verstehen will, die eine Lizenz zum Schlimmsten gab, und den Glauben an die deutsche Mission bei der Unterjochung Europas, die heiße Hoffnung auf den Endsieg, der will den Nationalsozialismus nicht verstehen.

Eines der berühmtesten Bücher über die Schwierigkeiten der deutschen Vergangenheitsbewältigung trägt der Titel „Von der Unfähigkeit zu trauern“. Darunter hat man oft die Unfähigkeit verstanden, um die Opfer der deutschen Verbrechen zu trauern. Was die Mitscherlichs mit dem Buch aber eigentlich im Sinn hatten, war die Unfähigkeit der Deutschen, um den „geliebten Führer“ zu trauern und über das „Erwachen aus einem Rausch“ zu erschrecken, das mit Hitler „gescheiterte Ich-Ideal“ ins Auge zu fassen. Nicht über die Opfer, über den Führer versäumte man zu trauern. Selten ist mir diese These aktueller erschienen als nach dem Ansehen des Hofmanschen Films. Immer noch identifizieren wir uns mit den Opfern und imaginieren uns als Opfer des Regimes. Die Nazis sind und bleiben die anderen. Unverständlich wie Aliens.

Und damit komme ich zurück zur NPD-Verbotsdebatte: Kann es sein, dass der Wunsch, das alles einfach zu verbieten, statt sich auf den langen, mühevollen, peinigenden politischen Kampf einzulassen, der gleichen Unfähigkeit zu trauern entstammt, die uns auch heute noch von unseren Vätern, unseren Müttern trennt (und uns zugleich mit ihnen vereint)?