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Afghanistan auf der Kippe – der Bundestag entscheidet

 

Aus der ZEIT Nr. 42 vom morgigen Donnerstag, S. 11:

Am vergangenen Freitag rühmten sich die Taliban in afghanischen Medien, sie hätten »viele Kreuzritter getötet«. In Wahrheit waren drei deutsche Soldaten noch einmal mit dem Schrecken davongekommen, als ein Selbstmordattentäter sich vor ihren gepanzerten Wagen warf. Doch schon am Sonntag wurde das deutsche Militärcamp mit Raketen angegriffen. Und am Montag tauchte ein weiteres Video des entführten Ingenieurs Rudolf B. auf, der erneut die Bundesregierung anflehte, alles für seine Freilassung zu tun. Offenbar ist eine gezielte Kampagne gegen die Deutschen im Gange: Die Aufständischen in Afghanistan haben die Bundestagssitzung an diesem Freitag im Blick, bei der über die Fortsetzung der Mandate für Isaf und die Tornados abgestimmt wird.

Kurzfristig werden sie das Gegenteil von dem erreichen, was sie sich erhoffen. Sie haben dem abgenutzten Mantra der Regierung, »Deutschland darf der Gewalt nicht weichen« (Verteidigungsminister Jung) unverhofft neue Plausibilität verschafft. Das ist das Paradox der Lage: Mehr Chaos in Afghanistan führt zu mehr Disziplin im deutschen Parlament. Die Mandate werden unter dem Druck von Terror und Erpressung noch ein bisschen glatter durchgehen, als es ohnehin zu erwarten gewesen wäre.

Das hat etwas Irreales: Weil sich die Situation in Afghanistan immer weiter zuspitzt, wird es im deutschen Parlament schwerer, die wirklichen Probleme des Landes anzusprechen. Im Süden herrscht in weiten Teilen ein asym­me­trischer Krieg, der an den Irak erinnert. Die Drogenproduktion, die ihn am Laufen hält, ist auf einem Rekordstand seit der Befreiung des Landes von der Taliban-Herrschaft. Doch in der Union wird es nur einzelne Gegenstimmen geben, wie schon zuletzt. Die SPD-Fraktion wird ziemlich geschlossen zu Isaf und Tornados Ja sagen und allenfalls bei der Abstimmung über die Antiterrormission Enduring Freedom im November ihr Unbehagen ausdrücken. Die Linkspartei wird sich durch die Taliban-Offensive bestätigt fühlen.

So wird es wohl einzig bei den Grünen in­te­res­sant: Die Bundestagsfraktion ist bei dem Kunststück zu beobachten, einerseits dem Basisgeist von Göttingen durch eine ausreichende Zahl von Nein-Stimmen Ausdruck zu geben, andererseits aber mit einer passablen Anzahl von Ja-Stimmen prinzipielle Zustimmung zu Isaf und Verantwortung für Afghanistan zu signalisieren, ohne jedoch die Tornados mitzumeinen. Um es richtig kompliziert zu machen, das ist jedenfalls der Plan, signalisieren die Grünen dann noch mittels einer soliden Basis von Enthaltungen der Regierung das Missfallen an der bisherigen Afghanistanpolitik und fordern sie zu einem Strategiewechsel auf: Mehr Geld in den zivilen Aufbau, zugleich möglichst klare Trennung des Nation-Building vom Kampf gegen die Taliban. Ach ja, Frau Merkel soll endlich nach Afghanistan fahren.

So berechtigt die letzte Forderung ist: Ob im fernen Kabul die dialektische Feinheit des grünen Abstimmungsverhaltens entschlüsselt werden kann? Der Afghanistan­experte der Frak­tion, Winfried Nachtwei – er will sich selbst enthalten –, sieht durchaus »das Risiko der schlechten Botschaft nach Afghanistan«. So wird man vielleicht am Ende zwar die kriegsmüde Basis be­schwich­tigt und die Regierung kritisiert haben – und doch nach Kabul signalisieren: Wir geben euch auf.

Nun ließ der Grüne Tom Koenigs in der Woche der Bundestagsentscheidung wissen, dass er zum Jahresende sein Amt als UN-Sondergesandter für Afghanistan aufgeben wird. Mag sein, dass seine wiederholten Appelle, den Aufstand durch einen politischen Prozess und sogar durch Gesprächsangebote an Trittbrettfahrer der Taliban zu spalten, in den USA nicht gern gehört wurden. Koenigs hatte zwar immer den amerikanischen Einsatz gelobt, aber vor der Hoffnung auf einen rein militärischen Sieg gegen die Taliban gewarnt. Es wird nun spekuliert, dass hinter seiner Demission amerikanischer Druck steht, mit dem Ziel, ein Nachfolger könne den zivilen Wiederaufbau und das Militär stärker miteinander verknüpfen. Aus der Luft gegriffen ist die Deutung nicht, dass eine stärkere Militarisierung des Afghanistankonflikts beabsichtigt ist, wie etwa die neue amerikanische Initiative zur afghanischen Antidrogenstrategie zeigt.

Die Amerikaner versuchen, die Regierung Karsai zu bewegen, die Opiumernte mit Herbiziden und durch Einsätze bewaffneter Rodungskommandos zu vernichten. Die Rekord­ernte dieses Jahres – mit teilweise 50-prozentigen Steigerungen in den unsichersten Provinzen des Südens – schwemmt frisches Geld in die Kriegskasse der Taliban. Karsai aber will einen offenen »Krieg gegen die Drogen« nicht riskieren, weil er befürchtet, die Bauern noch weiter in die Arme der Taliban zu treiben. Karsais Idee von einem politischen Prozess mit den gesprächsbereiten Taliban – für die auch Tom Koenigs geworben hatte – wäre damit tot.

Es könnte also sein, dass der angekündigte Abgang des deutschen Grünen in Kabul einen ganz anderen Strategiewechsel signalisiert als den von seiner Partei ersehnten.