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Ahmadinedschad privat

Der Präsident des Irans ist nicht nur groß darin, Blogger zu schikanieren und ins Gefängnis zu werfen. Er mischt jetzt selber in der Blogosphäre mit

Mahmud Ahmadineschad hat neuerdings ein eigenes Blog. Er schreibt nicht nur den Großen dieser Welt – Bush und Merkel – Briefe, in denen er seine Weltsicht ausbreitet. Jedermann bekommt jetzt Post vom Präsidenten. Sofort wurde gemutmaßt, dies sei nichts weiter als ein PR-Stunt des Iran in einer bedrängten Situation. Ende August läuft schließlich die Deadline des UN-Sicherheitsrates im Atomstreit aus. Allerdings setzt diese Sicht der Dinge voraus, daß die iranische Führung sich wegen ihrer nuklearen Ambitionen gegenüber der Weltöffentlichkeit in Legitimationsnöten sieht. Das ist ganz offensichtlich nicht so.

Wer das Blog des Präsidenten liest – weltweit das erste eines amtierenden Staatsoberhaupts -, wird kaum Zweifel haben, daß Mahmud Ahmadineschad höchstselbst der Autor ist. Es gibt bisher nur einen einzigen Post. In diesem erzählt Ahmadineschad vor allem seine Lebensgeschichte bis zur Revolution und zum Iran-Irak-Krieg.

Immer wieder kommt er auf seine arme Herkunft als Sohn eines Schmieds aus der Provinz Gamsar – 90 Kilometer östlich von Teheran – zu sprechen. Der Aufstieg des jungen Mahmud vom armen Ladenschwengel in der Provinz zum jungen Revolutionär vollzieht sich parallel mit der Geburt der Islamischen Republik aus Dekadenz und Niedergang des Schah-Regimes, dem Aufstieg Khomeinis und dem Krieg gegen den Irak.

Das Private ist das Politische. Man bekommt hier einen sehr guten Einblick in die revolutionäre Psyche des Präsidenten, den manche fälschlich für einen „Fundamentalisten“ halten. Er hat Revolution gemacht, und die Revolution hat ihn gemacht. Der Widerstand des revolutionären Irans gegen die Mächte der „globalen Arroganz“ – die USA, Europa, der Westen – hat die durch den „hochverräterischen Schah“ befleckte Ehre des Landes wiederhergestellt. Und damit auch die Ehre der Familie.

Während der Schah 2500 Jahre Monarchie im Iran feierte – und sich dazu „mit Sonderflugzeugen Luxusgüter aus Europa einfliegen ließ“ – , verarmte die Familie Ahmadineschads. Der Vater konnte den Unterhalt der Familie mit seiner Schmiede nicht mehr gewährleisten. Mahmud musste schon während seiner Schulzeit arbeiten, um sein Schärflein beizutragen. Mit einigem Stolz erzählt er, daß er es aus diesen Verhältnissen heraus vermochte, den Eingangstest für das Studium als Nummer 132 von 400.000 Bewerbern zu schaffen – „obwohl ich während des Tests an Nasenbluten litt.“

Sehr aufschlußreich auch der verschwörungstheoretische Eingangspassus, in dem Ahmadineschad den Platz des Iran in der modernen Geschichte so skizziert: „Seit der Schah Mohammed Reza eingesetzt worden war, um Iran in die westliche Zivilisation zu versklaven, wurden viele Verschwörungen umgesetzt, damit Iran ein weitere Markt für westliche Konsumgüter werden sollte, jedoch ohne jeden Fortschritt im wissenschaftlichen Feld. Unsere islamische Kultur stand diesem Parasitenbefall entgegen, und war darum dem Schah und seinen westlichen Herren ein Ärgernis. Also beschlossen sie, diese edle und widerstandsfähige Kultur Stück um Stück zu schwächen, indem Iran witschaftlich, politisch und kulturell an den Westen gebunden wurde.“

Die Tatsache, daß der Präsident ein Blog führt, in dem auch Kommentare möglich sind (wenngleich wohl einstweilen nur positive), zeigt, dass er vielmehr ein revolutionärer Populist ist als ein Fundamentalist im hergebrachten Sinn. Aber dies war bekanntlich auch der Imam Khomeini, der die Revolution aus dem Exil durch hunderttausendfach kopierte Cassetten vorantrieb.

Interessant ist auch der Sprachgebrauch, wenn es um die USA und den Westen geht: Die „globale Arroganz“ hat den „großen Satan“ als Charakterisierung abgelöst. Den Mächten der globalen Arroganz – dazu zählt auch die UNO – hält Ahmadineschad ihre Parteilichkeit im Iran-Irak-Krieg vor. Man habe zuerst einseitig Saddam Hussein unterstützt – und dann dem Iran einen unvorteilhaften Frieden aufgezwungen. Dass Khomeini selbst im Juni 1982 den Krieg verlängerte, will Ahmadineschad nicht wahrhaben. Ayatollah Khomeini entschied sich, den Krieg bis zum Endsieg über Irak weiterzuführen, obwohl die iranischen Kriegsziele – Rückgewinn der von Irak besetzten Gebiete – schon erreicht waren. Ein irakisches Friedensangebot wurde nicht angenommen, der Krieg um sechs qualvolle Jahre verlängert.

Aus diesem Krieg, der die iranische Theokratie geformt hat, ist der heutige Präsident des Iran hervorgegangen. Wer einen Einblick in seine Mentalität gewinnen will, lese sein Blog: „Brüderlichkeit, Glaubenstreue, Ernst und die Liebe zu harter Arbeit, Spiritualität und Gebet, Opfermut und Tapferkeit – alle diese Werte haben uns Mal um Mal bewiesen, daß diese Welt und das Jenseits keine Gegensätze sind, sondern in vollendeter Harmonie miteinander stehen.“

Auf der Website kann man auch über folgende Frage abstimmen: „Do you think that the US and Israeli intention and goal by attacking Lebanon is pulling the trigger for another world war?“ Bislang haben nur 28 Prozent diese Suggestivfrage bejaht. 72 Prozent antworteten mit Nein. Das Blog ist, wenn die Zähler stimmen, dennoch ein großer Erfolg: Fast 600.000 Besucher nahmen in kaum 2 Wochen an der Abstimmung teil.

© ZEIT online

 

Schäuble, Islamismus, Israel


Der Bundesinnenminister schafft es irgendwie, in ein und demselben Interview in der ZEIT mehr Geld für den Verfassungsschutz zur Beobachtung von Islamisten zu fordern und Milli Görüs zur baldigen Islam-Konferenz einzuladen (siehe Link in der Titelzeile).
Zugleich nimmt er Israel in Schutz gegen die Propaganda, „dass die Ungerechtigkeit gegenüber den Muslimen in dieser Region geringer wäre, wenn es den Staat Israel nicht gäbe“. Schäuble nennt es eine „Lebenslüge eines Teils der arabischen Welt, zu glauben, die Existenz des Staates Israel sei die Ursache der Probleme und der Ungerechtigkeiten.“
Vor dem Hintergrund der Kofferbomben-Attentate und den Verbindungen der Täter in den Libanon sagt Schäuble: „Ich halte es für falsch, zu glauben, wir würden weniger bedroht, wenn wir uns nicht beteiligen – ob auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika oder im Libanon.“

 

Der britische Flirt mit islamischen Radikalen

Jetzt blickt die Welt auf den gefährlichen Kurs der britischen Islampolitik zwischen Multikulturalismus und Anbiederung bei Extremisten: Der Journalist Martin Bright hat den Schmusekurs der britischen Regierung mit islamistischen Radikalen recherchiert. Die vollständige Recherche steht unter diesem Link.

 

Die Linke und Hisbollah

Hazem Saghieh – siehe das unten stehende Interview – setzt sich in einem Essay für Opendemocracy mit der finsteren Allianz der europäischen Linken und der Hisbollah auseinander. Die europäische Linke verrät ihre Wurzeln, wenn sie sich im Namen des Antiimperialismus mit den Gotteskriegern gemein macht. Es ist gut und schön, schreibt Saghieh, gegen Bush und Blair zu demonstrieren. Aber wenn dabei kein böses Wort über Scheich Nasrallah fällt, dann stimmt etwas nicht.

 

Hazem Saghieh über das Unbehagen der Araber in der Moderne

Interview mit Hazem Saghieh aus der ZEIT vom 17.8.2006

WARUM DIE WUT WEITER WACHSEN WIRD

DIE ZEIT: Herr Saghieh, die Welt ist schockiert von den Londoner Attentatsplänen . Welche Rolle spielt die Entwicklung im Nahen Osten für die jungen britischen Muslime, die sich dem Terrorismus verschreiben?

Hazem Saghieh: Man kann das gar nicht überschätzen. Die Wut und die Frustration der jungen Leute im Westen wird durch die Bilder von amerikanischen und israelischen Kriegsgräueln immer weiter angefacht. Alles wird dem bereits vorhandenen Weltbild »Wir gegen sie« eingefügt. Tschetschenien, Bosnien, Afghanistan, Irak, Palästina und Libanon bilden darin ein einziges Panorama muslimischen Leidens. Besonders beunruhigend: Die innermuslimischen Widersprüche spielen keine Rolle mehr. Im Irak bringen sunnitische Radikale Schiiten um. Im Libanon aber unterstützen sie die schiitischen Extremisten von Hisbollah gegen Israel.

ZEIT: Ihre Zeitung, Al Hayat, gilt als das liberale Flaggschiff der arabischen Presse. Wie wird der Libanon- Konflikt unter arabischen Meinungsmachern debattiert?

Saghieh: Die arabische Mehrheitsmeinung feiert Hisbollah. Zwar gibt es noch Kritik von nichtschiitischen Libanesen und einige wenigen arabischen Intellektuellen, die noch kontrafaktisch an Frieden und Verständigung glauben. Man kann das aber kaum eine Debatte nennen, weil sich die beiden Meinungslager nicht begegnen.

ZEIT: Wie sieht es unter den jungen Muslimen in
England aus?

Saghieh: Mich beunruhigt ihre Tendenz zur Selbststigmatisierung. Man inszeniert sich mehr und mehr genau so, wie das Vorurteil der Islamophoben die Muslime sieht: immer mehr Kopftücher, immer mehr äußerliche Zeichen des Andersseins. Man grenzt sich selber aus. Ich muss selbstkritisch sagen: Die arabischen Medien sind nicht sehr hilfreich für die Integration der Migranten in Europa. Al-Dschasira sagt den Leuten nicht, wie sie sich hier besser zurechtfinden, sondern wie sie sich besser von der Mehrheit unterscheiden können. Die mediale Globalisierung macht es Einwanderern durch Internet und Satellitenfernsehen sehr leicht, in der virtuellen Öffentlichkeit ihrer Herkunftsländer weiterzuleben, statt sich für ihre neue Heimat zu interessieren.

ZEIT: Ist diese Abschottung nicht eine Reaktion auf das Gefühl, unerwünscht zu sein?

Saghieh: Das mag sein. Aber ich halte die ganze Fixierung aufs Anderssein für sehr gefährlich. Britische Muslime reden gerne vom Recht auf kulturelle Differenz. Doch das meiste Gerede von Differenz und Identität ist leichtfertiges Geschwätz. Es führt die Migranten in eine Sackgasse, in ein selbst gewähltes Ghetto. Man darf dann nämlich nicht mehr vergleichen und werten, weil das schon eine Verletzung des Rechts auf Differenz ist. Das Beharren auf einer besonderen Identität führt in die selbst gewählte Unmündigkeit.

ZEIT: Zu Beginn des Krieges gab es in der arabischen Öffentlichkeit auch Kritik an Hisbollah.
Wie sehen Ihre Leser die Lage jetzt?

Saghieh: Ich fürchte, die große Mehrheit der Araber bewundert Hisbollah für einen vermeintlichen Sieg, wie ihn – so die Propaganda – arabische Armeen in vielen Kriegen nicht erzielen konnten. Scheich Nasrallah gilt in der arabischen Welt heute als zweiter Nasser. Es ist leicht zu verstehen, warum: Die Frustration durch die eigenen Regime, die Demütigung durch Amerika und Israel und das allgemeine Unbehagen in der Moderne suchen Ausdruck, und all das projiziert man auf den so genannten Widerstand von Hisbollah. Mich erschüttert, dass es den meisten dabei ziemlich egal ist, was aus meinem Heimatland, dem Libanon, wird. Durch diese Eskalation gibt es jetzt nur noch die Logik des »Wir gegen sie«. Und wenn dabei ein kleines Land namens Libanon draufgeht, dann ist das eben so.

ZEIT: Was bleibt von den Hoffnungen des letzten Jahres, als im Libanon die Zedernrevolution stattfand?

Saghieh: Wir wissen nicht, was vom Libanon überhaupt noch übrig bleiben wird. Mindestens ein Fünftel der Bevölkerung wurde vertrieben, die Infrastruktur wurde zerstört. Der Libanon bezahlt die Rechnung für die Fehler der modernen arabischen Geschichte. Wir haben 17 verschiedene Religionsgruppen mit 17 verschiedenen Versionen der libanesischen
Geschichte und ebenso vielen Vorstellungen davon, was es heißt, Libanese zu sein. Wenn das Land überleben soll, müssen drei Dinge in Angriff genommen werden: Als multireligiöses Land brauchen wir politische Neutralität. Wir brauchen die Trennung zwischen Religion und Staat. Und das Problem von Hisbollah als Staat im Staate muss gelöst werden. Bleibt die Frage, ob der Libanon in der Lage sein wird, Hisbollah zu entwaffnen, ohne dabei in einen neuen Bürgerkrieg zu schlittern.

ZEIT: Wie geht es Ihren Verwandten und Freunden im Libanon?

Saghieh: Zum Glück wurde niemand verletzt. Manche haben ihre Häuser und ihre Habe verloren. Die israelischen Angriffe auf Zivilisten waren barbarisch. Sie werden eine schreckliche Langzeitwirkung auf die nachbarschaftlichen Beziehungen in der Region haben. Der Antisemitismus in der arabischen Welt wird abermals gestärkt werden.

ZEIT: Aber Israel konnte doch nicht hinnehmen, dass es von einer Terror-Miliz beschossen wird und die libanesische Armee zusieht?

Saghieh: Es ist eine schreckliche Logik am Werk: Je mehr Israel von den Arabern abgelehnt wird, umso harscher fallen seine Reaktionen aus. Die Israelis waren fürchterlich enttäuscht, als der Clinton/ Barak-Vorschlag in Camp David von Arafat verworfen wurde. Und als nach dem israelischen Rückzug aus dem Libanon der so genannte Widerstand von Hisbollah erst richtig losging, hat sich endgültig das Gefühl festgesetzt, dass Israel in der Region niemals willkommen sein wird.

ZEIT: Wo lag die libanesische Verantwortung für die Eskalation?

Saghieh: Mein Land bezahlt jetzt den Preis für die Inkompetenz seiner politischen Elite. Wir haben es nicht verstanden, einen Staat aufzubauen, der den Namen verdient. Hisbollah ist, wie jeder sehen konnte, viel stärker als der reguläre libanesische Staat. Sie hat Rückhalt unter den Schiiten, der größten Glaubensgruppe des Landes, und ist nach dem Staat der zweitgrößte Arbeitgeber im Lande. Im Libanon können Sie wie unter einem Vergrößerungsglas die arabische Unfähigkeit, sich mit dem Konzept des Nationalstaates zu versöhnen, beobachten. Die Menschen stellen ihre ethnisch-religiösen Zugehörigkeiten nicht für die Loyalität zu einem Staat zurück. Das Problem von Hisbollah – dass sich bei uns ein Staat im Staate gebildet hatte – hätten wir selber lösen müssen. Je länger die libanesische Regierung dies aufschob, umso harscher musste die israelische Reaktion ausfallen.

ZEIT: Stand dabei nicht auch die Angst vor der werdenden Atommacht Iran im Hintergrund, die Hisbollah unterstützt?

Saghieh: Sicher. Iran versucht im Libanon, mit Hilfe von Hisbollah, einen Coup gegen das geopolitische System des Nahen Ostens, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat. Iran will das Staatensystem des Nahen Ostens umstürzen, indem es Hisbollah und Hamas unterstützt. Früher entschieden die arabischen Staaten über Krieg und Frieden mit Israel. Heute versucht Iran, ihnen durch Hisbollah und Hamas die Souveränität in diesen Fragen zu nehmen – und stellt sich dabei gleichzeitig als Schutzmacht der arabischen Sache in Palästina dar. Seine neue Macht verdankt Iran allerdings nicht zuletzt Amerika, das seine Feinde in Afghanistan und im Irak beseitigt hat.

ZEIT: Konnte man diese Wendung schon vor dem Irak-Krieg voraussehen?

Saghieh: Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass ein Krieg mit dem Irak eine Stärkung Irans bedeutet. Der Krieg mit dem Irak war eine große Torheit. Die Europäer haben gut daran getan, sich nicht zu beteiligen. Es war geopolitisch verrückt, diesen Krieg vom Zaun zu brechen. Vielleicht steckt gar keine tiefe politisch Analyse hinter diesem Abenteuer, sondern die apokalyptische Idee von der schöpferischen Zerstörung – dass das gute Neue nur aus der Destruktion des schlechten Bestehenden erwachsen kann.

ZEIT: Teilen Sie als arabischer Liberaler nicht die Hoffnung auf Demokratie in der Region?

Saghieh: Man kann nicht in einer Despotie zu Bett gehen und am nächsten Morgen in der Demokratie aufwachen. Man braucht eine lange Übergangsperiode, in der es politische Stabilität gibt, Mittelschichten wachsen können, Frauenrechte respektiert werden. Schauen Sie: Vor dem Irak-Krieg war ich in Washington in einem regierungsnahen Think Tank eingeladen, über den Irak zu sprechen. Die Neokonservativen sahen die Befreiung des Iraks von Saddam Hussein in Analogie zum Sturz der totalitären Herrschaft in Mitteleuropa. Ich gab zu bedenken: Mitteleuropa war schon lange in einer unglücklichen Liebesgeschichte
der westeuropäischen Demokratie verbunden. Lesen Sie Kundera, Havel, Konrad! Die
Sowjetunion musste mit Gewalt verhindern, dass diese Liebe erfüllt wurde. Als die Regime fielen, kam die unterdrückte gute Gesellschaft zum Vorschein. Saddam Hussein dagegen hat teils sogar Leute unter dem Deckel gehalten, die noch viel fanatischer antiwestlich waren als er selbst. Beseitige den bösen Staat, und die gute Gesellschaft wird sich zeigen – dieses Konzept funktioniert im Nahen Osten nicht. Aber das wollte man in Washington nicht hören.

ZEIT: Warum unterstützen heute auch viele ehemalige Linke in der arabischen Welt die Islamisten?

Saghieh: Man sieht in den Islamisten die letzten erfolgreichen Kämpfer gegen das Imperium. Manche Linke – etwa in Ägypten – arrangieren sich wohl auch schon mit der kommenden Macht, wenn sie heute die Muslimbrüder unterstützen. Dabei arbeiten sie in Wahrheit ihren künftigen Henkern in die Hände. Wo Islamisten an die Macht kamen, wie in Iran und im Sudan, wurden die Linken eingesperrt und gefoltert. Das Trittbrettfahren manches Linken bei dem Islamisten ist auch ein Indiz für den katastrophalen Zustand der Zivilgesellschaftem im Nahen Osten. Die kritische Öffentlichkeit und die Intellektuellen sind in unseren despotischen Gesellschaften marginalisiert, die Politik ist in diesen Despotien von der Zivilgesellschaft völlig abgeschottet. Die Islamisten versprechen, dies aufzuheben. Das macht sie interessant. In einer Debatte mit einem arabischen Linken, der mit den Islamisten sympathisiert,
habe ich gesagt: Dein Handy ist aus dem Westen, dein Anzug ist westlich, die Art, wie wir hier
debattieren, ist westlich. Wie kannst du den Westen hassen? Er wusste keine Antwort.

ZEIT: Was ist Ihre Erklärung?

Saghieh: Es hat mehr mit Psychologie als mit Politik zu tun. Die Modernisten in unseren Gesellschaften – und das schließt die modernen Fundamentalisten ein – hassen den Westen mehr als die Traditionalisten.

ZEIT: Was steckt hinter diesem Selbsthass?

Saghieh: Gerade weil wir so viel vom Westen übernehmen – Technik, Wissenschaft, Mode, Lebensweise –, fühlen wir unsere Unterlegenheit. Wir hassen, wovon wir abhängig sind. Das ganze Gerede über die Größe der islamischen und arabischen Kultur vor tausend Jahren gehört auch in diesen Zusammenhang: Denn heute sieht es in unseren Gesellschaften durchweg finster aus. Es ist eine Tatsache, dass wir Araber in der modernen Welt nicht glücklich sind. Und ich glaube, wir sind vor allem darum nicht glücklich, weil wir uns mit der Tatsache nicht versöhnen können, dass der Westen diese Welt nach seinem Bild formt. Die politische Welt besteht aus Nationalstaaten nach westlichem Muster. Wir haben damit in der arabischen Welt kein Glück gehabt. Und die letzte Ideologie des Widerstands gegen diese Weltordnung, die sich durch die Globalisierung über den Erdball ausbreitet, ist in unserer Region der politische Islamismus. Mit seiner Fiktion der weltumgreifenden Umma, die nach der Scharia lebt, bietet er eine Gegenglobalisierung an.

ZEIT: Lässt sich das arabische Unbehagen in der Moderne nicht mit dem deutschen Antiwestlertum zwischen den Weltkriegen vergleichen?

Saghieh: Deutschland hat, nachdem es von den Alliierten besiegt wurde, die Moderne akzeptiert und aus der Niederlage moralische und politische Konsequenzen gezogen. Man hat die Niederlage nach einer Weile als Befreiung begriffen. Als Franco starb, wurde Spanien nahezu überganslos zur Demokratie, ähnlich auch Portugal und Griechenland, nachdem ihre Militärherrscher abtraten. Schauen Sie dagegen auf die arabische Welt: Nasser stirbt, Sadat stirbt, Hafis al-Assad stirbt – nichts verändert sich. Dies nicht wahrhaben zu wollen ist die große Torheit der Neokonservativen in der amerikanischen Regierung.

ZEIT: Wie steht es unter diesen Bedingungen um die moderaten Stimmen in der arabischen Öffentlichkeit? Werden sie durch die Kriegslogik gezwungen, zu schweigen oder sich mit den Radikalen zu solidarisieren?

Saghieh: Wir arabischen Liberalen sind sehr unter Druck. Es gab im Libanon auch unter schiitischen Intellektuellen starke Kritik an Hisbollah. Angesichts der vielen Opfer auf schiitischer Seite schweigen diese Stimmen. Hisbollah mag geschwächt sein, aber sie hat immer noch die Gewehre, den Einfluss und den Märtyrerstatus.

ZEIT: Wie ergeht es den verbliebenen kritischen Intellektuellen in Syrien?

Saghieh: Das Regime nutzt die Gunst der Stunde und geht mit Härte gegen seine Kritiker vor. Jede Kritik gilt als Landesverrat. Die Situation im Irak arbeitet Assad bei der Unterdrückung der Opposition in die Hände. Wer ihn kritisiert, wird als amerikanischer Spion verhaftet. Auf Forderungen nach Demokratie antwortet das Regime: Wollt ihr in Anarchie leben wie die arabischen Brüder im Irak?

ZEIT: Ist es sinnvoll, die Syrer ins Spiel zu bringen, wie es der deutsche Außenminister versucht?

Saghieh: Im Prinzip ist das richtig, denn im Libanon kann es keinen Frieden ohne Syrien geben. Aber ich fürchte, die Syrer werden einen Preis verlangen, den keiner zahlen kann, wie etwa die Rückgabe der Golan-Höhen durch Israel. Syrien und Iran haben ein rein instrumentelles Verhältnis zur Diplomatie. Diese Regime fühlen sich weder an Menschen- noch an Völkerrechte gebunden. Sie profitieren ihrer Natur nach von der Zuspitzung. Ich bin darum pessimistisch, ob sie an einer diplomatischen Lösung wirklich interessiert sind.

ZEIT: Kann eine internationale Friedenstruppe den Südlibanon befrieden?

Saghieh: Das hängt sicher von der Haltung der Iraner und Syrer ab. Welche europäische Armee wird sich ohne iranische oder syrische Garantien in den Libanon begeben, wo die Taktik des Selbstmordattentats bekanntlich erfunden wurde?

ZEIT: Was wird aus den reformerischen Kräften in der Region?

Saghieh: Sie sind schwächer denn je. Es fing mit Chatamis Entmachtung durch Ahmadineschad in Iran an, Abu Masen muss sich in Palästina gegen Hamas behaupten, Fuad Siniora im Libanon steht durch den Krieg mit dem Rücken zur Wand. Das sind alles nette, moderate Leute – aber sie können die Hoffnungen nicht erfüllen, die in sie gesetzt werden. Die Kombination der brutalen israelischen Kriegsführung mit der ohnehin schon explosiven Frustration in unserer Region ist dabei eine zerstörerische Kraft.

ZEIT: Sie klingen sehr finster.

Saghieh: Nun, immer noch stehen wir ratlos vor der Aufgabe, die Welt nach dem Kalten Krieg neu zu ordnen. Der Gegensatz der Weltmächte in der zweigeteilten Welt hatte die religiösen, nationalen und ethnischen Konflikte nur verdrängt, die wir jetzt bewältigen müssen. Und im Krieg gegen den Terrorismus wird leider die Frage der Gerechtigkeit in der Weltordnung zugunsten von Sicherheitsfragen an den Rand gedrängt. Das Erbe der Aufklärung, der Universalismus, ist sehr geschwächt. Der Westen selber hat Mitschuld daran: Er hat die Frage der Gerechtigkeit den Radikalen überlassen und zugleich in überzogener philosophischer Selbstkritik die Aufklärung unterminiert. Der Westen wird in der arabischen Öffentlichkeit heute sehr oft auf kulturelle Dekadenz und ökonomischen Imperialismus reduziert, als dessen Opfer sich Muslime nicht ganz zu Unrecht sehen. Das Versprechen des Westens bedeutet für mich aber auch Rechtsstaat, Frauenemanzipation, wissenschaftlicher Fortschritt und wirtschaftliche Dynamik. Der Preis für den Rückzug der Aufklärung ist hoch. Die meisten Araber und die große Mehrzahl der Muslime verabscheuen den Terrorismus. Sie müssen sich aber viel aktiver dagegen engagieren. Es wird immer schwieriger, das heute in der Öffentlichkeit, für die ich schreibe, zu vertreten. Die Logik des Krieges ist Gift für die Selbstkritik.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE JÖRG LAU
copyright DIE ZEIT

Hazem Saghieh
ist Meinungsredakteur von »Al Hayat«,
der zweitgrößten arabischen Zeitung.
Saghieh, 1951 im Libanon geboren, gilt
als die Stimme der arabischen Liberalen.
In seinen Kommentaren setzt er
sich kritisch mit Antisemitismus, Islamismus
und Terrorismus auseinander.
1997 erschien sein Buch »Verteidigung
des Friedens«. Saghieh lebt in London.
http://english.daralhayat.com

 

Britische Desintegrationspolitik

Hier finden Sie ab heute Kommentare, Artikel, Essays, Interview und mehr. JL

Aus dem Deutschlandfunk vom14. 8. 2006:

Europakolumne von Jörg Lau.

Mag sein, dass der in London aufgedeckte Plan, zehn voll besetzte Flugzeuge durch Selbstmordattentate in die Luft zu sprengen, ein Fanal zum fünften Jahrestag des 11. September 2001 setzen sollte, der uns bald ins Haus steht.

Doch es gibt einen wichtigen Unterschied zur Attacke auf das World Trade Center. Er betrifft die vermutlichen Täter. Der 11. September war ein Angriff von Außen, von jungen Saudis, Ägyptern und Araber aus dem Maghreb. Anders die Londoner Verschwörung: Wie schon bei den Attacken auf U-Bahnen und Busse ein Jahr zuvor werden auch diesmal die Täter unter jungen britischen Muslimen gesucht. Die meisten der Verhafteten kommen aus Familien mit pakistanischen Wurzeln. Sie sind in England aufgewachsen und auch zur Schule gegangen, unauffällige Kinder aus der Mittelschicht. Die Nachbarn fallen aus allen Wolken.

Immer noch fällt es den Engländern schwer, die Wahrheit ins Auge zu fassen, dass zahlreiche junge britische Moslems ihre Heimat derart hassen, dass ihnen ein Massenmord im Namen des Dschihad gerechtfertigt erscheint. Und dies ist ja auch nicht leicht zu verstehen.

Denn kein anderes Land in Europa hat den Multikulturalismus so beherzt zur Maxime erklärt wie England. Es gibt überall Kopftücher – in den Schulen, im öffentlichen Dienst. Islamische Feiertage werden im Unterricht gefeiert. Antidiskriminierungsstellen arbeiten überall im Staatsauftrag gegen Rassismus. Es ist britische Staatsdoktrin, die Diversität der Ethnien und Religionen als Bereicherung zu feiern.

Es ist an der Zeit für eine schonungslose Revision dieser Politik: All diese Maßnahmen haben das Zugehörigkeitsgefühl der Muslime zu ihren Land nicht befördert. Vielleicht haben sie es sogar vermindert: In einer neuen Umfrage erklärten schockierende 81 Prozent der befragten britischen Muslime, sie seien zuerst Moslem, und nur in zweiter Linie Briten. Nicht einmal in Pakistan gibt es so hohe Werte für eine alles überragenden islamische Identität.

England hat radikale Hassprediger jahrelang gewähren lassen, die alles Westliche verteufeln und die Muslime als ewige Opfer darstellen. Integration ist in England zum Unwort geworden, mit dem man sich sofort als „Rechter“ qualifiziert. Zugleich wurde – als Wiedergutmachung für die Kolonial-Vergangenheit – die Herausbildung besonderer Gruppenidentitäten gefördert. Die Regierung hat versäumt, Druck auf die muslimischen Organisationen auszuüben, sich transparent, demokratisch und repräsentativ aufzustellen. Man hat die Einwanderer nicht als ganz normale britische Bürger ernst genommen, von denen man auch etwas fordern darf. Statt dessen hat man ihnen ein gemütliches Ghetto eingerichtet, in dem Wut und Opfermentalität gedeihen, verkleidet als islamische Sonderidentität.

England steht vor den Trümmern einer Integrationspolitik, die sich in Wahrheit als Desintegrationspolitik erweist. Deutschland hat keinen Grund zur Selbstgefälligkeit. Auch bei uns fühlen sich 66 Prozent der islamischen Bevölkerung zuerst als Moslems, dann erst als Deutsche. Wir brauchen in Zukunft etwas scheinbar Paradoxes: gleichzeitig mehr Gefühl und mehr Härte in der Integrationspolitik. Statt weiterer Placebos wie dem Gleichstellungsgesetz brauchen wir mehr alltägliche Durchlässigkeit der europäischen Gesellschaften für ihre Migranten. Zugleich muß überall in Europa deutlich mehr Druck auf die Moscheen und die Moslemorganisationen ausgeübt werden, aktiv daran mitzuwirken, dass ihre Mitglieder sich hier heimisch fühlen.