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Warum es in Afghanistan riskanter wird

Und wie die Politik sich dazu verhalten müsste – jenseits der Entsendung von Panzerhaubitzen -, habe ich zusammen mit den Kollegen Peter Dausend und Heinrich Wefing in einer Seite 3 der aktuellen Nummer der ZEIT zu erklären versucht:

Die Gefallenen der letzten zwei Wochen können zwar nicht einem Strategiewechsel zur Last gelegt werden. Denn das Partnering wird frühestens vom Sommer an umgesetzt. Dass dieses aber mehr Gefechtssituationen mit sich bringen wird wie jene, in denen die sieben Soldaten in den letzten Wochen gestorben sind, ist zu erwarten.

Die Regierung müsste die Öffentlichkeit also jetzt darauf vorbereiten. Sie müsste erklären, welchen Gefahren sie die Soldaten aussetzen wird – und warum. Darauf zielt die kleine Anfrage des grünen Verteidigungspolitikers Omid Nouripour im Bundestag: »Wie bewertet die Bundesregierung die potenzielle Gefährdung deutscher Kräfte durch die Umsetzung ihres neuen Ansatzes des ›Partnering‹?« In der Antwort der Regierung, die der ZEIT vorliegt, heißt es im altbekannten Abwiegelungston, »der neue Ansatz des ›Partnering‹« bringe eine »vergleichbare, potenzielle Gefährdung wie bisher«. Eigene Bewegungen würden durch den Einsatz in der Fläche »unberechenbarer für den Gegner«. Deshalb sei »zu erwarten, dass sich die Bedrohung für deutsche Kräfte dadurch mittelfristig verringern wird«.

Die Botschaft ist: Es wird sicherer, jedenfalls »mittelfristig«. Dass kurzfristig das Risiko für die Soldaten enorm steigt, wird verschleiert. Das Beispiel zeigt, dass das neue Reden vom Krieg, das Minister Guttenberg eingeführt hat, durchaus keinen Bruch mit der alten Verharmlosungsrhetorik aller bisher mit dem Konflikt befassten Regierungen – von Rot-Grün über die Große Koalition zu Schwarz-Gelb – bedeuten muss. Ist das Reden vom Krieg bloß ein Placebo für eine realistische Debatte?

Hier alles lesen.

 

Die Taliban greifen Deutsche an, weil sie als schwach gelten

Morgen gibt die Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung zum Krieg in Afghanistan ab – die vierte in sechs Monaten.

Interessantes Interview auf unserer Homepage zu den Problemen der Deutschen und zur neuen Strategie mit Ahmed Rashid:

Frage: Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die deutschen Soldaten mehr „Präsenz in der Fläche“ zeigen. Wie hoch ist das Risiko, dass die Taliban ihre Angriffe aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten noch verstärken werden?

Rashid: Die Taliban zielen auf diejenigen, die sie als schwache und verwundbare Nato-Mitglieder betrachten: Dazu gehören spanische, italienische und deutsche Soldaten, in deren Heimatländern verstärkte Abzugsdiskussionen geführt werden. Alles deutet darauf hin, dass die Taliban-Führung ihre Kommandeure im Norden Afghanistans angewiesen hat, Bundeswehrsoldaten ins Visier zu nehmen. Erschwerend kommt für die deutschen Soldaten hinzu, dass sie nur eine geringe Kenntnis von ihrem Einsatzgebiet haben und zu wenig Feindaufklärung betreiben. Sie haben ihre Lager bisher zu selten verlassen. Oftmals wissen sie nicht zu unterscheiden: Wer ist ein Taliban – und wer nicht? Dagegen haben die US-Soldaten und die Briten in ihren Einsatzregionen sehr viel mehr Zeit darauf verwendet, mit Dorfältesten zu sprechen und Dorfversammlungen abzuhalten. Dies wurde leider von den Deutschen sehr stark vernachlässigt.

 

Soldaten: Wir sind keine bloßen Opfer!

Erfreulicher Weise ist der Weblog Sicherheitspolitik wieder online – das Forum für die verteidigungspolitische Debatte jenseits von Berliner Aufgeregtheiten. Hier schreiben kühle Beobachter und Kenner – oft auch aus der Perspektive der Soldaten, die in Auslandseinsätzen dienen.

Angesichts der bedauerlichen Tode deutscher Soldaten im Gefolge von Kämpfen in Nordafghanistan mahnen die Blogger dort zu einem anderen Ton beim Gedenken und in der politischen Debatte. Sie stören sich daran, dass auch Soldaten, die im Kampf gefallen sind, als bloße Opfer eines tragischen Geschehens dargestellt werden – ganz so als wären sie einem Unfall oder einer Naturkatastrophe zum Opfer geworden.

Ich finde das sehr verständlich und glaube, dass sich hinter dem Problem des richtigen Gedenkens ein tiefer liegendes Problem mit dem Einsatz in Afghanistan verbindet. Immer noch zögert die Politik und die weitere Öffentlichkeit, ehrlich und realistisch mit dem Konflikt umzugehen – „Kriegs“-Terminologie hin oder her.

Gestern wurde folgender Kommentar auf dem Blog gepostet:

Mit der offenbar wachsenden Präsenz möglicherweise professionellerer internationaler Kämpfer im Norden Afghanistans, der stärkeren Präsenz von Aufständischen im Kunduz-Baghlan-Korridor und der angekündigten stärkeren Präsenz der Bundeswehr dort wird möglicherweise auch ein Anstieg der deutschen Verluste verbunden sein. Die Politik könnte spätestens jetzt damit beginnen, die Öffentlichkeit besser darauf vorzubereiten.  Die Betroffenheitswellen, die nach jedem Vorfall durch Deutschland gehen, mögen gut gemeint sein, sind aber letztlich Ausdruck einer Einstellung, auf deren Grundlage möglicherweise noch höhere Opferzahlen kaum bewältigt werden können.

Wiederholt haben wir die deutsche Afghanistan-Diskussion kritisiert, weil sie aus unserer Sicht durch die Demonstration von Schwäche die Motivation der Aufständischen stärkt. Leider wird den Aufständischen von Politik, Bundeswehr und Gesellschaft weiterhin vermittelt, dass Deutschland auch relativ niedrige Verluste in Afghanistan kaum erträgt und sowohl Bundeswehr als auch Politik dabei sind, den Willen zur Fortsetzung des Einsatzes zu verlieren. Einen stärkeren Anreiz für weitere Anschläge könnte es kaum geben.

Über die Ursache dafür können wir nur spekulieren: Passen Profis nicht in das bei den Medien beliebte Klischee des Soldaten als Opfer?

Ansonsten zeigt der aktuelle Vorfall, dass die Gegenüberstellung von Kampfeinsatz einerseits und Ausbildungseinsatz andererseits in der Praxis nicht funktioniert. Die Politik erweckt gerne den Eindruck, als sei die vorgesehene Verstärkung der Ausbildung der ANA eine Fortsetzung jener Politik, die eigene Risiken durch Passivität minimieren will und dies hinter Euphemismen wie “Vorrang vor zivilen Mitteln” etc. versteckt. Die Begleitung der afghanischen Soldaten im Einsatz durch deutsche Mentoren bringt jedoch fast selbstverständlich auch Situationen mit sich wie jene, bei der gestern mindestens vier deutsche Soldaten fielen.

Es hat Jahre gedauert, bis die Politik minimale Kompromisse an die Realität in Afghanistan eingegangen ist und z.B. den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt dort als solchen (und auch erst nach gerichtlicher Entscheidung) anerkannt hat oder die Verlegung von Panzerhaubitzen ermöglichte. Immer noch leugnet man eine zentrale Realität: In Afghanistan gibt es neben anderen Herausforderungen auch einen militärischen Gegner, der auch deutsche Soldaten in möglichst großer Zahl töten will und dessen zu dessen Überwindung deutsche Soldaten nicht nur in Selbstverteidigung kämpfen müssten.

Wer eine andere Art der Thematisierung kennenlernen will, lese die Aussage von Haupftfeldwebel Daniel Seibert, die hier auf dem Weblog zitiert wird.

 

Deutschland-Türken trauern um deutsche Soldaten

Gute Geste! Ich zitiere eine Pressemitteilung der „Türkischen Gemeinde“:
Zu der heute in Selsingen stattfindenden Trauerfeier für die drei am Karfreitag getöteten Soldaten, erklärt Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD): „Die Deutschland-Türken trauern an dem heutigen Tag mit den Angehörigen und Freunden der getöteten Soldaten. Es ist ein trauriger Tag für uns alle.“

An diesem Tag fühlen viele Menschen, unabhängig der ethnischen Herkunft, in der Bundesrepublik mit den Angehörigen und den Freunden mit.

Die Teilnahme der Bundeskanzlerin Frau Merkel an der Trauerfeier begrüßt die TGD.

Ich finde es sehr begrüßenswert, wenn sich die TGD zu solchen allgemeinen politischen Anlässen äußert, die mit Migration, Integration, Islam etc. nichts zu tun haben.

Die Botschaft ist klar: Türkeistämmige Deutsche sind – zu Hunderttausenden – Staatsbürger wie alle anderen und haben sich darum auch für solche das ganze Land bewegenden Ereignisse zu interessieren.


 

Wurde der Talibanführer gefangen oder verraten?

Die Festnahme des Talibanführers Mullah Baradar ist erfreulich über die Tatsache hinaus, dass den Aufständischen in Afghanistan damit ein wesentlicher Schlag zugefügt werden konnte.

Die Kooperation zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI und der CIA lässt hoffen, dass Pakistan endlich den Kampf gegen die Dschihadisten aufnimmt, statt sie als Werkzeug seiner Einflussnahme im Nachbarland zu päppeln und zu protegieren. Mullah Baradar wurde ausserhalb der südpakistanischen Stadt Karatschi festgenommen. Dabei soll die amerikanische Telefonüberwachung eine entscheidende Rolle gespielt haben.

Die pakistanische Zeitung Dawn schreibt:
Mullah Baradar’s capture from a place on the outskirts of Karachi was the result of increasing US pressure on Pakistan to pursue a policy of killing or capturing the Taliban leadership believed to be hiding in the country.

The detention of one of their most powerful commanders sent a clear message to the Taliban leadership that Pakistan was no more a safe haven for them.

Pakistani intelligence had been keeping a close track of the movement of the Taliban leadership which had earlier moved freely.

Mullah Baradar’s arrest demonstrated increasing cooperation between the Central Intelligence Agency and Pakistan’s Inter Services Intelligence.

Pakistan hofft offenbar, sich durch die Kooperation gegen die Taliban Aktien im Poker um die Zukunft Afghanistans zu erwerben: gut so!

Allerdings gießt Al-Dschasira etwas Wasser in den Wein: Mullah Baradar könnte, vermutet der Sender, einer Intrige in der Talibanführung zum Opfer gefallen sein. Er war angeblich bei geheimen Verhandlungen mit der afghanischen Regierung in Dubai beteiligt. Dies sei bei den Hardlinern der Bewegung nicht auf Zustimmung gestossen.
Und nun habe man ihn womöglich aus dem Verkehr gezogen, indem man ihm dem Feind ausliefert. (Mit leuchtet daran nicht ein, dass es doch viel zu gefährlich ist, einen Mann mit diesem Wissen aufzugeben. Hätte man ihn nach der Logik von Al-Dschasira nicht besser liquidiert?)

Jedenfalls: Wenn Mullah Baradar zum verhandlungsbereiten und verhandlungsfähigen Teil der Bewegung gehört, ist seine Festnahme vielleicht schlechte Nachricht für alle, die eine „politische Lösung“ des Konflikts für unabdingbar halten.

Hier der Bericht von Al-Jazeera English:

 

Taliban: Nr.2 gefasst?

Das waren noch Zeiten: Congressman Charlie Wilson in AFG

In übereinstimmenden Nachrichten der New York Times und der BBC ist die Rede davon, dass Mullah Baradar, der militärische Chef der Taliban, bereits vor einer Woche von amerikanischen Truppen und von mit ihnen kooperierenden Pakistanern (!) gefasst worden sein soll.

Die Times schreibt:

Details of the raid remain murky, but officials said that it had been carried out by Pakistan’s military spy agency, the Directorate for Inter-Services Intelligence, or ISI, and that C.I.A. operatives had accompanied the Pakistanis.

In anderen Worten: Das ISI und die CIA versuchen den Geist wieder in die Flasche zu stopfen, den sie einst herausgelassen hatten. Sehr gute Nachrichten, vor allem wegen des pakistanischen Umdenkens, das sich hier zeigt. Anders gesagt: „Charlie Wilson’s War“ wird zuende geführt.

Baradar ist die Nummer 2 hinter dem Talibachef Mullah Omar, und seine Bedeutung für die militärische Strategie der Taliban im afghanischen Süden wird sogar noch höher eingeschätzt als die des Anführers.

Sollte sich diese Nachricht bestätigen, wäre dies ein Grund zur Hoffnung. Und es würde auch erklären, warum die Großoffensive  in Helmand just in diesen Tagen stattfindet.

Ein ausführliches Porträt findet sich hier.

Paragh Kanna warnt aber davor, in den möglichen (noch unbestätigten) militärischen Erfolgen bereits die Wende sehen zu wollen, die einen politischen Prozess (und das heisst:  Verhandlungen mit den Clanführern) überfüssig machen würde:

The olden system of influential tribal elders, though battered in the Pashtun areas, has withstood the Taliban’s violent campaign to destroy and replace it with militant Islamic rule. No matter how tumultuous and intermittently brutal the situation, kinship networks and their leaders retain persuasive influence.

Regrettably, most officials and analysts fail to grasp that the Pashtun region is a potentially fruitful theater for dialogue and engagement. Its tribes have not only been fierce fighters for centuries, but also expert negotiators; they violently punish those who break promises, but honor agreements and loyalty as well. If the Obama strategy emphasizes “people-to-people ties,” these are the people who are crucial to enlist in both the short and long term. The tribal order can’t be defeated by fighting against it, but it can be gradually and incrementally modernized through thoughtful engagement. Many tribal leaders have appealed responsibly for just such an approach, including influential opinion-shapers in isolated North Waziristan. To turn away from this opportunity would be tragic.

 

Was steckt hinter der Bombardierung in Kundus?

Aus meiner Recherche für die aktuelle Nummer der ZEIT (Nr. 52, S. 3) über die Bombennacht von Kundus:

Über Monate hinweg hatte die Bundesregierung den Eindruck erweckt, es sei dem verantwortlichen Offizier mit der Bombardierung allein darum gegangen, Gefahr vom deutschen Lager Kundus abzuwenden. Doch das war von Anfang an wenig plausibel, weil die gekaperten Tanklaster in großer Entfernung vom Lager feststeckten und dauernd im Visier der Aufklärer waren. Nun aber erscheint Oberst Klein als Kommandeur, der von vornherein »die Menschen als Ziel hatte, nicht die Fahrzeuge«. So steht es im bislang geheim gehaltenen Untersuchungsbericht der Nato. Dass die Bundeswehr in Afghanistan gezielt Taliban tötet, ist ein unerhörter Verdacht.

In diesem Licht wirft vor allem ein anderer Bericht, die früheste deutsche Quelle zu dem Luftangriff, neue Fragen auf. Die Rede ist von dem geheimen Feldjägerbericht, der am 9. September in Masar-i-Scharif verfasst wurde, von dem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach eigener Aussage jedoch erst am 26. November erfahren hat und der den Vermerk trägt: »Nur Deutschen zur Kenntnis«.

Der Autor des Berichts, Oberstleutnant Brenner, war als erster deutscher Soldat am Tatort – noch am Tag des Bombardements. Der Militärpolizist hatte den Auftrag, Oberst Klein bei der Aufklärung des Bombenabwurfs zu unterstützen. Brenners Bericht liest sich wie ein Krimi. Denn Brenner kann nicht nachvollziehen, wie Oberst Klein zur Gewissheit gekommen sein will, »dass bei einem Bombenabwurf keine zivilen Verluste zu erwarten seien«. Er wundert sich darüber, dass weder das Hauptquartier des Regionalkommandos Nord der Bundeswehr in die so gravierende Entscheidungsfindung einbezogen wurde noch die nächsthöhere Ebene, der Isaf-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal. Brenner meldet auch, dass Klein seinen Rechtsberater nicht hinzugezogen habe. Und er legt nahe, dass der Oberst in jener Nacht womöglich nicht alleine entschieden habe: »Aus den Unterlagen geht nicht hervor, welcher Personenkreis (…) zur nächtlichen Entscheidung des Kdr PRT KDZ (i.e. Oberst Klein) beigetragen hat.«

Nimmt man hinzu, dass Klein seine Entscheidung aus dem Gefechtsstand der Spezialeinheit »Task Force 47« heraus getroffen hat, verändert sich der Fokus – weg von dem diensthabenden Oberst. Denn hinter dem Begriff »Task Force 47« verbirgt sich eine Sondertruppe, die sich aus Elitekräften des »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) und militärischen Aufklärern der Bundeswehr zusammensetzt. Diese geheim operierenden Kräfte werden eng von Deutschland aus mitgeführt, vom Einsatzführungskommando in Potsdam. Kann es sein, dass Oberst Klein, als man ihn um Mitternacht vom 3. auf den 4. September wegen der entführten Laster weckte, zum Trittbrettfahrer einer längst schon laufenden Operation des KSK gegen die Taliban wurde?

Das würde einige Merkwürdigkeiten, die der Feldjäger-Bericht erwähnt, erklären: das Ignorieren der Meldewege, den Verzicht auf Rechtsbeistand und die Zögerlichkeit bei der Aufklärung des Tatorts nach dem Bombenabwurf. Klein hätte nach den Regeln der Internationalen Schutztruppe Isaf spätestens zwei Stunden nach dem Bombardement eine Bestandsaufnahme am Tatort durchführen lassen müssen. Dies geschah nicht. Schlamperei?

Als die Feldjäger am Mittag nach der Bombennacht am Kundus-Fluss eintreffen, stellen sie das Gegenteil fest. In ihrem Bericht heißt es: »Ereignisort ist nicht unverändert. Augenscheinlich keine Leichen/Verletzten mehr vor Ort. ›Bombing-Area‹ ist in Anbetracht des vermeintlichen Personenschadens nahezu ›klinisch‹ gereinigt.« Den Feldjägern bietet sich »ein offensichtlich deutlich veränderter Ereignisort, der einen geradezu stark gereinigten Eindruck hinterlässt. Es sind nur noch minimalste Spuren von Humanmaterial zu finden.« Nur einige tote Esel und Hunde zeugen zehn Stunden danach noch von dem Inferno. Jemand hat gründlich aufgeräumt, den Ermittlern bleibt nichts zu tun…

Mehr lesen.

Die Bild-Zeitung geht heute meinem Verdacht nach – der sich auf Gespräche mit Verteidigungsexperten gründet, die Einsicht in die geheimen Dokumente haben – dass es mehr direkte Kanäle von Kundus nach Potsdam gegeben hat, als bisher bekannt. Siehe diesen Artikel.

 

Guttenberg korrigiert sich – fast

Erst einmal denkt man: Respekt. Der Verteidigungsminister hat gestern vor dem Parlament seine Einschätzung revidiert, der Luftangriff vom 4. September  nahe Kundus in Afghanistan sei „militärisch angemessen“ gewesen.

Das hat schon eine gewissen Souveränität, dies so offen, schnell und in aller Öffentlichkeit (vor dem Parlament, nicht in einem Interview) zu tun.

Ich zitiere:

„Und jeder, der jetzt aus der Distanz, leise oder laut, Kritik übt, sollte sich selbst prüfen, wie man in dieser Situation gehandelt hätte. Und wie viel leichter erscheint es jetzt, sich ein Urteil über die Frage dieser Angemessenheit zu bilden, aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten, mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Und diese weisen im Gesamtbild gegenüber dem gerade genannten Komm-ISAF-Bericht deutlicher auf die Erheblichkeit von Fehlern und insbesondere von Alternativen hin. Zu dem Gesamtbild zählt auch, ein durch das Vorenthalten der Dokumente leider mangelndes Vertrauen gegenüber damaligen Bewertungen.

Und ich wiederhole noch mal: Obgleich Oberst Klein – und ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz aller Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller, auch mir damals vorenthaltener Dokumente, militärisch nicht angemessen.“

Allerdings ist die Sache damit noch nicht erledigt. Denn erstens versichern Kenner des geheimen ISAF-Berichts, auch dieser gebe keine Grundlage für Guttenbergs erste Bewertung. Womit sich weiterhin die Frage stellt: Wie kam der neue Minister ohne Not dazu, einen Angriff, der den Isaf-Oberkommandierenden McChrystal in Rage versetzt hat, als militärisch notwendig hinzustellen? Wollte er sich bloss bei der Truppe beliebt machen?

Zweitens hat Guttenberg hier wieder nicht selbst Verantwortung für seine offenbare Fehleinschätzung übernommen, sondern schiebt die Sache auf ihm „vorenthaltene“ Dokumente. Mit anderen Worten: auf seine Mitarbeiter. Wäre es aber nicht die Pflicht eines neuen Ministers gewesen, in seinem Amt erst einmal aufzuräumen und eine Untersuchung (zumal eines so gravierenden Vorgangs) anzuordnen, bevor er sich so eindeutig einlässt wie in seiner Erklärung vom 6. November geschehen?

Drittens: Hat Guttenberg sich wirklich vor Oberst Klein gestellt? Er sagt ja, auch aufgrund der Bundeswehr eigenen Dokumente hätte man (hätte er sie denn gekannt) schon zu dem Urteil kommen müssen, der Angriff sei nicht angemessen gewesen. Der habe allerdings unter Druck gestanden. Dazu sagen mir Kenner der Lage vor Ort, es habe allerdings Druck auf Oberst Klein von verschiedenen Seiten gegeben (von den Alliierten, von den Afghanen, von der Öffentlichkeit), endlich mal draufzuhauen. Klein (oder die betreffenden Männer unter seinem Kommando) hätten in der Tanklasterentführung eine willkommene Gelegenheit gesehen, dies nun endlich mal zu tun. Wie dem auch sei: Kaum zu glauben, dass die Einlassung des Ministers keine juristischen Folgen für den Oberst haben wird.

Viertens hat Guttenberg, indem er die Verantwortung auf diejenigen umleitet, die ihm Dokumente „vorenthalten“ haben, das Kanzleramt ins Visier gerückt. Denn dort war jemand die ganze Zeit im Amt und (hoffentlich) mit Informationen gut versorgt. Die Kanzlerin hatte sich ja im Bundestag am 8. September in schneidendem Ton Vorverurteilungen „verbeten“. Und sie hatte lückenlose Aufklärung versprochen. Angeblich gab es in ihrem Umfeld (in dem Spiegelressort zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Kanzleramt) lange schon die Einschätzung, die sich Guttenberg jetzt zu eigen gemacht hat. Warum hat sie diese nicht kommuniziert? Weil Wahlen anstanden? Merkel wird sich bei Guttenberg bedanken, dass er ihr dieses Problem eingebrockt hat.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat versucht, sich durch seine Erklärung wieder zum Herrn des Verfahrens zu machen. Ich glaube, das ist ihm nicht gelungen.

 

Verteidigungsminister zu Guttenberg: Die Transall ist kein Laufsteg

Mit meiner Kollegin Tina Hildebrandt habe ich ein Porträt des neuen Verteidigunsgministers in seiner ersten Bewähungsprobe geschrieben. Aus der ZEIT von morgen:

Ein Wortspiel in einer Fremdsprache kannleicht danebengehen. Doch
Karl-Theodor zu Guttenberg fühlt sich hier, in der gediegenen Welt der Washingtoner Thinktankswie zu Hause. Viele Anwesende kennt er aus seinem früheren Leben als Außenpolitiker. »It¹s great to be back!«, ruft er amcDonnerstag vorletzter Woche einem Saal voller Diplomaten und Militärs an der K Street zu, dem Sitz zahlreicher Lobby-Büros: »Ich war etwas abgelenkt in den letzten Monaten durch die Witschaftspolitik. Doch jetzt bin ich von General Motors wieder zu Generälen und echten Motoren zurückgekehrt.«
Alle lachen, Guttenberg wackelt ein wenig kokett mit den Schultern, wie er das immer tut bei seinen provozierend angstfreien Auftritten. Er fühlt sich wohl in seiner Haut als Verteidigungsminister.
Eine Woche und drei Rücktritte später findet sich der Star der Kabinetts im Zentrum der bisher größten Krise der noch frischen Regierung Merkel.

Zunächst hat es andere getroffen. Doch ob er unversehrt aus der Sache hervorgeht, ist offen. Er hat selber keine Gefangenen gemacht: Für nur vier Wochen im Amt eine beachtliche Bilanz, einen General, einen Staatssekretär, und in der Folge einen Ministerkollegen ins politische Jenseits befördert zu haben. Treffer, versenkt.

Guttenbergs Rückkehr zu echten »Generälen und Motoren« bedeutete zuerst für Deutschlands höchstrangigen Soldaten, den Generalinspekteur, das jähe Ende. Der Minister zwang Wolfgang Schneiderhan letzten Donnerstag zum Rücktritt.

Auch den mächtigen Staatssekretär Peter Wichert schickte er in den
vorzeitigen Ruhestand. Die beiden sollen ihrem neuen Dienstherrn interne Berichte über das Bombardement zweier Tanklaster bei Kundus am 4. September in Afghanistan vorenthalten haben. Erst durch Zeitungsberichte, heißt es, habe Guttenberg von den belastenden Dokumenten Wind bekommen. Deutsche Feldjäger aber hatten bereits zwölf Stunden nach dem Bombenangriff auf die von Taliban entführten Tanker den Tatort besucht. In ihrem Bericht finden sich klare Hinweise auf zivile Opfer unter den 142 Tote.
Einen Tag später kostete die Affäre auch Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung seinen Posten als Arbeitsminister. Jung hatte behauptet, ausschließlich terroristische Taliban« seien getroffen worden.
Kurze Zeit sah es so aus, als hätte Guttenberg durch sein entschlossenes Handeln eine Brandmauer zwischen sich und der Affäre Kundus ziehen können. Er versprach Aufklärung und Konsequenzen und leitete eine Untersuchung ein.

Doch durch Jungs, Schneiderhans und Wicherts Abgang rückt er selbst in die Schusslinie. Es geht darum, ob Guttenberg mit einer kapitalen Fehleinschätzung in das Amt gestartet ist, in dem er sich so heimisch fühlt.
Denn auf seiner ersten Pressekonferenz hatte Guttenberg den Luftschlag demonstrativ verteidigt. Am 6. November sagte der 37-jährige, Oberst Klein, der den Angriff angeordnet hatte, habe »militärisch angemessen« gehandelt.
Mehr noch: »Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen.«
Müssen? Das lässig ausgesprochene Wort hat durch die Woche voller Rücktritte einen gefährlichen Nachhall bekommen. Warum hat Guttenberg sich so exponiert? Er kannte doch den Nato-Bericht, in dem von 30 bis 40 zivilen Opfern die Rede ist. Und von mehr als »Verfahrensfehlern«. Aus dem Isaf-Bericht geht nach Aussagen derer, die ihn gelesen haben, hervor, dass Oberst Klein fälschlicherweise eine unmittelbare Bedrohung und Feindberührung behauptet hatte, um Luftunterstützung zu bekommen.

Guttenberg, heißt es nun im Ministerium, habe den Bericht zwar aufmerksam gelesen. Er habe aber keinen Anlass gesehen, sich von der Linie des Generalinspekteurs abzusetzen. Er wollte sich wie jener rückhaltlos vor die Soldaten stellen.
Nun steckt Guttenberg selbst in der Bredouille: Er behauptet, er müsse eine Neueinschätzung vornehmen, weil ihm neue Dokumente vorenthalten worden seien. Kenner dieser Dokumente aber sagen, sie enthielten gar keine neuen Infromationen gegenüber dem Isaf-Bericht. Revidiert Guttenberg seine Position, setzt er selbst sein Vorpreschen ins Zwielicht. Schlimmer noch: Er würde Oberst Klein belasten, den er schützen wollte. Gegen den Oberst läuft ein Ermittlungsverfahren. Einen Rückzieher würde die Truppe dem Minister als Illoyalität auslegen. Bleibt er bei seiner Position, sieht er selbst dumm aus von wegen Klartext-Minister.

Guttenberg hat sich in dem klassischen Zielkonflikt jedes Wehrministers verheddert: Loyalität zur Truppe oder Offenheit gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Er wollte ihn eigentlich auflösen und damit mehr Verständnis für die Truppe und ihre Einsätze erzeugen, die sich von einer Öffentlichkeit im Stich gelassen fühlt, die den Selbstmord eines Torwarts Tage lang betrauert, aber von gefallenen Soldaten nichts wissen will.

Guttenbergs Aufstieg ist einmalig: Von der unbekannten Nachwuchskraft zum beliebtesten Politiker der Republik. Vom CSU-Generalsekretär zum Wirtschafts- und Verteidigungsminister, und das alles in weniger als einem Jahr. Beobachter und Kollegen rätseln über das Phänomen Guttenberg. Was nur hat der Baron, was die anderen nicht haben?
Eine ganze Menge: Neben einem Adelstitel, einem Schloss, einer schönen Frau nebst zwei Töchtern, respektablen Englischkenntnissen und perfekten Manieren hat er auch ein beachtliches Talent zur Selbstvermarktung. Keine Rede seit Mai, in der Guttenberg nicht an sein Nein zur Opelrettung erinnert und dieses zum Beleg für seine besondere Standfestigkeit überhöht hätte. Seine Profilierung als letzter Ordnungspolitiker fand auf Kosten der
Kabinettskollegen und der Kanzlerin statt. Wenn einer sich als der
Letzte mit klaren Grundsätzen darstellt, haben die anderen im Umkehrschluss wohl keine mehr. Damit kommt man aber nur einmal durch.
Im neuen Amt liegt nun die Messlatte höher. Guttenberg muss nicht nur eine Strategie für das weitere Vorgehen in Afghanistan formulieren, einen Einsatz, dem sowohl die Bevölkerung als auch große Teile der CSU skeptisch gegenüberstehen. Die Schonfrist ist vorbei.
Er hat sich auch im neuen Amt wieder von Beginn als Klarsprecher zu inszenieren versucht. Dass er unumwunden einräumte, in Afghanistan herrschten »kriegsähnliche Zustände«, kam in der Öffentlichkeit und bei den Soldaten gut an. Guttenberg sprach aus, was jeder sehen konnte, was aber
nicht gesagt werden durfte, teils aus rechtlichen Gründen, teilweise, weil
man in der Regierung fürchtete, die Zustimmung zu dem Einsatz werde weiter bröckeln.
In Washington sagte er, Auslandseinsätze müssten künftig »zur Selbstverständlichkeit werden.« Doch davon ist die Debatte nach dieser Woche weiter entfernt denn je. Nun findet sich ausgerechnet Guttenberg, der doch mit der verschleiernden Rhetorik seines Vorgängers aufräumen wollte, vor einem Untersuchungsausschuss wieder. Da werden zwar die Verfehlungen Jungs im Mittelpunkt stehen. Doch auch Guttenberg wird sich fragen lassen müssen, wie er zu seiner Einschätzung kam, der Luftangriff sei angemessen gewesen.

Eine Einschätzung, die dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, Rainer Arnold, nach Lektüre des NATO-Berichts »schleierhaft« ist. Die Opposition hat die Fährte aufgenommen: »Er präsentiert sich gerne als Herr der Sache. Auch wenn er längst Getriebener ist«, sagt der grüne Afghanistan-Kenner Tom Koenigs über zu Guttenberg. Der ist bislang auf einer Welle des Wohlwollens durch seine Ämter gesegelt. An Opposition wird er sich gewöhnen müssen.
Guttenberg hat der Kanzlerin nicht nur eine Kabinettsumbildung aufgezwungen: Nun will die Opposition Merkel nachweisen, dass sie sich um den schwersten Zwischenfall in der Geschichte der Bundeswehr nicht gekümmert hat. »Sollte sich herausstellen, dass die Bundesregierung Informationen wegen des Wahlkampfs unterdrückt hat, wäre das ein Skandal«, so Arnold.
So wie bisher, als smarter Glamourboy des Kabinetts, wird Guttenberg seine
Rolle nicht weiter spielen können. Nahezu jede Woche seit seinem Amstantritt war der Minister auf Hochglanzfotos in bunten Gazetten zu sehen, wie er gerade irgendeinen Bambi entgegennahm oder im feinen Zwirn vor Soldaten posierte. Doch wer Soldaten in kriegsähnliche Zustände schickt, für den gelten andere Grenzen des guten Geschmacks als für »zivile« Minister. »Eine Transall ist kein Laufsteg«, ätzt Koenigs.
Am vergangenen Dienstag musste Guttenberg dem Auswärtigen Ausschuss Rede und Antwort stehen. Der Minister gelobte volle Kooperation und Aufklärung.
»Angespannt wie noch nie« haben die Parlamentarier den smarten Franken
erlebt. Wann genau denn das Kanzleramt über den Feldjägerbericht informiert gewesen sei, wollten mehrere Abgeordnete wissen. Das, so Guttenberg kleinlaut, interessiere ihn auch.